Modifiziertes Fentanyl

Schmerzmittel ohne Nebenwirkung – Analgesie ohne Grenzen?

Berlin / Stuttgart - 10.03.2017, 10:35 Uhr

Die Formel für ein Schmerzmittel ohne Nebenwirkungen: Die Berliner Charité forscht daran. (Foto: pro500 / Fotolia)

Die Formel für ein Schmerzmittel ohne Nebenwirkungen: Die Berliner Charité forscht daran. (Foto: pro500 / Fotolia)


Keine Atemdepression, keine Verstopfung, keine Abhängigkeit – welches Opioid schafft das? Bislang keines der Verfügbaren. Allerdings: Wissenschaftler der Charité Berlin ist es gelungen, ein Fentanyl-ähnliches Opioid zu designen, ohne die typischen Nebenwirkungen – zumindest im Tierversuch gab es die nicht. Die Ergebnisse haben sie nun im renommierten Fachmagazin Science veröffentlicht.

Ein selektives Opioid-Schmerzmittel ohne Atemdepression, Verstopfung und Abhängigkeitspotenzial? Fakt oder Fiktion? Derzeit noch ein bisschen von beidem. Denn: Wissenschaftler der Charité Berlin haben ein dem Fentanyl ähnliches Schmerzmittel entwickelt, offenbar gänzlich ohne dessen unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Das innovative Analgetikum steckt allerdings noch in den Kinderschuhen und ganz am Anfang der Forschung. Es wurde bislang nur an Ratten getestet. Bis aus dem Prototyp ein zulassungsfähiges Arzneimittel wird – wenn es denn eines wird – dauert es in der Regel noch Jahre. Doch die derzeitigen Ergebnisse der Forschergruppe um Dr. Viola Spahn und Dr. Giovanna Del Vecchio haben zumindest schon einmal die renommierte Fachzeitschrift Science überzeugt – sie hat die spannenden Daten in ihrer März-Ausgabe publiziert.

Die Forschungsidee der Entwicklung eines nebenwirkungsfreien Schmerzmittels basiert auf der Tatsache, dass der pH-Wert im entzündeten Gewebe bekanntlich niedriger ist als in gesundem Gewebe. Das Prinzip, dass sich Arzneistoffe im sauren Milieu des entzündeten Gewebes vorrangig anreichern, wird auch bei den sauren NSAIDs zugrundegelegt. Hier geht die Hypothese davon aus, dass im sauren Interstitium ein vergleichsweise höherer Anteil an membrangägigem undissoziiertem Wirkstoff vorliegt und in den Wirkort Zelle gelangen kann. Das saure Arzneimittel wird  in der Zelle deprotoniert und reichert sich so durch Ion-trapping intrazellulär an.

Die Wissenschaftler postulierten nun, dass ein Wirkstoff, der selektiv µ-Opioidezeptoren im sauren Milieu aktiviert, auch ausschließlich im entzündeten Gewebe wirkt – ohne die gefährlichen und unerwünschten Arzneimittelwirkungen zu entfalten.

Modifiziertes Fentanyl 

Solch ein Schmerzmittel wäre durchaus wünschenswert – hat die Schmerztherapie sowohl im ambulanten als auch klinischen Bereich einen enormen Stellenwert. Und: Limitierende Faktoren einer analgetischen Therapie sind nun mal die Nebenwirkungen der Schmerzmittel –  Atemdepression, Übelkeit, Obstipation und Harnverhalt, Sedierung und Abhängigkeitspotenzial bei Opioiden. Um die Hemmstoffe der Cyclooxygenase ist es nicht viel besser – nebenwirkungstechnisch nur anders – bestellt: Sie verursachen Ulcera, Nierenschäden und erhöhen das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall bei den Patienten.

Die Forscher gingen strukturell vom Betäubungsmittel Fentanyl aus. Mit einer Säuredissoziationskonstante Pka über 8 liegt Fentanyl sowohl in saurem entzündeten Gewebe bei pH-Werten von 5 bis 7 als auch in gesundem und somit neutralem Gewebe (pH-Wert 7,4) protoniert vor und aktiviert µ-Opioidezeptoren. Durch Substitution von H- durch Fluor-Atome am Fentanylmolekül erreichten die Forscher, die Azidität von Fentanyl so weit zu erhöhen, dass ausschließlich entzündetes Gewebe noch ausreichend sauer ist, um das neu designte Fentanyl (NFEPP) durch Protonierung zu aktivieren. Folglich dürfte – so die Hypothese der Wissenschaftler – der neue Wirkstoff auch lediglich im geschädigten Gewebe Opioidrezeptoren stimulieren und die gewünschte Analgesie bewirken. Ohne aktiven Wirkstoff hingegen, müssten die µ-Opioidezeptoren vor dem Auslösen von unerwünschten Wirkungen geschützt sein.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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