Forschung

Opioid-Schmerzmittel ohne Nebenwirkung?

Stuttgart - 06.09.2018, 09:00 Uhr

Noch Zukunftsmusik, aber in der Erforschung: Ein Opiod-Analgetikum frei von der Nebenwirkung Atemdepression. ( r / Foto: Stuart / stock.adobe.com)

Noch Zukunftsmusik, aber in der Erforschung: Ein Opiod-Analgetikum frei von der Nebenwirkung Atemdepression. ( r / Foto: Stuart / stock.adobe.com)


Ein Opioid-Schmerzmittel, das zuverlässig Schmerzen lindert, überschaubare Nebenwirkungen hat und zusätzlich noch bei Opiatabhängigen zum Entzug eingesetzt werden kann? Klingt toll. Auf dem Markt ist dieser hoffnungsvolle Wirkstoff zwar noch nicht, die ersten Untersuchungen sind aber bereits abgeschlossen und die Ergebnisse in Science veröffentlicht.

Die analgetische Wirkung von Morphin ist ein Segen für Patienten mit starken und stärksten Schmerzen, wie bei Tumorerkrankungen. Allerdings, wie auch bei anderen Arzneistoffen, kauft man sich die erwünschte Wirkung mit einigen unerwünschten Wirkungen ein. Problematisch bei Opioiden wie Morphin sind vor allem die Atemdepression, Hypersensitivitätsreaktionen und ein Abhängigkeitspotenzial.

Nociceptin-Agonisten gewünscht

Nun werden bedauerlicherweise diese drei Wirkungen, Analgesie, Abhängigkeit und Atemdepression, über den selben Opiatrezeptor im Körper vermittelt, den sogenannten μ-Rezeptor. Allerdings sind auch Forschungen an den weiteren Opioidrezeptoren kappa und delta nicht uneingeschränkt erfolgreich. So lindern Agonisten an κ- oder δ-Rezeptoren zwar auch Schmerzen, führen jedoch zu Krampfanfällen oder Halluzinationen. Wissenschaftler haben nun den vierten Opioidrezeptor zum erklärten Ziel gemacht: Nociceptin. Agonisten an diesem System wirken schmerzhemmend, jedoch nicht atemdepressiv.

Bifunktionaler Agonist wirkt an Nociceptin- und μ-Rezeptoren

Ein US-amerikanischer Pharmakonzern, Astraea Therapeutics, forscht deswegen an neuen Analgetika, die Nociceptin-agonistisch wirken – und bifunktional noch die unerwünschten Wirkungen über den μ-Rezeptor abschwächen. Ein vielversprechender Kandidat läuft unter dem wenig aussagenden Namen AT-121. Erste Studienergebnisse veröffentlichten die Forscher in Science. Zwar liegen aktuell noch keine klinischen Untersuchungen zu AT-121 am Menschen vor, doch zeigte der Wirkstoff bei Primaten die erhoffte Wirkung.

Mit der Forschung an nebenwirkungsarmen Opioiden ist Astraea Therapeutics nicht allein: Auch der Charité gelang es im vergangenen Jahr, ein Fentanyl-ähnliches Opioid zu entwerfen, das in tierexperimentellen Untersuchungen frei von Atemdepression und Obstipation war. DAZ.online stellte die Ergebnisse in „Schmerzmittel ohne Nebenwirkung – Analgesie ohne Grenzen?“ vor.

100-mal stärker als Morphin und keine Atemdepression

AT-121 wirkt 100-mal stärker als Morphin und konnte gleichzeitig auch die suchterzeugende Wirkung von Oxycodon blockieren. Außerdem beschreiben die Wissenschaftler bei AT-121 Buprenorphin-ähnliche Wirkungen, weswegen der potenziell neue Wirkstoff auch bei Opioidabhängigkeit eingesetzt werden könnte.

Ceiling-Effekt von Buprenorphin

Buprenorphin zählt unter den Opiod-Analgetika als partieller Opioid-Agonist/Antagonist. Der bei Tumorschmerzen und in der Substitutionstherapie eingesetzte Wirkstoff bindet sowohl an μ-Opioid-, als auch an  κ-Opioid-Rezeptoren im Zentralnervensystem (ZNS), wobei Buprenorphin partialagonistisch an μ wirkt und dort reversibel bindet. Am κ-Rezeptor bindet Buprenorphin als Partialagonist und vor allem als effektiver Antagonist.

Die analgetische Potenz liegt etwa 25- bis 50-mal höher als bei Morphin. Zudem beobachtet man bei der unerwünschten Opioid-Wirkung der Atemdepression einen sogenannten Ceiling-Effekt, das bedeutet, dass auch eine weitere Dosissteigerung die Atemdepression nicht verschärft. Buprenorphin weist ein relativ breites therapeutisches Fenster auf, das auf seine Wirksamkeit als primärer Agonist/Antagonist zurückgeführt wird.

Wird Buprenorphin in der Substitutionstherapie eingesetzt, muss es aufgrund seiner partialantagonistischen Wirkung ausreichend hoch dosiert werden. Ansonsten löst Buprenorphin, vor allem wenn der Opiatabhängige noch signifikante Mengen des missbräuchlich verwendeten Opiats im Körper hat, eine Entzugssymptomatik aus.

Nebenwirkungsprofil von AT-121 vielversprechend

In den bisherigen tierexperimentellen Studien war AT-121 laut den Forschern auch frei von typischen Opiat-Nebenwirkungen: Juckreiz, Atemdepression oder einer Toleranzentwicklung.


Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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