Mehrarbeit, höhere Zuzahlungen, Therapie-Unterbrechungen

Arzneimittel-Lieferengpässe sorgen für Probleme in ganz Europa

Remagen - 29.01.2020, 12:50 Uhr

Apotheken in ganz Europa haben zunehmend mit Arzneimittel-Lieferengpässen zu kämpfen. Einer PGEU-Umfrage zufolge entstehen Therapielücken, Mehrarbeit und höhere Zuzahlungen für Patienten. (b/Foto: imago images / photothek)

Apotheken in ganz Europa haben zunehmend mit Arzneimittel-Lieferengpässen zu kämpfen. Einer PGEU-Umfrage zufolge entstehen Therapielücken, Mehrarbeit und höhere Zuzahlungen für Patienten. (b/Foto: imago images / photothek)


Der europäische Apothekerverband PGEU hat die Ergebnisse seiner Umfrage zu Arzneimittelverknappungen im letzten Jahr veröffentlicht. Hiernach ist die Lage gegenüber dem Vorjahr noch angespannter. Die Leidtragenden sind nicht nur die Patienten, sondern auch die Apotheken: Die Mehrarbeit der Pharmazeuten ist in ganz Europa angestiegen. Die Folgen der Engpässe sind Mehrkosten und ein schlechtes Image.

Der europäische Apothekerverband PGEU führt jedes Jahr eine Umfrage unter seinen Mitgliedsorganisationen durch, um die Auswirkungen von Lieferengpässen in ganz Europa aus der Sicht der öffentlichen Apotheken abzubilden. Die Befragung für 2019 wurde vom 4. November bis 16. Dezember 2019 durchgeführt. 24 Länder aus allen europäischen Regionen beteiligten sich, darunter auch Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande und Österreich ebenso wie die von Parallelexporten besonders betroffenen Länder in Ost-und Südosteuropa.

Alle Arzneimittelklassen betroffen

Alle berichten, dass die Offizinapoteken im letzten Jahr mit Lieferengpässen zu tun hatten. Die überwiegende Mehrheit der Befragten (21/24) gab an, dass sich die Situation im Vergleich zu 2018 verschlechtert habe. Von den Verknappungen waren in den verschiedenen europäischen Ländern alle Arzneimittelklassen betroffen. Der höchste Prozentsatz zeigte sich im Bereich Atemwege (87 Prozent der Länder), gefolgt von Arzneimitteln mit Angriff am zentralen Nervensystem  und Herz-Kreislaufpräparaten, die in ebenfalls in mehr als 80 Prozent der Länder knapp waren. Am unteren Ende rangierten biologische Arzneimittel (42 Prozent der Länder). In sechzehn Ländern waren zum Zeitpunkt der Durchführung der Erhebung über 200 Arzneimittel als Mangelware aufgeführt, wobei fünf angeben, dass sogar mehr als 400 nicht ausreichend verfügbar waren.

Unterbrechungen der Behandlung und höhere Zuzahlungen

Alle Länder berichteten, dass Arzneimittelverknappungen den Patienten ihrer Meinung nach Stress und Unannehmlichkeiten bereiten. Im Detail nannten drei Viertel als Grund dafür Unterbrechungen der Behandlungen und 14 Länder erhöhte Zuzahlungen infolge teurerer/nicht erstatteter Alternativen. Zehn führten eine suboptimale Behandlung/schlechtere Wirksamkeit an, die ebenfalls als negative Folgen des Arzneimittelmangels für die Patienten wahrgenommen werden. In einem Kommentar aus Belgien heißt es, es sei offensichtlich, dass die Belastung für Apotheker und Patienten immer problematischer wurde. Es sei wahrscheinlich, dass ein anhaltender und unvorhersehbarer Mangel an lebenswichtigen Arzneimitteln wie bestimmte Diuretika und Antikoagulanzien bei gefährdeten Patienten zu einer Destabilisierung, Krankenhauseinweisungen und in einer begrenzten Anzahl komplexer Fälle möglicherweise auch zu frühen Todesfällen geführt haben könnte.

Vertrauensverlust und Mehrkosten in den Apotheken

Auch für die Apotheken selbst hatten die Engpässe nachteilige Folgen. Die meisten Länder gehen davon aus, dass der Mangel an Arzneimitteln das Vertrauen der Patienten in die öffentlichen Apotheken beeinträchtigt. Hinzu kommen finanzielle Verluste aufgrund der Zeit, die in die Lösung der Probleme durch Engpässe investiert werden musste (20 Länder), zusätzliche Kosten durch Umstellungen bei der Lagerhaltung, Ausgaben für Importe (13 Länder). 19 Länder haben außerdem eine geringere Zufriedenheit der Mitarbeiter beobachtet.

Alternativlösungen unterliegen oft Beschränkungen

Nach den Umfrageergebnissen bestehen in den europäischen Ländern große Unterschiede in Bezug auf rechtliche Lösungen, die Apotheker im Falle eines Mangels anbieten können. Die generische Substitution (19 Länder), die Beschaffung desselben Arzneimittels aus alternativen zugelassenen Quellen, z. B. aus anderen Apotheken (15 Länder) und die Einfuhr des Arzneimittels aus einem Land, in dem es verfügbar ist (11 Länder) sind in den meisten europäischen Ländern möglich. Einige dieser Lösungen unterliegen jedoch Beschränkungen (z. B., dass eine neue Verschreibung erforderlich ist). Überdies können die Lösungen für den Patienten und den Apotheker umständlich und zeitaufwändig sein.

6,6 Stunden Mehrarbeit pro Woche wegen Lieferengpässen

Die Zeit, die das Apothekenpersonal für die Behandlung von Medikamentenverknappungen aufwenden muss, ist von 5,6 Stunden pro Woche (2018) auf durchschnittlich 6,6 Stunden pro Woche gestiegen. In einem Viertel der Länder gibt es nach der Umfrage offenbar immer noch kein Meldesystem für Engpässe, das die Apotheker nutzen können, obwohl Apotheker laut PGEU Lieferschwierigkeiten häufig schon bemerken, bevor die Industrie oder der Großhändler weiß, dass es ein Problem gibt oder geben wird. Offizinapotheker erhalten die benötigten Informationen über Verknappungen in den meisten Ländern von Großhändlern oder Arzneimittelbehörden (17 bzw. 16 Länder) oder von Apothekenorganisationen (10 Länder).

„Situation ist nicht mehr erträglich und akzeptabel“

„Die Ergebnisse für 2019 verdeutlichen die hohe Inzidenz, den anhaltenden Anstieg der Zahl der Arzneimittelknappheit in den meisten europäischen Ländern und ihre täglichen und belastenden Auswirkungen auf die Patienten und die Apothekenpraxis in ganz Europa“, betont PGEU-Präsident Duarte Santos angesichts der neuen Zahlen. „Sie weisen auch auf die bestehende Lücke bei den benötigten Informationen, Instrumenten und rechtlichen Möglichkeiten hin, die Apothekern zur Verfügung stehen, um Patienten im Falle eines Mangels Lösungen zu bieten. Wir empfehlen politischen Entscheidungsträgern und Interessenträgern dringend, diese auffälligen Trends zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend darauf zu reagieren, da die Situation für Patienten und Gesundheitsdienstleister in ganz Europa nicht mehr erträglich und akzeptabel ist."



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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