Evidenzbasierte Pharmazie in der Apotheke

Ist das „neue“ Aspirin besser als ASS-Generika?

Berlin - 22.03.2019, 17:00 Uhr

Dr. André Wilmer und Dr. Oliver Schwalbe erklärten, wie Apotheker evidenzbasiert in der Apotheke beraten können. (s / Foto: DAZ)

Dr. André Wilmer und Dr. Oliver Schwalbe erklärten, wie Apotheker evidenzbasiert in der Apotheke beraten können. (s / Foto: DAZ)


50 Minuten schnellere Schmerzlinderung

Mit dem „Surrogattrick“ ist Bayer nicht allein auf weiter Flur. Die beiden in klinischer Pharmazie promovierten Apotheker haben als weiteres Beispiel Pinimenthol® der Firma Schwabe mitgebracht. Schwabe Pharma bewirbt ihre Pinimenthol®-Salbe verglichen mit anderen ätherischen-Öl-haltigen Erkältungssalben mit: „Höchster Anteil an ätherischen Ölen" und gibt auf der Homepage den Patiententipp: „Vergleichen Sie! Fragen Sie in Ihrer Apotheke nach dem Gehalt an ätherischen Ölen von anderen Erkältungssalben.“ Doch in welchem Zusammenhang steht der Gehalt an ätherischen Ölen mit der klinischen Wirksamkeit, dass der Patient besser atmen kann, der Husten sich besser löst und der Patient schneller gesund wird, „wie viel ätherisches Öl benötige ich dafür?", fragt Schwalbe und gibt sogleich die Antwort: „Das weiß kein Mensch". Sein Tipp: „Bei Surrogatparametern immer kritisch sein".

Doch zurück zum Aspirin®. Bayer zeigt in seiner Broschüre auch ein Diagramm, die Abbildung veranschaulicht auf der x-Achse die Zeit bis zur spürbaren Schmerzlinderung und auf der y-Achse den Prozentsatz der Patienten mit einer deutlich spürbaren Schmerzlinderung. Bei dem „neuen“ Aspirin wird die 50-Prozent-Marke der Patienten mit spürbarer Schmerzlinderung deutlich schneller geknackt als mit dem alten Aspirin. Zugrunde liegt eine Studie „Evaluation of onset pain relief from micronized aspirin in a dental pain model", publiziert 2012 in Inflammopharmacolgy. Die Wissenschaftler fanden, dass nach Extraktion von Weisheitszähnen, die Patienten mit 1000 mg mikronisiertem Aspirin® eine bedeutsame Schmerzlinderung nach 49,4 Minuten erlangten, bei klassischem Aspirin® mit 1000 mg dauerte es 50 Minuten länger: 99,2 Minuten.

Schmerzmodell: Zahn-OP-Studie für Kopfschmerzen?

Die Werte klingen gut, auch Schwalbe ist der Ansicht: „50 Minuten schnellere Schmerzlinderung können die Lebensqualität eines Patienten durchaus erhöhen". Jedoch: Sind diese Studienzahlen überhaupt übertragbar? Immerhin litten die untersuchten Patienten an Zahnextraktions- und nicht an Kopfschmerzen. 

Dass die Extraktion von Weisheitszähnen modellhaft zur Untersuchung von Schmerzmitteln herangezogen wird, ist nicht ungewöhnlich – auch wenn der Pathogenese des Schmerzes bei einer traumatischen Zahn-OP sicherlich andere Ursachen zugrunde liegen als bei Kopfschmerzen. Dieses Schmerzmodell habe jedoch praktische Gründe, erklärt Oliver Schwalbe den Workshopteilnehmern. Kopfschmerzen seien „weit gefächert und eher diffus“, wann exakt der Schmerz starte, könnten Patienten meist nicht klar umreißen. Anders bei einer Zahnextraktion: „Hier lösen Sie auf Knopfdruck Schmerzen aus“, erklärt Schwalbe. Auch das „Handling“ der Patientenkontakte sei bei Zahnextraktionen deutlich einfacher und praktikabler: Der Patient sitze bei einer OP schließlich bereits in der Praxis – Kopfschmerzen hingegen träten selten auf Kommando im Studienzentrum auf, so der Apotheker.

Auch FDA und EMA sind dieser Ansicht. Die US-amerikanische und Europäische Arzneimittel-Agentur bewerten Weisheitszahnextraktionen als geeignetes Schmerzmodell für milde bis moderate Schmerzen. Die „Guideline on the clinical development of medicinal 5 products intended for the treatment of pain“ veröffentlichte die EMA bereits 2013.

Wie valide sind nun diese Studiendaten? Wie war die Verblindung, die Randomisierung, wurde nach Intention-to-Treat ausgewertet und alle, die ursprünglich randomisiert wurde auch in die Auswertung miteinbezogen? Auch darauf sollten Apotheker bei der Studienbewertung ein kritisches Auge haben, mahnt Schwalbe. „Im Idealfall ist alles gleich gemacht, und nur die Intervention macht den Unterschied!", so der Apotheker.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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