Forderungen an die Politik

EU-Ärzteverband erinnert an Pflichten bei Off-Label-Einsatz

Stuttgart - 02.05.2017, 15:50 Uhr

Der Off-Label-Einsatz ist weit verbreitet, bringt aber Gefahren mit sich. (Foto: Kaspars Grinvalds / Fotolia)

Der Off-Label-Einsatz ist weit verbreitet, bringt aber Gefahren mit sich. (Foto: Kaspars Grinvalds / Fotolia)


Der Einsatz von Arzneimitteln außerhalb der Zulassung ist stets mit Unsicherheiten verbunden. Das gilt sowohl für die Patienten, die off-label medikamentös behandelt werden, als auch für die Ärzte, die Verschreibungen in eigener Verantwortung ausstellen. Der Europäische Ärzteverband macht Ärzte nun auf ihre Pflichten aufmerksam und stellt Forderungen an die Politik.

Off-Label-Use – also die Verwendung von Arzneimitteln außerhalb der zugelassenen Bedingungen, etwa in einer anderen Indikation, bei einer anderen Patientengruppe oder in einer anderen Dosierung – kann grundsätzlich in vielen medizinischen Bereichen vorkommen. Besonders verbreitet ist er in der Pädiatrie. Nach einer Studie zum Off-Label-Gebrauch in verschiedenen EU-Mitgliedstaaten, die die Europäische Kommission kürzlich veröffentlicht hat, sollen nach 32 Erhebungen (in 16 Ländern) zur Behandlung von Kindern im Krankenhaus 13 bis 69 Prozent der Verschreibungen off-label gewesen sein. In 40 Studien (aus 12 Ländern) lag die Rate im ambulanten Bereich bei 2 bis 100 Prozent. Für die erwachsene Bevölkerung sieht es nicht viel anders aus. Hier hat die EU-Studie für den stationären Bereich Raten von 7 bis 95 Prozent (23 Studien) und für den ambulanten Sektor von 6 bis 72 Prozent (13 Studien) ermittelt. Die Verantwortung für diese Praxis ruht auf den Schultern der Ärzte. 

Nicht mit „compassionate use“ verwechseln

In einer Grundsatzposition weist der europäische Ärzteverband (Standing Committee of Europeon Doctors CPME), der nationale Ärzteorganisationen in ganz Europa vertritt, seine Mitglieder auf ihre Pflichten gegenüber den Patienten und Behörden hin, wenn sie Off-Label behandeln wollen.

In der Stellungnahme wird zunächst klargestellt, dass der Off-Label-Gebrauch nicht mit dem „compassionate use“ verwechselt werden sollte. Dieser beschreibt den rechtmäßigen Einsatz von Arzneimitteln in Härtefällen, wenn sie für die entsprechende Verwendung noch nicht zugelassen sind. Über „compassionate use“-Programme sollen Patienten frühzeitig eine notwendige Medikation bekommen können, aber nur bei Erkrankungen, die zu einer schweren Behinderung führen oder lebensbedrohend sind und die mit einem zugelassenen Arzneimittel nicht zufriedenstellend behandelt werden können. Nähere Verfahrensregelungen dazu sind in Deutschland in der Arzneimittel-Härtefall-Verordnung niedergelegt. 

Was muss beachtet werden?

Die Verschreibung eines Arzneimittels off-label bringt für den Arzt einige Unsicherheiten mit sich. Da ist zum einen der klinische Nutzen, aber auch die Sicherheit ist oft nicht umfassend untersucht und generell bestehen rechtliche und ethische Bedenken. Für die Patienten bedeutet off-label, dass sie damit aus der Haftung des pharmazeutischen Unternehmers heraus fallen können. Vor diesem Hintergrund formuliert das Grundsatzpapier einige Grundregeln für die Ärzte:

  • So sollte der Off-Label-Gebrauch nur dann in Frage kommen, wenn es wirklich keine zugelassene Alternative gibt, die dem Bedarf des Patienten besser entspricht. Hierzu sollte sich der Arzt ausreichend kundig machen beziehungsweise sich vergewissern, dass es keine gibt.
  • Die Datenlage zur Wirksamkeit und Sicherheit des Arzneimittels muss gegen die Schwere der Krankheit abgewogen werden, die damit behandelt werden soll. Der Arzt sollte systematisch abwägen, ob der zu erwartende Nutzen mögliche Nebenwirkungen und Risiken der jeweiligen Krankheit selbst aufwiegt.
  • Die Entscheidung für eine Off-Label-Verordnung sollte Evidenz-basiert sein. Der Arzt sollte sich vergewissern, dass es genügend Erkenntnisse zur Anwendung unter den jeweiligen Bedingungen gibt.
  • Der Patient muss wissen, dass er ein Arzneimittel off-label bekommt und warum der Arzt es ihm verschreibt. Hierzu sollte der Arzt ihm ausreichende Informationen zur Verfügung stellen, damit er „informiert zustimmen“ kann (informed consent).
  • Es muss sichergestellt sein, dass der Patient angemessen überwacht und dass die Überwachung dokumentiert wird. Das betrifft auch die Zeit nach Abschluss der Therapie. Bei Berichten über Nebenwirkungen eines Arzneimittels ist wichtig, ob es im Rahmen der Zulassung oder off-label eingesetzt wurde. Nach den europäischen Pharmakovigilanzvorschriften müssen auch solche Arzneimittelrisiken systematisch erfasst werden.

Forderungen an die Politik

Der Verband wendet sich mit einigen Empfehlungen auch an die nationalen und europäischen Gesundheitspolitiker. Als Grundregel fordert er, dass der Einsatz von Arzneimitteln off-label nicht empfohlen werden darf, bevor es ausreichende klinische Evidenz oder zumindest einen breiten Konsens für den Nutzen einer derartigen Verwendung gibt. Damit soll der breite Einsatz außerhalb der Zulassung ohne die notwendigen Daten verhindert werden. Sofern der jeweilige Off-Label-Einsatz verbreitet und Evidenz-basiert ist, sollten der Zulassungsinhaber und die zuständige Arzneimittelbehörde angemessene Maßnahmen treffen, um rechtlichen Unsicherheiten und Sicherheitsbedenken zu begegnen.

Mehr Transparenz bei den Nebenwirkungsmeldungen

Außerdem reklamiert der europäische Ärzteverband mehr Transparenz bei den Nebenwirkungsmeldungen zum Off-Label-Gebrauch. Dessen Erfolge würden in der Literatur gerne berichtet, heißt es in dem Dokument, aber es mangele an publizierten Daten über Nebenwirkungen.

Um diese Situation zu verbessern, sollten die Meldesysteme auf nationaler und europäischer Ebene diesbezüglich vorangetrieben und die Berichte in der Eudravigilance-Datenbank der EU erfasst werden. So könnte man mehr und zuverlässigere Daten zum Nutzen und den Risiken des Off-Label-Gebrauchs in die Hand bekommen, hofft der Verband. 



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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