Kein Steuerbetrug

Freispruch statt Haftstrafe für niederländischen Apotheker

Chemnitz - 04.05.2017, 15:35 Uhr

Die Richter des Landgerichts Chemnitz urteilten auf Freispruch des Versandapothekers, die Staatsanwaltschaft fordert aufgrund möglicher Steuerhinterziehung weiter eine Haftstrafe. (Foto: v.poth / Fotolia)

Die Richter des Landgerichts Chemnitz urteilten auf Freispruch des Versandapothekers, die Staatsanwaltschaft fordert aufgrund möglicher Steuerhinterziehung weiter eine Haftstrafe. (Foto: v.poth / Fotolia)


Ein niederländischer Versandapotheker versteuerte Einnahmen in den Niederlanden anstatt in Deutschland. Nach einer Anklage wegen Steuerbetrugs wurde er vom Landgericht Chemnitz freigesprochen. Die Richter meinen, er habe sich ausreichend steuerlich beraten lassen und wollte auch nicht betrügen. Die Staatsanwaltschaft sieht dies anders – und zieht zum Bundesgerichtshof.

An zehn Verhandlungstagen befasste sich das Landgericht Chemnitz dieses und letztes Jahr mit dem Fall des niederländischen Versandapothekers Eugene E.. Er hatte Einnahmen seiner Versandapotheke über mehrere Jahre in den Niederlanden statt in Deutschland versteuert. Im Januar 2011 hatte die Staatsanwaltschaft Anklage wegen unrichtiger oder unvollständiger Angaben erhoben – in fünf von sechs Fällen habe er „in großem Ausmaß“ zu wenig Steuern gezahlt, so die Staatsanwaltschaft. Das Gericht sprach ihn Anfang März frei – wie es zu der Entscheidung kam, zeigen die nun vorliegenden Urteilsgründe.

Der Pharmazeut betrieb in mehreren Ländern Apotheken und Unternehmen, war selber betriebswirtschaftlich aber nicht weiter ausgebildet – was für das Verfahren von einiger Relevanz war: 1985 nahm er laut Gericht an einer einjährigen Weiterbildung im Bereich der Betriebswirtschaftslehre teil, jedoch „mit nur begrenztem Nutzeffekt“. 1994 hatte Eugene E. die Idee, im Erzgebirge das Poliklinik-System der ehemaligen DDR wieder aufleben zu lassen – mit der Absicht dort Apotheken zu betreiben. Dazu gründete er unter anderem mehrere Ärztehäuser, betrieb drei Apotheken, einen Medikamentengroßhandel und eine Laborgesellschaft. 

Zweistelliger Millionenumsatz

„Trotz der allgemein ablehnenden Haltung der Apotheker in Deutschland“, wie das Gericht festhält, betrieb er teils von Deutschland, teils von den Niederlanden aus auch die Versandapotheke postpills.com. Diese operierte von den Niederlanden aus, um Kunden finanzielle Vorteile anbieten zu können. Außerdem hatte er in Frankreich eine Apotheke, war dort an einem Ärztehaus beteiligt – und einer Kosmetik-Firma in der Schweiz. Mit seinem Firmengeflecht erwirtschaftete Eugene E. laut Gericht einen Jahresumsatz zwischen 20 und 50 Millionen Euro.

Da Eugene E. „weder eine steuerliche noch buchhalterische Ausbildung“ hatte und sich laut Gericht auf seine unternehmerische Tätigkeit konzentrieren wollte, ließ er sich in den die Anklage betreffenden Jahren von zehn spezialisierten Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsfirmen beraten, darunter vier in Deutschland – so auch die Treuhand Hannover. Hierfür bezahlte er jährlich knapp eine Million Euro, wie das Landgericht feststellt. 

Anders als DocMorris wollte Eugene E. über die VSA abrechnen

„Anders als der Betreiber der Versandapotheke ‚Doc Morris‘ wollte der Angeklagte nicht mit jeder in Deutschland bestehenden Krankenkasse Vereinbarungen über die Abrechnungsmöglichkeit von rezeptpflichtigen Arzneimitteln schließen“, schreiben die Richter aus Chemnitz. Er wollte hierfür die VSA „als Abrechnungsstelle der deutschen Apotheken“ nutzen. Aus diesem Grund beantragte er in Deutschland ein Institutionskennzeichen – und benötigte einen Sitz der abrechnenden Apotheke, den er in den Räumlichkeiten über seiner Apotheke Am Flugplatz in Chemnitz wählte.

Auch verlangte die VSA einen Mindestwarenumsatz im Umfang von etwa einer Million Euro pro Jahr, was Eugene E. „trotz Bewerbung der Versandapotheke mit Flyern“ nicht erzielte. Deshalb griff er zu – in eigenen Worten – „Schieberezepten“: Insbesondere teure onkologische Arzneimittel, die sonst durch die Chemnitzer Apotheke bearbeitet worden wären, rechnete er der Versandapotheke zu. Hierzu sah sich der Angeklagte laut Urteil berechtigt, weil er Alleineigner sämtlicher beteiligter Unternehmen war, die Versandapotheke zunächst als eine Art Filiale der deutschen Apotheke verstand und dachte, dass ein wirtschaftlicher Ausgleich durch entsprechende Buchführung erfolgen werde. „Die spezifischen steuerrechtlichen Fragen der damit einhergehenden Auslandberührung stellten sich dem fachkundig beratenen Angeklagten überhaupt nicht“, stellen die Richter fest.

Regierungspräsidium griff ein

Organisatorisch waren beide Apotheken zwar teils getrennt, allerdings kümmerten sich dieselben Mitarbeiter um die Durchführung des Geschäftsbetriebes. Nachdem jedoch das Regierungspräsidium nach einer Inspektion im Jahr 2007 die Versandapotheke aus den Räumlichkeiten verbannte, ließ Eugene E. die Arzneimittel aus den Niederlanden verschicken – und auch die Buchhaltung von dort erledigen.

Um die Besteuerung der Umsätze aus der Versandapotheke wollte sich laut Urteil die Treuhand kümmern, doch Eugene E. überließ diesen Aufgabenbereich einem Steuerberater aus den Niederlanden. Hierdurch wollte er jedoch keine Steuer hinterziehen, sondern verhindern, „dass die einzelnen Beratungsgesellschaften einander die Verantwortlichkeiten und etwaige Fehler zuschieben konnten“, wie die Richter urteilten. Erst im Herbst 2007 sei erkannt worden, dass die Umsätze nicht in den Niederlanden, sondern in Deutschland zu versteuern wären.

„Der Angeklagte hat Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag, Gewerbe- und Umsatzsteuer in den Veranlagungszeiträumen 2005 bis 2007 durch unvollständige oder nicht rechtzeitige Erklärungen objektiv verkürzt“, stellt das Gericht fest – es geht um insgesamt knapp 2 Millionen Euro. Die beschriebene Verfahrensweise habe der Angeklagte nicht gewählt, um Steuern zu sparen, sondern um die Abrechnung rezeptpflichtiger Medikamente über die VSA zu erreichen, urteilten die Richter.

Eugene E. trug zur Aufklärung bei

In der „Auslandberührung“ habe Eugene E. kein Problem gesehen, da sich die niederländische Beratungsfirma als international renommierte und auf Apotheken spezialisierte Beratergesellschaft darstellte. Eine Mitarbeiterin der Treuhand habe „erkennbar dem Einzelunternehmen nicht zuzuordnende Ausgaben als Privatentnahmen des Angeklagten“ gebucht – „ohne weitere Aufklärung der wahren Umstände“, erklärt das Gericht. Auch ein Steuerberater der niederländischen Firma habe den Angeklagten weder zur Vorlage von Belegen aufgefordert noch auf mögliche grenzüberschreitende Steuerfragen hingewiesen, obwohl sein Unternehmen erklärtermaßen über das hierfür nötige Wissen verfügte. „Deshalb hatte der Angeklagte auch keinen Grund, an der Korrektheit der Verfahrensweise zu zweifeln“, so die Richter. Erst im Herbst 2007 habe sie die Firma ihn über den Irrtum aufgeklärt.

Das Gericht berücksichtigte bei seinem Urteil, dass nach Einschätzung der Richter Eugene E. viel zur Aufklärung des Sachverhaltes beitrug – und inzwischen die Steuer nachgezahlt hat. „Der Angeklagte bemühte sich auch persönlich um eine Bereinigung der sich für ihn plötzlich auftuenden Problemstellungen“, heißt es im Urteil. So habe er mit einer Mitarbeiterin das Finanzamt Chemnitz-Süd aufgesucht, dort seine Unternehmensstruktur vorgestellt und sich erkundigt, „ob er alles richtig mache oder wie es gegebenenfalls richtig wäre“. Doch das Amt ließ ihn offenbar zunächst abblitzen: „Weder die erhofften sachdienlichen Hinweise noch irgendwelche Aussagen zu der Frage der Korrektheit der steuerlichen Behandlung wurden durch den Mitarbeiter des Finanzamtes getätigt“, schreiben die Richter.

„Ihm sei es nie darum gegangen, den deutschen Fiskus um Steuern zu betrügen“, heißt es im Urteil. „Vielmehr habe er einen Wettbewerbsvorteil auf dem deutschen Markt durch Nutzung der Rabattmöglichkeit auf Medikamente in den Niederlanden angestrebt.“ Hierbei habe es sich um unternehmerische Entscheidungen gehandelt. „Die steuerlichen Konsequenzen habe er nicht gesehen und deren sachgerechte Behandlung seinen Beratern überlassen.“

Der niederländische Steuerberater sagte bei der Verhandlung laut dem Urteil „nicht aus“, den Angeklagten über die einer ordnungsgemäßen Buchhaltung zuwiderlaufende Verfahrensweise informiert zu haben. Er habe vielmehr den Auslandbezug der VSA-Überweisungen nicht erkannt, was „wohl ein Fehler gewesen“ sei, der später korrigiert worden wäre, zitieren ihn die Richter. 

„Widerstand der deutschen Apothekerschaft kann nicht übersehen werden“

Die Mitarbeiterin der Treuhand Hannover hatte aufgrund von Werbeflyern der Versandapotheke zwar vermutet, dass diese über eine Betriebsstätte in Deutschland betrieben werde. Doch Eugene E. habe „klar zum Ausdruck gebracht“, dass sich der niederländische Berater um die Belange der Versandapotheke kümmern werde. Eine Zeugenaussage belege zwar auch, dass Eugene E. über die Vermutung der ordnungswidrigen Besteuerung informiert war, heißt es im Urteil. Obwohl die Treuhand weiterhin für deutsche Firmen von Eugene E. zuständig war und es Verbindungen zu seiner Versandapotheke gab, erforschte die Mitarbeiterin „nicht die tatsächlichen Umstände“, erklärten die Richter. „Vielmehr war für sie die Problematik Versandapotheke erledigt und der Angeklagte blieb über die steuerlichen Auswirkungen seiner unternehmerischen Entscheidungen weiter im Dunkeln.“

Insgesamt sehen die Chemnitzer Richter keine ausreichenden Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten. „Der Angeklagte stellte sich als eine Person dar, die den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf den geschäftsmäßigen, unternehmerischen Bereich legte und die notwendigen steuerlichen Angelegenheiten, denen er weder nach seiner Person noch seiner Ausbildung gewachsen war, auf Fachleute zu delegieren wusste“, erklären sie. Hierzu sei er auch objektiv gar nicht in der Lage gewesen.

Auch ein weiterer Umstand überzeugte die Richter: Zwar konnte Eugene E. durch die Umsatzsteuerdifferenz von 16 Prozent beziehungsweise ab 2007 von 19 Prozent in Deutschland und von 6 Prozent in den Niederlanden sparen, doch musste er seine Gewinne so mit dem Einkommensteuerhöchstsatz von 52 Prozent statt 45 Prozent versteuern, was sie als „keinen ausreichenden Anreiz für einen Steuerbetrug mittels einer Versandapotheke“ ansahen. „Auch kann in diesem Zusammenhang der hinlänglich bekannte und die unternehmerische Entscheidung, eine Versandapotheke zu betreiben, beeinflussende Widerstand der deutschen Apothekerschaft gegen die Etablierung von Internet- und Versandapotheken nicht übersehen werden“, erklärten sie. „Maßgeblich für den Angeklagten war – trotz der mit der Umsetzung einer neuartigen Geschäftsidee verbundenen Unwägbarkeiten – der mit einer Versandapotheke zu erreichende Wettbewerbsvorteil gegenüber den etablierten deutschen Apotheken und nicht ein steuerlicher Anreiz.“

Doch die Staatsanwaltschaft überzeugte die Argumentation der Richter vom Landgericht Chemnitz nicht. Sie beantragt weiterhin drei Jahre Haft für Eugene E. – und zog zwischenzeitlich zum Bundesgerichtshof, der sich nun mit dem Fall beschäftigen muss.

Urteil des Landgerichts Chemnitz, 4. Große Strafkammer, Az.: 4 KLs 920 Js



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Apothekerexzesse

von Heiko Barz am 05.05.2017 um 13:06 Uhr

Geldgier vrs. pharmazeutische Gesinnung?
Ein 'armer' Mann!

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