Kardiovaskuläre Nebenwirkungen

Wegen Herzinfarktrisiko: Dänische Forscher empfehlen Rezeptpflicht für Diclofenac

Berlin - 07.09.2018, 16:30 Uhr

Wie sehr geht Diclofenac aufs Herz? Dänische Forscher nehmen das bewährte NSAR-Analgetikum unter die Lupe. (m / Foto: Imago)

Wie sehr geht Diclofenac aufs Herz? Dänische Forscher nehmen das bewährte NSAR-Analgetikum unter die Lupe. (m / Foto: Imago)


Versorgungsdaten aus Dänemark bestätigen, was seit längerem vermutet wurde: Diclofenac erhöht das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. Diese Nebenwirkung war stärker ausgeprägt als bei anderen OTC-Analgetika, wie etwa Ibuprofen oder Naproxen. Aus Sicht der Autoren sollte Diclofenac nur noch auf Rezept erhältlich sein und auch dann die Verschreibung sorgfältig abgewogen werden.

OTC-Schmerzmittel sind langfristig nicht gut fürs Herz – diesen Verdacht haben Wissenschaftler seit Jahren. Doch wie groß ist das Risiko wirklich und vor allem für das häufig verwendete Diclofenac im Vergleich zu anderen Analgetika? Dieser Frage sind Wissenschaftler aus Dänemark nachgegangen und haben die Daten von 6,3 Millionen Menschen ausgewertet. Die Ergebnisse ihrer Analyse wurden vor wenigen Tagen im British Medical Journal publiziert.

Analgetika-Risiken im Vergleich

Als Grundlage dienten nationale Versorgungsdaten von dänischen Versicherten, die im Zeitraum von 1996 bis 2016 mit der Einnahme von Diclofenac, Ibuprofen, Paracetamol oder Naproxen begonnen hatten. Davon nahmen 1,4 Millionen Diclofenac, 3,9 Millionen Ibuprofen, knapp 300.000 Patienten Naproxen und 760.000 Paracetamol ein. Die Daten von 1,3 Millionen Personen, die keine Schmerzmittel einnahmen, wurden als Referenzwerte herangezogen.

Das Durchschnittsalter der Diclofenac- und Ibuprofenpatienten lag bei 46 beziehungsweise 49 Jahren. Diejenigen, die Paracetamol erhielten, waren im Schnitt 56 Jahre alt. Vorerkrankungen, die das Herz-Kreislaufrisiko stark erhöhen, wie etwa koronare Herzkrankheit (KHK), Vorhofflimmern (VHF), ein zuvor erlittener Herzinfarkt, Schlaganfall oder Thrombosen galten als Ausschlusskriterium. Die Wissenschaftler werteten aus, welche und wie viele kardiovaskuläre Ereignisse 30 Tage nach Beginn der Schmerzmitteleinnahme erstmals auftraten. Dabei zählten unter anderem Vorhofflimmern, ischämischer Schlaganfall, Herzinsuffizienz, Herzinfarkt sowie Herztod zu dem Kombinationsendpunkt „schwere kardiovaskuläre Risiken“.

Diclofenac verdoppelt Herz-Kreislauf-Risiko

In der Diclofenac-Gruppe traten doppelt so viele schwere kardiovaskuläre Ereignisse auf wie in der Kontrollgruppe. Im Einzelnen war das Herzinfarktrisiko um 90 Prozent, das Schlaganfallrisiko um 60 Prozent und das Risiko für den Tod durch Herzinsuffizienz um 130 Prozent erhöht. Die Gefahr für Herz, Hirn und Gefäße, die von Diclofenac ausging, war zudem größer als die der anderen Analgetika. So war das Risiko für schwere kardiovaskuläre Risiken durch Diclofenac um 20 Prozent höher wie unter Paracetamol oder Ibuprofen, im Vergleich zu Naproxen um 30 Prozent.

Auch das Risiko für gastrointestinale Blutungen war unter Diclofenac deutlich erhöht – und zwar um das 4,5-fache im Vergleich zur Kontrollgruppe und um den Faktor 2,5 im Vergleich zu denen, die Ibuprofen oder Paracetamol einnahmen. Das Risiko für Magen-Darm-Blutungen unter Naproxen und Diclofenac war ähnlich.

„Kein Grund, Diclofenac zu bevorzugen“

Die Autoren nehmen die Ergebnisse zum Anlass, den Einsatz von Diclofenac kritisch zu beleuchten. Angesichts der kardiovaskulären Risiken und der erhöhten Rate an gastrointestinalen Blutungen gebe es keinen Anlass, Diclofenac gegenüber anderen Analgetika zu bevorzugen, schreiben die Forscher in ihrer Schlussfolgerung. Zudem plädieren sie dafür, dass Diclofenac nur auf Rezept erhältlich sein sollte. Diese Empfehlung geht wohl über die Landesgrenzen hinaus, denn in Dänemark fällt Diclofenac seit dem 14. Dezember 2008 wieder unter die Verschreibungspflicht.

Klinische Schlussfolgerungen stützen sich optimalerweise auf die Ergebnisse prospektiver, kontrollierter, klinischer Studien. Bei der zitierten Publikation handelt es sich um die retrospektive Auswertung von Versorgungsdaten, die nicht für die untersuchte Fragestellung angelegt wurden, was ihre Aussagekraft mindert. Außerdem fehlen detaillierte Angaben zu den Analgetikadosierungen. Die Forscher haben zwar die Diclofenacdosierungen in „niedrig“ und „hoch“ eingeteilt und die Effekte auf das Herz-Kreislaufrisiko als konsistent über die beiden Dosierungen befunden. Die exakte Ableitung einer Dosis-Wirkungsbeziehung ist auf dieser Datenbasis nicht möglich.

In Deutschland sind Diclofenactabletten in der Stärke 25 Milligramm zur Anwendung von maximal vier Tagen in einer Tageshöchstdosis von 75 Milligramm verschreibungsfrei. Unabhängig davon, ob die Ergebnisse in Deutschland zu weiteren Sicherheitsbeschränkungen führen oder nicht, sollten Apotheker das kardiovaskuläre Risiko in der Beratung im Hinterkopf behalten. Insbesondere bei Patienten, die bereits an Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden und die aufgrund ihres Alters öfter mal ein Schmerzmittel gegen Gelenk- und Rückenschmerzen benötigen.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Diclofenac vs NSAR

von G.v.S. am 10.09.2018 um 11:46 Uhr

Ist irgendwo dokumentiert, welche Dosierung verabreicht wurde?
Sind unterschiedliche orale Darreichungsformen (z.B. retard)
zur Anwendung gekommen?

» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort

AW: Diclofenac vs NSAR

von Kritiker am 12.09.2018 um 7:51 Uhr

Ja, in der Arbeit gilt Tagesdosis 150 mg als hoch dosiert bzw Tagesdosis 100 mg und kleiner als niedrig dosiert. Für hohe und niedrige Dosierungen besteht lt der Arbeit erhöhtes Risiko.

Verglichen wurde mit Ibuprofen Tagesdosis 1.200 mg und kleiner bzw Naproxen 500 mg und kleiner, was IMO nicht praxisgerecht ist. Zusätzliche Berücksichtigung höherer Ibuprofen und Naproxen Tagesdosen wäre für künftige Arbeiten hilfreich.

Für Rezeptpflicht.

von Kritiker am 08.09.2018 um 14:25 Uhr

Bzgl der für die Tablettenform beworbenen Anwendungen habe ich zudem Zweifel an der Sinnhaftigkeit, da nach meinen Erfahrungen Ibuprofen und Ibuprofen Lysin weit überlegen sind.

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