Landgericht Essen

10.000 Euro Schmerzensgeld für Betroffene des Bottroper Zyto-Skandals

Berlin - 21.02.2022, 13:45 Uhr

Das Landgericht Essen befasst sich noch immer mit den Folgen der Taten des Bottroper Zyto-Apothekers Peter S.. (c / Foto: Proxima Studio / AdobeStock)

Das Landgericht Essen befasst sich noch immer mit den Folgen der Taten des Bottroper Zyto-Apothekers Peter S.. (c / Foto: Proxima Studio / AdobeStock)


 „Hochgradige Verwerflichkeit“ der Taten

Der Insolvenzverwalter hatte vorgebracht, eine derartige Argumentation sei „unbillig“, weil es S. „der Gefahr aussetze, dass eine Vielzahl weiterer Patienten Ansprüche gegen ihn geltend machen“. Derartige prozessuale Risiken erschienen als „das gerechte Ergebnis“ seiner planvollen und systematischen Fehldosierungen, urteilen die Richter.

S. sei durch die Unterdosierung dafür verantwortlich, dass der Patient ein Medikament erhalten habe, das nicht der Verordnung entsprach – dadurch sei die Behandlung illegal gewesen. „Bereits die Verabreichung des Arzneimittels über eine Spritze oder eine Infusion hat Schmerzen verursacht, und es sind Stoffe in den Körper eingebracht worden [sic], auf die sich die Einwilligung des Patienten nicht bezog und deren Wirkung ungewiss ist“, heißt es im Urteil. Der Arzt sei ebenfalls von S. hierüber getäuscht worden, sodass S. als mittelbarer Täter der Körperverletzung anzusehen ist. Hierfür wie auch für die psychische Belastung durch das Wissen über mögliche Fälschungen seiner Krebstherapie sehen die Richter eine Schadensersatzsumme von 10.000 Euro als angemessen an.

Auch eine Beweislastumkehr hilft laut den Richtern nicht

Einen weitergehenden Schaden in Form einer Verschlechterung des Gesundheitszustands oder der Prognose „konnte die Kammer dagegen nicht feststellen“, heißt es im Urteil. Hier sehen sie die Witwe in der Beweislast. Es brauche die Feststellung, dass mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ – von zumindest über 50 Prozent – die Unterdosierung zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen geführt hat. Ein eingeholtes Gutachten spreche eher dagegen, da laut diesem nur jeder fünfte mit Nivolumab therapierte Patient überhaupt hierauf anspreche. Daher sei unklar, ob der Patient hiervon profitiert hätte. Auch sei laut dem Gutachter unklar, wie bei der Immuntherapie der Zusammenhang zwischen Dosis und Wirkung aussehe – und ob es eine Mindestdosierung gebe.

Selbst wenn man Möglichkeiten zur Beweislastumkehr annehme, die bei schweren Behandlungsfehlern bestehen, ergebe sich kein anderes Bild, erklären die Richter. Denn dies beziehe sich nur auf die Kausalität des groben Fehlers für den unmittelbaren Gesundheitsschaden sowie auf sich hieraus ergebende typische Sekundärschäden – negative Folgen einer Unterdosierung gehören nach Ansicht der Richter jedoch nicht hierzu. Zwar könne ein schlechterer Heilungsverlauf hierzu zählen, wie andere Urteile ergeben hatten. Doch seien diese nicht mit dem Einzelfall vergleichbar, da es bei ihnen etwa aufgrund von Diagnosefehlern gar keine Therapie gegeben habe. Da Nivolumab eh nur bei jedem fünften Patienten anspreche, sei ein Nichtansprechen sowie das Fortschreiten der Krankheit nicht typische für die Gabe unterdosierter Medikamente: Der Grund für das Nichtansprechen habe nicht geklärt werden können.

Schmerzensgelderhöhend haben die Richter „das im Strafurteil festgestellte planvolle und rücksichtslose Verhalten“ von S., wie auch „die hochgradige Verwerflichkeit des schieren Ausmaßes seiner Taten, mit denen er sich gerade auf Kosten besonders Schutzwürdiger bereichert hat“. Die Witwe hat nach dem Urteil Anspruch, dass die Forderung von 10.000 Euro zur Insolvenztabelle angemeldet wird – unklar ist angesichts von erheblichen Forderungen in Millionenhöhe etwa von Krankenkassen, welchen Anteil sie hiervon am Ende des Insolvenzverfahrens noch erhalten wird. Angehörige hatten bei einem Verhandlungstermin im Dezember erklärt, dass sie voraussichtlich Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen wollen – wie womöglich auch der Insolvenzverwalter.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
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