Gastkommentar

Das Masken-Monopoly

Erding - 30.12.2020, 11:00 Uhr

Von wegen besinnliche Weihnachtszeit: In den Apotheken herrschte das Masken-Chaos. (Foto: imago images / Arnulf Hettrich)

Von wegen besinnliche Weihnachtszeit: In den Apotheken herrschte das Masken-Chaos. (Foto: imago images / Arnulf Hettrich)


Es ist nur eine Randnotiz im großen Pandemiechaos. Trotzdem zeigt diese Episode das ganze Dilemma unserer Zeit: Alle Beteiligten handeln planlos, unabgestimmt und egoistisch. Eine gute Grundidee verschwindet so zwischen Egoismen und Partikularinteressen. Wir sollten uns besinnen und wieder gemeinsame Entscheidungen treffen, im Konsens, meint Dr. Franz Stadler, Apotheker und Autor des kürzlich im Murmann Verlag erschienen Buchs „Medikamenten Monopoly“.

Die Inzidenzwerte steigen seit Wochen. Die Zahl der freien Intensivbetten sinkt dramatisch und jeden Tag sterben Hunderte von Menschen an oder mit Corona. Trotzdem spielen alle weiter ihre Spielchen, typische Spiele, wie das Masken-Monopoly. Um unser aller Versagen zu verstehen, reicht es aus, sich die Motivationslagen der einzelnen Spieler zu vergegenwärtigen.

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Masken-Ausgabe in den Apotheken

Chance oder Schikane?

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und seine Mitregierenden treffen viel zu spät die Entscheidung, große Teile der Bevölkerung endlich mit brauchbaren Masken auszustatten. Ganz klar: Eine sinnvolle Entscheidung, da eine FFP2-Maske nicht nur das Gegenüber, sondern auch den Träger selbst schützen können, was angesichts der jedem geläufigen Bilder schlechtsitzender, auf „Halbmast“ unter der Nase hängender und durchfeuchteter Mund-Nasen-Bedeckungen ein längst überfälliger und zu begrüßender Schritt ist. Die Umsetzung war allerdings mehr als mangelhaft: unangekündigt, mit viel zu kurzem Vorlauf und ohne jede Marktkenntnis wurde schnell eine Verordnung erlassen, die überraschte Dritte in die Pflicht nahm und mal eben pauschal knapp 500 Millionen Euro kostete – nur für den Zeitraum bis zum 6. Januar 2021. Danach wurden Bezugsscheine angekündigt und den abgebenden Apotheken 6 Euro je Maske versprochen.

Angesicht der vielen, immer umfangreicheren Rettungspakte fielen diese Summen kaum größer auf, während die gewünschte mediale Aufmerksamkeit für den Minister sofort gegeben war. Der Rest würde sich schon ergeben und war nicht mehr seine Sache. Hauptsache man hatte mal wieder etwas getan.

Die Maskenlieferanten

Sie wurden auf dem falschen Fuß erwischt, hatten nicht immer sofort genügend Ware zur Verfügung.  Trotzdem erhöhten sie schnell die Preise und versprachen anfangs Liefertermine, die sie nicht halten konnten. Da es aber prinzipiell genügend (chinesische) Masken gab, die oft nur auf die Zollabfertigung warteten (viele Zöllner sind in Kurzarbeit), beruhigte sich die Versorgungslage schnell wieder. Jeden Tag kamen dutzende Angebotsmails an. Trotzdem schwankten die Einkaufspreise für FFP2-Masken erheblich (zwischen 0,58 Euro bis 2,70 Euro je Stück, eigene Erfahrung). Der Großhandelsverband Phagro versprach medienwirksam genügend Masken liefern zu können – allerdings verspätet und zu einem überhöhten Preis von 1,99 Euro je Maske. Sie wollten eben auch etwas vom Kuchen abhaben.

Die Rolle der Apotheken

Ihre ersten Reaktionen waren vom Stress gekennzeichnet. Kaum eine Apotheke hatte genügend Masken vorrätig, um, wie vorgesehen, alle über Sechzigjährigen und chronisch Kranken in der Kürze der Zeit mit drei FFP2-Masken versorgen zu können. Zudem stiegen die Preise stündlich. Der normale Großhandel hatte ebenfalls keine Masken. Deshalb musste man sich mit mehr oder weniger dubiosen Zwischenhändlern herumschlagen, einen kaum kalkulierbaren Bedarf abschätzen und versuchen, einen noch akzeptablen Einkaufspreis zu erzielen.

Die Meisten stellen sich ihrer Aufgabe

Zunächst war nicht jedem klar, mit welcher pauschalen Erstattung man für die erste Phase der Verteilaktion rechnen konnte. Manche Apotheke befürchtete eine nicht ausreichende Vergütung und einen kaum zu bewältigenden Kundenansturm in der ohnehin arbeitsreichen Vorweihnachtszeit. Vermeintlich ganz Schlaue planten ihre Kunden unter Verweis auf Lieferschwierigkeiten abzuweisen und die Pauschale ohne Gegenleistung, also ohne oder mit nur geringfügiger Maskenabgabe, einfach als willkommene Sondereinnahme einzuschieben. Die große Mehrheit der Apotheken stellte sich aber der Aufgabe und organisierte Abgabestraßen/-stellen um die notwendigen Kontakte möglichst kurz und damit für alle möglichst ungefährlich zu halten.

Trotz der inzwischen als sehr großzügig erkannten Vergütung meinten jedoch viele, die Bezugsberechtigung der Kunden kontrollieren und auch Kundenhopping durch das Abfordern von Eigenerklärungen oder Ähnlichem verhindern zu müssen. In der Folge kam es zu unschönen Szenen und Diskussionen in diversen Apotheken. Trotzdem leisteten die meisten Vor-Ort-Apotheken einen super Job und machten mit viel persönlichem Einsatz die Aktion letztlich zu einem Erfolg.

Die Bezugsberechtigten

Obwohl sie genügend Zeit haben (bis 6. Januar), ihre drei Gratismasken abzuholen, und obwohl viele bis dato nicht wussten, dass FFP2-Masken besser als jeder Mund-Nasen-Schutz sind, stürmten sie die Apotheken und telefonierten sich die Finger wund. Umsonst ist eben umsonst, selbst wenn drei Stück seriös sicher keine 10 Euro kosten. Außerdem konnte man so noch schnell einen Kalender und die kostenlose Kundenzeitschrift besorgen, die von der Versandapotheke nicht mitgeliefert bekommen hatte. Nicht selten wurden bei den Abholaktionen Anstands- und Abstandsregeln vergessen. Es wurde gedrängelt und geschimpft. Nicht wenige suchten verschiedene Apotheken auf, um sich jeweils Masken zu ergaunern. Jedem war klar, dass gerade keine Kontrolle möglich war. Der schlimmste anzunehmende Fall schien zu sein, keine kostenlosen Masken zu bekommen.

Die Berufsnörgler

Bei der medialen Aufmerksamkeit, die die gesamte Aktion erzeugte, konnten die Berufsnörgler nicht ausbleiben. Sie wurden befragt und generierten die gewünschten Schlagzeilen. Erste Stimmen machten für die Apotheken ein völlig überhöhtes finanzielles Weihnachtsgeschenk aus. Dabei wurde übersehen, dass keine Apotheke eine Rechnung stellte, sondern jede freiwillig pauschal bezahlt wurde. Keine Apotheke hatte je 6 Euro für eine FFP2-Maske gefordert, aber Jens Spahn wird sie bezahlen.

Oppositionspolitiker forderten die Apotheken auf, die Masken auszuliefern – ohne zu überlegen, wie das vor sich gehen sollte. Sollten die Apotheken ganze Straßenzüge ablaufen, an Türen klingeln und jedem über sechzig Jahre alten Menschen drei Masken in die Hände drücken?

Datenschützer warnten Apotheken davor, personifizierte Abgabelisten zu erstellen, ohne sich zuvor eine Einwilligungserklärung der jeweiligen Person einzuholen.

Auch die Qualität der abgegebenen Masken wurde zum wiederholten Mal hinterfragt, und das, obwohl jede FFP2-Maske besser ist als keine FFP2-Maske. Zudem konnte sich keine Apotheke unter dem erzeugten Zeitdruck erlauben, bei den Lieferanten groß wählerisch zu sein – zumal fast alle Masken aus China stammten.

Fazit

Was ich mich frage, ist: Warum gelingt es uns als Gesellschaft nicht mehr, eine an sich sinnvolle und zielführende Aktion so durchzuführen, dass niemand meckern kann und muss? Warum sprechen die Menschen nicht mehr miteinander? Warum hört niemand zu? Warum kann niemand mehr Aktionen sauber und gemeinsam mit allen Beteiligten planen? Ist Konsens in unserer freiheitlichen Staatsform überhaupt noch möglich? Oder hat unser Wirtschaftssystem jeden Einzelnen schon grundlegend verdorben? Geht es nur noch um Selbstdarstellung, finanzielle Vorteile oder sonstige Egoismen? Ich würde mir wünschen, dass wir uns zumindest gelegentlich auf gemeinsame Ziele verständigen können, also im Beispiel den Virus als gemeinsamen Feind zu erkennen und entsprechend zu handeln.

Frohe Weihnachten!



Dr. Franz Stadler
redaktion@daz.online


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