Multiresistente Bakterien

Wie Europas Apotheker gegen Antibiotika-Resistenzen kämpfen

Düsseldorf - 30.06.2017, 17:00 Uhr

Apotheker helfen: Der europäische Apothekerverband stellt in einem Bericht die Tätigkeiten von Apothekern aus mehreren Ländern vor, die dazu beitragen, Resistenzen einzudämmen und zu vermeiden. (Foto: jarun011/fotolia)

Apotheker helfen: Der europäische Apothekerverband stellt in einem Bericht die Tätigkeiten von Apothekern aus mehreren Ländern vor, die dazu beitragen, Resistenzen einzudämmen und zu vermeiden. (Foto: jarun011/fotolia)


Weltweit wächst die Zahl potenzieller Krankheitserreger, die gegen eine Vielzahl an Antibiotika resistent sind. Auf dem G20-Gipfel Anfang Juli in Hamburg steht das Thema erstmals auf der Agenda. In vielen Ländern Europas kämpfen Apotheker längst an vorderster Front dagegen. Das machte nun eine Veröffentlichung des europäischen Interessenverbandes der Apotheker PGEU deutlich.

Ndm-1, MRSA, das sind Akronyme, die Epidemiologen Sorgen bereiten. Und das Resistenzgen, das für die Neu-Delhi Metallo-Beta-Lactamase codiert (ndm-1) sowie die Abkürzung für den Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) stehen nur als zwei der bekanntesten Beispiele stellvertretend für ein immer größer werdendes Problem – antibiotikaresistente potenziell krankmachende Mikroorganismen. 700.000 Menschen in jedem Jahr fallen antibiotikaresistenten Krankheitserregern zum Opfer, schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO.

Allein in der Europäischen Union sind es rund 25.000 Tote in jedem Jahr aus diesem Grund. Das Problem ist so gravierend geworden, dass sich nun erstmals die Staats- und Regierungschefs der 19 größten Industrie- und Schwellenländer der Welt sowie der EU beim G20-Gipfeltreffen Anfang Juli in Hamburg mit dem Thema befassen. Auch die Europäische Kommission hat jüngst einen neuen Aktionsplan gegen Antibiotikaresistenzen veröffentlicht – auch weil 1,5 Milliarden Euro jährlich an zusätzlichen Gesundheitskosten das Problem auch zu einem wirtschaftlichen machen.

PGEU gibt Empfehlungen an Regierungen und Patienten

An vorderster Front im Kampf gegen die Resistenzen stehen dabei auch die Apotheker. Das machte jetzt der europäische Interessenverband der Apotheker PGEU (Pharmaceutical Group of European Union), dem auch der ABDA angehört, mit einer Veröffentlichung deutlich, in denen er „Best Practice“-Beispiele aus ganz Europa aufzeigte. Mit der 34 Seiten starken Veröffentlichung „The Community Pharmacist Contribution to Tackling AMR“ (Der Beitrag der Apotheker der Gemeinschaft zum Kampf gegen Antibiotika-Resistenzen) zeigt der PGEU auf, was Apotheker bereits seit längerem gegen das Problem tun – und gibt auch Empfehlungen an die EU-Institutionen, die Mitgliedsstaaten und die Öffentlichkeit.

So sollten die Regierungen bei ihren Aktionsplänen unbedingt die Apotheker miteinbeziehen, mahnt der PGEU an. Das gelte auch für die, die sich koordiniert nicht nur gegen Antibiotikaresistenzen einsetzen, sondern auch gegen nosokomiale Infektionen, also Krankheiten, die sich besonders in Gesundheitseinrichtungen wie Krankenhäusern verbreiten – und die mit Resistenzen häufig in Zusammenhang stehen.

Apotheker im Kampf gegen Impfängste einbinden

Gemeinsame Anstrengungen von Apothekerschaft, Ärzten, Krankenkassen, Regierungen, Industrie, Patienten und der Öffentlichkeit sollten laut PGEU auch darauf zielen, Apotheker noch viel stärker einzubinden, um etwa Ängste gegen Impfungen abzubauen oder sogar um Impfungen zu organisieren. Als Beispiel nennt der Bericht etwa Irland, Portugal, das Vereinigte Königreich und die Schweiz, wo bereits zum Teil in den Apotheken etwa gegen Influenza geimpft werden darf.

Apotheker sammeln alte Antibiotika-Verpackungen ein

Ebenso sei es für den Kampf gegen die Resistenzen wünschenswert, wenn auf Rezepten für antimikrobielle Medikamente die Indikation angegeben wäre, so der PGEU. Schließlich geht ein großer Teil der verschriebenen Antibiotika immer noch auf das Konto von grippalen Infekten, Erkältungen, gegen deren primärer Verursacher, Viren, diese Medikamente vollkommen wirkungslos sind. Apotheker könnten so etwa durch Rücksprache mit dem Arzt unnötige Gabe von Antibiotika vermeiden. In diese Richtung geht auch die Empfehlung des PGEU, dass Apotheker Zugang zu elektronischen Krankenakten haben sollten oder das Medikationspläne verstärkt genutzt werden sollten.

Auch die Vor-Ort-Apotheken (bricks-and-mortar-pharmacies, also „Ziegel und Mörtel“-Apotheken wie sie der PGEU benennt) sollten gestärkt werden, empfiehlt der Verband, um den Online-Handel mit Antibiotika von außerhalb der EU zu unterbinden. Für Online-Apotheken in der EU sollte außerdem das EU-Gemeinschaftslogo besser propagiert werden, empfiehlt der PGEU.

Flugblätter mit genauen Anweisungen zur Antibiotika-Therapy

Dass die über 400.000 Apotheker aus 32 europäischen Ländern (außer den EU-Mitgliedsstaaten auch Beitrittskandidaten sowie die Länder der Europäischen Freihandelsassoziation EFTA, Island. Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz), die im PGEU organisiert sind, in der Vergangenheit nicht untätig waren, zeigen die „best practice“-Beispiele des jetzt veröffentlichten Berichts. Für Deutschland etwa wird auf das Engagement der Apotheker zum alljährlichen Europäischen Antibiotikatag im November hingewiesen sowie auf die Patienteninformation des ABDA „Sieben Tipps für den richtigen Umgang mit Antibiotika“.

Aus Spanien stammen gleich mehrere Beispiele. So stattet etwa der Gemeinsame pharmazeutische Rat Spaniens (Consejo) alle Apotheken mit einem Flugblatt für Patienten aus, welches in einem Diagramm erklärt, wann die Gabe von Antibiotika angemessen ist und wie man sie korrekt verwendet. Aus Spanien stammen auch Studien, die belegen, dass Apotheker eine wichtige Rolle dabei spielen, die Adhärenz ihrer Patienten zur Antibiotika-Therapy zu erhöhen. Ferner beteiligen sich spanische Apotheken am SIGRE-Programm, einem Medikations-Management-Programm, um benutzte bzw. aufgebrauchte Arzneimittel-Behälter, Blister und Verpackungen einzusammeln. Damit wird auch sichergestellt, dass Reste auch von Antibiotika sicher eingesammelt und vernichtet werden und somit nicht in die Umwelt gelangen.

Aufkleber auf jeder Antibiotika-Packung in Belgien

In Belgien prangt die Mahnung „Nehmen Sie Ihre Antibiotika wie vom Arzt verordnet. Behandeln Sie sich nicht selber. Bringen Sie Reste nach Ihrer Therapy wieder in Ihre Apotheke“ als Aufkleber auf jeder Packung Antibiotika, die abgegeben wird. Damit der Apotheker den Sticker nicht vergisst, gibt es im Kassensystem ein automatisches Pop-up, das daran erinnert, wenn ein entsprechendes Medikament gebucht wird. Damit nicht genug: Ein mit Hinweisen für den richtigen Umgang mit Antibiotika bedruckter Papierbeutel als Verpackung sowie ein Faltblatt gehören ebenfalls zum Standard in belgischen Apotheken, wenn Penicillin, Ciprofloxacin und Co. über den HV-Tresen gehen.

Medien-Kampagnen der nationalen Apothekerverbände in vielen Ländern besonders im Zusammenhang mit dem Europäischen Antibiotikatag sind ebenfalls Beispiele dafür, dass die europäischen Apotheker bereits seit langer Zeit um das Problem der Resistenzen wissen und dagegen ankämpfen – und das lange bevor viele Politiker erkannt haben, dass es überhaupt ein Problem gibt.

Im Rahmen eines Testprojektes im schottischen Aberdeen dürfen Apotheker derzeit sogar einige Antibiotika ohne Rezept abgeben. Konkret können Frauen mit leichten Harnwegsinfekten in die Apotheke gehen, sich dort obligatorisch beraten lassen. Die teilnehmenden Apotheker müssen dann selbst entscheiden, ob ein Antibiotikum angebracht ist oder nicht. Alle teilnehmenden Apotheker mussten sich zuvor fortbilden lassen, insbesondere zum Thema Resistenzbildung.

Die gesamte Studie des PGEU gibt es hier.



Volker Budinger, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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