Arzneimittel und Therapie

Kommentar: Coxibe – wie groß ist das kardiovaskuläre Risiko wirklich?

Etwa die Hälfte aller Deutschen sterben an kardiovaskulären Erkrankungen Ų kein Wunder, dass der Hinweis auf ein erhöhtes Risiko durch Medikamente uns besonders erregt! Seit fast zwei Jahren stehen nun die Cyclooxygenasehemmer (zunächst die selektiven, z. B. Rofecoxib [Vioxx®], dann auch die nicht-selektiven, z. B. Diclofenac) im Ruf, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Infarkt und Schlaganfall zu begünstigen.

Kaum hatten die FDA und EMEA festgestellt, dass dieses Risiko zwar real, aber nicht sehr hoch ist und vor allem für Patienten mit vorgeschädigtem Herz-Kreislauf-System besteht, da hat eine Publikation im Verbandsorgan der Deutschen Internisten (Sawicki, P.; et al., Medizinische Klinik 101, 191 [2006]) durch den Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Prof. Dr. Peter Sawicki, die Gemüter erneut erregt – schließt Herr Sawicki doch, wie er schreibt, auf der Basis einer Reihe von "vereinfachenden Annahmen" darauf, dass zwischen 2000 bis 16.000 Deutsche aufgrund der Einnahme von Rofecoxib (Vioxx®) schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen erlitten haben. Auf der anderen Seite versucht die Firma Pfizer weiterhin zu belegen, dass Celecoxib frei von diesen Risiken ist. Diese Arbeiten sollen hier kommentiert werden.

Die Zahl, die uns alle gruseln lässt – ist sie gerechtfertigt?

Die Schätzungen von Sawicki et al. sind schwer nachzuvollziehen, fußen sie doch auf der so genannten VIGOR-Studie, in der die Anwendung der doppelten der zur Dauertherapie erlaubten Rofecoxib-Dosis (50 mg/d) bei Patienten mit rheumatoider Arthritis (deutlich erhöhtes Herz-Kreislauf-Risiko) verwendet wurde. Die Vergleichsgruppe erhielt Naproxen (1g/d), das heißt weniger als die in Deutschland oder USA erlaubte Höchstdosis. Wie erwartet und heute fast vergessen, kam es unter Rofecoxib nur zu etwa halb so vielen schweren gastrointestinalen Blutungen, Perforationen etc. Auf der anderen Seite traten etwa doppelt so viele Infarkte in der Rofecoxib- im Vergleich zur Naproxen-Gruppe auf. Aus diesem Risikounterschied und den Verordnungszahlen in Deutschland in der Zeit von 2001 bis 2004 schätzt Herr Sawicki die Anzahl, die uns alle gruseln lässt. Die Frage ist nur, ob ein solcher Schluss gerechtfertigt ist. Lassen Sie uns das Vorgehen verfremden: Dürfen wir z. B. aus der Anzahl der Unfälle beim Durchfahren einer Passstraße mit der doppelten der erlaubten Geschwindigkeit auf das Risiko schließen, einen Verkehrsunfall beim Fahren auf der Autobahn mit der erlaubten Geschwindigkeit zu erleiden? Ich meine nein!

Alle Cyclooxygenasehemmer erhöhen das kardiovaskuläre Risiko ...

Inzwischen sind fast alle Fachleute der Meinung, dass alle Cyclooxygenasehemmer – selektiv und nicht-selektiv – das kardiovaskuläre Risiko erhöhen: Viele seriöse klinischen Studien weisen darauf hin. So konnten z. B. Hippisley-Cox und Mitarbeiter unter der Anwendung von Diclofenac ein höheres kardiovaskuläres Risiko als unter Rofecoxib beobachten (Hippisley-Cox, J.: Brit. Med. J. 331, 1310 –1316 [2005]; die gleichen Autoren zeigten in einer vergleichbaren Analyse übrigens auch, dass Naproxen deutlich mehr Ulcerationen etc. provozierte als Rofecoxib oder Celecoxib: Hippisley-Cox, J.: Brit. Med. J. 330, 1366 [2005]). Nach diesen Studien ließ sich das Risiko der gastrointestinalen unerwünschten Arzneimittelwirkungen durch Magenschutzmedikation bei Verwendung von Diclofenac nicht wesentlich senken!

Gleichzeitig zeigte sich in zahlreichen mechanistischen Untersuchungen, dass die Hemmung der Produktion des Gefäßschutzstoffes Prostacyclin durch Cyclooxygenase-2, selektiv oder nicht-selektiv, die Entwicklung der Atherosklerose begünstigt. Schließlich belegt die anlässlich des FDA-Hearings vorgetragene ADAPT-Studie, dass auch Naproxen – allerdings in niedriger Dosierung – bei mehrjähriger Anwendung die Inzidenz von kardiovaskulären Zwischenfällen erhöht.

... mit zwei Ausnahmen!

Auf der anderen Seite belegen verschiedene Analysen, dass Cyclooxygenasehemmer nicht immer mit einem messbaren kardiovaskulären Risiko einhergehen (Hippisley-Cox, J.: Brit. Med. J. 331, 1310 –1316 [2005]; White, W.; et al: ACC [2006]). Dieses gilt möglicherweise für die analgetische Dosierung von Ibuprofen ebenso wie auch für niedrige Dosierungen von Celecoxib. Große Metaanalysen (Caldwell, B.; et al.: J. R. Soc. Med., 99, 132 [2006]) bzw. Studien mit höheren Dosen (APC-Studie, Solomon, S. C.; et al.: N. Engl. J. Med., 352, 1071 [2005]) machen dann doch die Risiken auch für Celecoxib sichtbar. G. Fitzgerald erklärte anlässlich des FDA-Hearings: "Die ganze Klasse der Cyclooxygenasehemmer erhöht das kardiovaskuläre Risiko. Die Frage ist nur, wie groß die Klasse ist." Er und andere konnten in der Tat zeigen, dass es nur zwei Ausnahmen von dieser Regel gibt: einerseits die niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (100mg/d), andererseits hoch dosiertes Naproxen (1g und mehr/d). Die Erklärung ist einfach: Nur diese Wirkstoffe in den genannten Dosierungen hemmen die Plättchenaggregation nachhaltig und reduzieren auf diese Weise messbar das kardiovaskuläre Risiko – trotzdem ist Naproxen zur Infarktprophylaxe ungeeignet, denn, mehr noch als bei Acetylsalicylsäure, kommt es zu einer deutlichen Erhöhung des gastrointestinalen Risikos.

Celecoxib und Ibuprofen unproblematisch?

Zum Schluss noch ein Wort zur immer wiederholten Behauptung, Ibuprofen und Celecoxib seien sowohl kardiovaskulär als auch gastrointestinal unproblematisch.

Beide Wirkstoffe werden in Deutschland niedrig dosiert bei passageren, leichten Gelenkbeschwerden eingesetzt. Entsprechend gering sind die Probleme, handelt es sich doch oft um gesündere Patienten mit wenigen Beschwerden.

Außerdem ist der Beweis des Nicht-Bestehens eines Risikos wissenschaftlich unmöglich, und da es zahlreiche Arbeiten gibt, in denen belegt ist, dass auch Ibuprofen und Celecoxib mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko einhergehen (s. o.), ist es sowohl wissenschaftlich als auch ärztlich unverantwortlich, dem Patienten vorzutäuschen, dass dieses Risiko nicht bestünde. Ähnliches gilt auch für das Paracetamol, das den Nachteil hat, oft nicht ausreichend zu wirken. Auch Opioide bieten keine Lösung: Schwindel, assoziiert mit Frakturen, Obstipation, Übelkeit und unbefriedigende Wirksamkeit bei muskulo-skelettalen Schmerzen machen auch diese Wirkstoffe nur in seltenen Fällen zu attraktiven Alternativen.

Was ist also zu tun?

Unsere alternde Bevölkerung ist polymorbid, die meisten über 65-Jährigen leiden unter kardiovaskulären Symptomen; sie haben häufig schon Magen-Darm-Blutungen erlebt, aber sie brauchen effektive Therapeutika gegen ihre täglichen Arthroseschmerzen. Wir Wissenschaftler, und mit uns die FDA und EMEA, können daher nur empfehlen, diese Wirkstoffe so niedrig dosiert und so kurzzeitig wie möglich anzuwenden. Darüber hinaus arbeiten viele Forscher, darunter auch wir, daran, bessere prädiktive Marker zu definieren, die es uns erlauben, auch Risikopatienten ohne manifeste klinische Symptome einer beeinträchtigten Herz-Kreislauf-Funktion zu definieren, um diese besonders vorsichtig, gegebenenfalls auch ohne nicht-steroidale Antirheumatika, zu behandeln.

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