Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern

Wer braucht Modellversuche zum E-Rezept und wofür?

Rostock - 11.11.2019, 09:00 Uhr

Dr. Dr. Georg Engel, Präsident der Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern, diskutierte mit seinen Gästen auf dem Apothekertag in Rostock über E-Rezept-Modellprojekte. (Foto: tmb)

Dr. Dr. Georg Engel, Präsident der Apothekerkammer Mecklenburg-Vorpommern, diskutierte mit seinen Gästen auf dem Apothekertag in Rostock über E-Rezept-Modellprojekte. (Foto: tmb)


„Uns braucht keiner zur Digitalisierung zu treiben“, erklärte Kammerpräsident Dr. Dr. Georg Engel beim Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern angesichts der vielen digitalen Funktionen in Apotheken. Beim Apothekertag am 9. November in Rostock ging es um Chancen durch neue digitale Leistungen und um Risiken des E-Rezepts. Umstritten blieb, ob die vielen Modellversuche eher Nutzererfahrung bieten sollen, ein Wettrennen darstellen oder angesichts fehlender Gematik-Vorgaben nur „Theorie“ sind.

Der Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern war wieder in das Fortbildungswochenende der Scheele-Tagung eingebettet. Beim Apothekertag ging es diesmal allein um die Digitalisierung. Engel forderte, beim E-Rezept müssten der Datenschutz und die freie Apothekenwahl gewährleistet sein. Denn sogar Daten aus Apps von Krankenversicherungen würden an US-amerikanische Unternehmen abfließen. Derzeit würden die Apotheker von Akteuren bedrängt, mit denen sie sonst nichts zu tun hätten. Obwohl die Details des E-Rezepts noch nicht feststünden, würden derzeit alle versuchen sich zu positionieren. Zudem kritisierte Engel, die verantwortlichen Politiker hätten das Digitale-Versorgung-Gesetz nicht genutzt, um das Makelverbot und die Honorierung der Apotheker zum E-Medikationsplan zu regeln. „Man will es nicht“, folgerte Engel.

CDU will Vertrauen zurückgewinnen

Sebastian Ehlers, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern, konstatierte „einigen Dissens“ zwischen der CDU und den Apothekern. Darum sei es wichtig, verlorengegangenes Vertrauen durch politisches Handeln zurückzugewinnen. Ehlers ging auf die Bedenken der Apotheker ein. Es sei „wichtig, dass das Makeln problematisiert wird“, es solle keine Rezeptzuweisungen geben, die Versorgung dürfe nicht zum Spielball von Experimenten werden und was im Koalitionsvertrag stehe, sollte man auch umsetzen, erklärte Ehlers. Doch klare Zusagen machte er nicht.

Froese: Modelle sind Theorie

Dr. Peter Froese, Vorsitzender des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein und Digitalexperte in der ABDA, betonte, dass die Gematik erst im Frühjahr die Details für das E-Rezept spezifizieren werde. „Alles andere ist Theorie“, erklärte Froese und stellte damit den Zweck vieler derzeitiger Modellprojekte in Frage. Die E-Rezepte würden vom Arzt in die Telematikinfrastruktur eingestellt und von der Apotheke ausgelesen. Doch es werde keine eigene Infrastruktur für einzelne App-Anbieter geben. Der Patient erhalte den Zugriffscode auf einem Zettel oder seinem Handy. Die Alternative sei eine wettbewerbsneutrale Plattform, wie sie beispielsweise in den Niederlanden existiere. Da das E-Rezept eine Pflichtanwendung werden solle, hätten die Patienten Anspruch auf staatlichen Schutz. Darum sollte der Staat selbst eine neutrale Plattform betreiben oder eine Institution mit einem diskriminierungsfreien System beauftragen, forderte Froese und spielte damit auf die Web-App des Deutschen Apothekerverbandes an. Dabei sei eine technische Lösung nötig, denn Gesetze würden bei der Datenverarbeitung im Ausland nicht greifen, erst recht nicht bei potenziellen britischen Anbietern nach dem Brexit.

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Die Apotheker seien nicht rückwärtsgewandt, sondern sähen auch die Chancen der Digitalisierung. Dazu verwies Froese auf das Digitalmanifest des Apothekerverbandes Schleswig-Holstein. Demnach sollten digitale Instrumente immer nur Hilfsmittel sein, aber kein Selbstzweck. Alle digitalen Prozesse müssten sich am Nutzen für die Patienten ausrichten. Doch Froese warnte, es bestehe jetzt eine fatale Tendenz: „Diese Grundsätze werden auf dem Altar des Wettbewerbs vergessen.“ Digitale Anwendungen in Verbindung mit der Hilfe des Apothekers böten sehr viel Potenzial, beispielsweise gegen „Morbus Google“, also gegen die Verunsicherung durch widersprüchliche Informationen aus dem Internet. Mit Blick auf die Chancen für die Arzneimitteltherapiesicherheit mahnte Froese zudem: „Nur richtige Daten sind gute Daten.“ Froese machte Mut für viele neue Aufgaben der Apotheken. Kostenvorteile für die Apotheken erwartet er jedoch nicht. Kürzlich hatte Froese für Schleswig-Holstein ein eigenes E-Rezept-Modell angekündigt.

TK: Modelle bringen Nutzererfahrung

Dr. Frank Verheyen, Techniker Krankenkasse, stimmte Froese beim Datenschutz und beim Makelverbot zu. Außerdem müsse der Patient durch das E-Rezept einen Vorteil erleben und die Anwendung als bequem empfinden. Zugleich verteidigte Verheyen das Modellprojekt der Techniker Krankenkasse in Hamburg-Wandsbek. Dort seien derzeit etwa 100 Versicherte eingeschrieben. Dabei gehe es um Nutzererfahrung bei allen Beteiligten. Der technische Prozess des E-Rezeptes sei letztlich nicht entscheidend. Dagegen erwartet Verheyen weitere nützliche digitale Dienste für die Patienten und bessere Daten. Diese böten den Apotheken eine bessere Grundlage für ihre Beratung. Daraufhin sieht Verheyen die Apotheker künftig „noch mehr als bisher in der kommunikativen Rolle“.

GERDA: Modelle als Wettrennen

Dr. Karsten Diers, Geschäftsführer der Landesapothekerkammer Baden-Württemberg, konstatiert dagegen derzeit ein „Wettrennen“ der Modellprojekte. Das Ziel sei es, der Gematik rechtzeitig ein funktionsfähiges Konzept zu präsentieren, an dem sie ihre Vorgaben orientieren könne. Dafür sieht Diers das GERDA-Projekt seiner Kammer gut aufgestellt. Dieses war zwei Tage zuvor gestartet. Die ersten Rezepte seien bereits bis zur Abrechnung durchgelaufen. Das Projekt nutze so weit wie möglich die bestehenden Strukturen und Schnittstellen in der Apotheke. GERDA solle keine Insellösung sein. Auch das Projekt der Berliner Apotheker werde diese Technik nutzen.

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Apotheker verantwortlich für Datenschutz

Lydia Kämpfe, Justiziarin des Landesdatenschutzbeauftragten von Mecklenburg-Vorpommern, betonte die datenschutzrechtlichen Bedenken: „Technisch ist alles möglich“. Recht und Gesetz seien darum der letzte Schutzwall. Ein großes Problem sei, dass hinter jedem Systembeteiligten Dienstleister und Betreiber von Betriebssystemen stünden, die „alle scharf auf Daten sind“. Als Spielregeln für das E-Rezept forderte Kämpfe Freiwilligkeit, Datensicherheit, die klare Aufteilung der Verantwortung und Transparenz für die Patienten. Um die Haftung zu regeln, sei ein Gesetz besser als Verträge. Problematisch sei auch, dass Beteiligte wie Apotheken ihre Dienstleister über den Umgang mit den Daten belehren müssten, oft ohne den Hintergrund zu kennen. Außerdem sei der Datenschutz fraglich, wenn Daten über Dienstleister ins Ausland fließen. Die Apotheken seien datenschutzrechtlich verpflichtet, die Patienten zu informieren, wo die Daten hinfließen. Doch das sei nicht zu überblicken und die Apotheken könnten sich der Telematikinfrastruktur auch nicht entziehen. Allerdings werde der Datenschutzbeauftragte von Mecklenburg-Vorpommern dies berücksichtigen und den Datenschutz „in nächster Zeit nicht brachial durchsetzen“.

E-Rezepte ausdrucken?

In der anschließenden Diskussion ging es überwiegend um die praktische Umsetzung des E-Rezeptes in der Apotheke. Froese erwartet aufgrund der Erfahrung ausländischer Apotheken, dass E-Rezepte in den Apotheken ausgedruckt werden, um sie intern bearbeiten zu können. Die Apotheken sollten zunächst etwa 30 Prozent E-Rezepte erwarten. Es sei zu überlegen, an welchem Arbeitsplatz elektronisch übermittelte Rezepte bearbeitet werden. Verheyen entgegnete, dass die E-Rezepte im Hamburger Pilotprojekt in der Apotheke volldigital bearbeitet würden. Zur Sorge der Ärzte um den praktischen Aufwand beim Unterschreiben von E-Rezepten erklärte Froese, die Ärzte würden damit auch einen Kampf im Interesse der Apotheker führen. Denn auch die Apotheker müssten Rezepte abzeichnen und wünschten sich dafür ein praktikables Verfahren. Als weitere Problemfelder wurden die Netzabdeckung im ländlichen Raum, die Ausfallsicherheit und das Zusammenfassen mehrerer Verordnungen für denselben Patienten angesprochen. Über diese und viele andere Themen werden die Systembeteiligten verhandeln müssen.

Als Fazit aus der Veranstaltung folgerte Engel, dass der Apothekertag Mecklenburg-Vorpommern die Einführung des E-Rezeptes begrüßt. Doch fordern die Apotheker, das Makelverbot für E-Rezepte zeitnah einzuführen, die geplanten neuen pharmazeutischen Dienstleistungen umzusetzen und die Apotheken für den E-Medikationsplan zu honorieren.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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