Lunapharm-Affäre

Die zweifelhaften Rabattverträge der Kassen mit Parallelhändlern

Berlin - 20.09.2018, 11:30 Uhr

Einige Krankenkassen haben Rabattverträge mit dem Arzneimittelhändler NMG Pharma, der wiederum Beziehungen zum umstrittenen Händler Lunapharm unterhielt. DAZ.online hat das Vertriebssystem analysiert. (b / Foto: Imago)

Einige Krankenkassen haben Rabattverträge mit dem Arzneimittelhändler NMG Pharma, der wiederum Beziehungen zum umstrittenen Händler Lunapharm unterhielt. DAZ.online hat das Vertriebssystem analysiert. (b / Foto: Imago)


Der Großhändler NMG Pharma ist Rabattpartner diverser Krankenkassen für Biopharmazeutika wie Enbrel® oder Humira®. Bis vor kurzem pflegte NMG auch enge Geschäftsbeziehungen zum Brandenburger Pharmahändler Lunapharm. Nun hat die AOK Sachsen-Anhalt, die selbst Rabattverträge mit NMG unterhält, das Unternehmen aufgefordert,  klarzustellen, dass diese Geschäftsbeziehungen gänzlich beendet sind. Anderenfalls werde die Kasse die Rabattverträge kündigen. 

Im Zuge der Lunapharm-Affäre geriet auch ein Bonner Pharmahändler ins Blickfeld: NMG Pharma. Der Großhändler war nach eigenem Bekunden Logistikpartner von Lunapharm. Wer bei Lunapharm bestellte, bekam nach Informationen von DAZ.online durchaus auch Ware von NMG. Doch nachdem das ARD-Magazin Kontraste die mutmaßlich zwielichtigen Vertriebswege von Griechenland ins brandenburgische Mahlow aufgedeckt hatte, erklärte NMG seine Geschäftsbeziehungen mit Lunapharm für beendet.

Mittlerweile hat NMG mehrere hochpreisige Biopharmazeutika zurückgerufen – darunter Enbrel (Etanercept) und Humira (Adalimumab). Der Grund: „Verdacht auf Unstimmigkeiten in der Lieferkette“. Die Rückrufe seien freiwillig und in Abstimmung mit der Bezirksregierung Köln erfolgt, hieß es.

Die AOK Sachsen-Anhalt hat auf diese Rückrufe ein besonders waches Auge. Denn sie hat mit NMG im Open House-Verfahren geschlossene und noch laufende Rabattverträge über Enbrel und Humira. Die Kasse beziehungsweise ihre Versicherten waren damit direkt vom Rückruf betroffen. Vergangene Woche ließ die AOK Sachsen-Anhalt wissen, dass das zuständige Landesverwaltungsamt die Apotheken identifiziert habe, in denen die zurückgerufenen Chargen ausgegeben wurden. Von den benannten Chargen sei noch eine Packung in einer Apotheke verfügbar gewesen. Diese sei nun in Quarantäne genommen worden. 

AOK verlangt „zufriedenstellende“ Erklärung

Jetzt stellt die Kasse Forderungen an NMG Pharma: Man erwarte von einem Rabattpartner Klarheit, dass „keine weiteren unwirksamen Medikamente nach Sachsen-Anhalt gekommen sind oder noch kommen“, so eine Sprecherin. „Das nehmen wir sehr ernst“. Und weiter: „Sollte das Unternehmen uns nicht zufriedenstellend darstellen, dass alle Geschäftsbeziehungen mit Lunapharm beendet wurden und NMG-Produkte bedenkenlos an unsere Versicherten abgegeben werden können, werden wir unseren Rabattvertrag Ende der Woche kündigen“. Nun bleibt abzuwarten, wie NMG reagiert.

Immerhin: Was die Wirksamkeit der Arzneimittel betrifft, die noch bei Lunapharm als Rückstellmuster oder bei Transportunternehmen sichergestellt werden konnten, gab am gestrigen Mittwoch die neue Brandenburger Gesundheitsministerin Susanna Karawanskij (Linke) Entwarnung: Nach den nun abgeschlossenen Laboruntersuchungen wurde bei keiner der insgesamt 39 Proben die Qualität der Medikamente beanstandet. Nur eine Rückstellprobe war schon im Januar 2016 abgelaufen. Bei ihr wurde eine geringfügige Abweichung bei einem der untersuchten Parameter festgestellt.

Rabattpartner ohne Herstellungserlaubnis?

Der Fall NMG Pharma ist aber auch unter einem anderen Blickwinkel interessant. Denn man kann sich durchaus fragen, wie es sein kann, dass eine Krankenkasse mit einem Unternehmen einen Rabattvertrag schließt, das gar nicht selbst Hersteller, sondern lediglich Großhändler ist. Laut § 130a SGB V schließen die Kassen Rabattverträge mit „pharmazeutischen Unternehmern“.

§ 4 Abs. 18 Arzneimittelgesetz definiert den pharmazeutischen Unternehmer: „Der pharmazeutische Unternehmer ist bei zulassungs- oder registrierungspflichtigen Arzneimitteln der Inhaber der Zulassung oder Registrierung. Pharmazeutischer Unternehmer ist auch, wer Arzneimittel im Parallelvertrieb oder sonst unter seinem Namen in den Verkehr bringt (...)."

NMG Pharma erklärt dazu, es sei im Rahmen des Parallelimports Inhaber einer entsprechenden vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte erteilten Parallelimportzulassung. Damit sei es als Zulassungsinhaber tätig und zugleich pharmazeutischer Unternehmer. Eine eigene Herstellungserlaubnis nach § 13 AMG sei nicht nötig, weil das Unternehmen die Herstellungsaktivitäten nicht selbst sondern extern durchführe. „Dies ist gängige Praxis“, so die Geschäftsführerin des Unternehmens gegenüber DAZ.online. 

AOK Sachsen-Anhalt: Keine eigenen Prüfbefugnisse

Für die AOK Sachsen-Anhalt stellte sich der Sachverhalt damit so dar: NMG hatte von den zuständigen Behörden eine Zulassung für den deutschen Markt, ebenso hatten die Medikamente Humira und Enbrel eine Zulassung durch die EMA. „Dies ist für uns als gesetzliche Krankenkasse maßgebend, da wir selbst keine Prüfbefugnisse haben. Solange die Behörden nicht anderweitig entscheiden, sind die Medikamente im Markt erhältlich und wir müssen das Unternehmen als möglichen Rabattpartner in Betracht ziehen“.

Übrigens haben auch die AOK Plus und die AOK Hessen Rabattverträge mit NMG über Enbrel. Ein Sprecher der AOK Hessen erklärte auf Nachfrage von DAZ.online, man habe im September den Vertrag mit NMG ordentlich zum 31. Oktober 2018 gekündigt –  „gleichwohl nach Angaben von NMG die rabattierten Wirkstoffe vom aktuellen Chargenrückruf überhaupt nicht betroffen sind“.


Anmerkung der Redaktion: Die Erklärung der AOK Hessen zur Kündigung des Vertrags wurde am 20. September um 12:55 Uhr ergänzt. Am 21. September folgte eine Korrektur zur rechtlichen Frage, woher die pU-Eigenschaft von NMG rührt.



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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2 Kommentare

Rabattpartner ohne Herstellerlaubnis

von Jörg Geller am 20.09.2018 um 15:52 Uhr

Der klassische Re- oder Parallelimporteur benötigt eine Herstellerlaubnis, weil er das Präparat kennzeichnet, um sie für den deutschen Markt verkehrsfähig zu machen. Wenn ein Unternehmen nur europäisch zugelassene Präparate vertreibt, die bereits auch deutsch gekennzeichnet sind, wird logischerweise keine Herstellerlaubnis benötigt. Das reine Aufbringen einer PZN gilt nicht als Herstellung. In diesem Fall reicht eine Großhandelserlaubnis. Das ist vollkommen nachvollziehbar. Allerdings wird der Großhändler zum Pharmazeutischen Unternehmer, da er das Präparat unter seinem Namen in Verkehr bringt. Als solcher übernimmt er auch die entsprechende Haftung. Auch das ist folgerichtig und darauf kommt es an.

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Rabattpartner ohne Herstellerlaubnis

von Dr. Andreas van de Valk am 21.09.2018 um 8:03 Uhr

Artikel 40 Abs. 2 der RL 2001/83/EG

Also Apotheker aus Frankreich schickt an Apotheker in Deutschland, der deutschen Beipackzettel beifügt - Patient wird beraten und gut.

Parallelimport war also nie nötig. Somit kann die Importquote weg. Hintergrund gut dargestellt von Herrn Geller.

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