HMNC Brain Health

Aus der Höhle des Löwen

München - 01.03.2017, 09:05 Uhr

Will die Behandlung einer Depression verbessern: Mediziner und Chemiker Professor Florian Holsboer. (Foto: ts) 

Will die Behandlung einer Depression verbessern: Mediziner und Chemiker Professor Florian Holsboer. (Foto: ts) 


Das Münchener Biotechunternehmen HMNC Brain Health hat sich auf neue Therapieansätze gegen Depressionen spezialisiert. Mit einem Test will Geschäftsführer Florian Holsboer Patienten genauer diagnostizieren und damit eine individuellere Behandlung ermöglichen. Finanziert wird das Unternehmen von Carsten Maschmeyer, dem früheren Chef des Finanzvertriebs AWD und Juror in der Fernsehsendung „Die Höhle des Löwen“. 

Die Lage ist für ein forschungsgetriebenes Biotechunternehmen ungewöhnlich: Die Münchener Maximilianstraße ist eher eine Meile der Schönen und Reichen als der Forschung. Kammerspiele, Oper und Residenztheater sind nur einen Katzensprung entfernt. In den Schaufenstern werden Schuhe und Kleider aus dem Hochpreissegment angeboten, Designeruhren kosten einige Hunderttausend Euro.

Es war Zufall, dass sich der Mediziner und Chemiker Professor Dr. Dr. Florian Holsboer mit seinem Unternehmen HMNC Brain Health ausgerechnet hier angesiedelt hat. 25 Jahre lang hatte er als Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie (MPI) im etwas weniger vornehmen Schwabing West gearbeitet. Schon während dieser Zeit widmete sich der heute 71-Jährige seinem Spezialgebiet Depressionen und Angstforschung. Als er schließlich sein über Jahrzehnte erworbenes Wissen in konkrete Therapien zur besseren Behandlung von Depressionen umsetzen wollte, kam er 2010 mit dem Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer ins Gespräch, bekannt als ehemaliger Chef des Finanzvertriebs AWD, als Juror in der Fernsehsendung „Die Höhle des Löwen“ und seit 2014 Ehemann der Schauspielerin Veronica Ferres.

Der Wissenschaftler überzeugte den Multimillionär, Geld in eine gemeinsame Biotechfirma zu investieren. Da Maschmeyer seinen Lebensmittelpunkt ohnehin mehr nach München verlagern wollte und in der Maximilianstraße Teile seiner Vermögensverwaltung ansiedelte, gründeten die beiden auf derselben Etage das Unternehmen HMNC Brain Health. Dafür gab Holsboer 2014 mit Ende 60 seinen sicheren Job beim MPI auf und stürzte sich als Vorsitzender der Geschäftsführung in das Startup-Abenteuer HMNC. Statt über 600 Mitarbeiter und einen jährlichen Etat von 36 Millionen Euro zu wachen, ist er dort heute Chef von zehn Beschäftigten und erwirtschaftet bislang überschaubare Umsätze. Die Firma besitzen der Wissenschaftler und der Finanzunternehmer dabei zu nahezu gleichen Teilen. Holsboer: „Maschmeyer sagte: Du gibst Deinen Kopf in das Unternehmen - wieso sollte das weniger wert sein als mein Geld?“ 

Lebensthema „Depressionen“

Depressionen sind das Lebensthema des Wissenschaftlers und spätberufenen Entrepreneurs. Stundenlang kann er darüber referieren: Depressive tragen ein hohes Risiko, auch andere Erkrankungen wie etwa Diabetes zu bekommen. Depressionen haben einen hohen Anteil an den Gesamtkosten des Gesundheitssystems. Sie sind die Ursache für unzählige Arbeitsunfähigkeitstage und pro Jahr weltweit eine Million Suizide. Holsboer: „Die Depression ist eine potenziell tödliche Krankheit, wenn sie nicht behandelt wird.“

Umso erstaunlicher findet er, dass sich die Behandlung von Depressionen in den vergangenen Jahrzehnten kaum weiterentwickelt hat. Die existierenden Antidepressiva gehen laut Holsboer im Wesentlichen auf Entwicklungen der Fünfzigerjahre zurück, haben einen ähnlichen Wirkmechanismus und unterscheiden sich vor allem hinsichtlich ihrer Nebenwirkungen. Holsboer: „Die heute auf dem Markt befindlichen Antidepressiva wirken bei zu wenigen Patienten, brauchen zu lange, bis sie wirken, und werden nach dem ´Trial-and-Error`-Prinzip verschrieben, weil die Ärzte nicht wissen, welches der existierenden Arzneimittel für den individuellen Patienten am besten geeignet ist.“

Die Industrie hat die Forschung an neuen Antidepressiva nach mehreren Rückschlägen vor rund zehn Jahren weitgehend eingestellt – Holsboer nennt das „unterlassene Hilfeleistung in großem Stil“.

Schwer nachzuvollziehen ist für Holsboer auch, dass die Wahl des im Einzelfall besten Arzneimittels nicht auf objektiver Labordiagnostik basiert. „In jedem anderen Fachgebiet ist das selbstverständlich“ sagt er. „Denken Sie an Krebs, da nehmen sie eine Gewebeprobe, kriegen den Befund und können dann vielfach ein spezifisch wirkendes Medikament einsetzen.“ Soweit ist man in der Depressionstherapie noch nicht, da ist alles komplizierter.

Ziel: Therapie nach Maß

Holsboer hat sich vorgenommen, dies zu ändern und die Entwicklung individueller Behandlungsmöglichkeiten voranzubringen. Er nennt das „Therapie nach Maß“. Dabei setzt er an der Blut-Hirn-Schranke an. Auch Antidepressiva müssen diese Barriere natürlich passieren, damit sie an ihren Wirkort gelangen können. Allerdings variiert die Passage der Antidepressiva durch die Blut-Hirn-Schranke von Patient zu Patient. Dies, so Holsboer, sei einer der Gründe für das unterschiedliche Therapieansprechen.  

In der Schweiz schon einen Schritt weiter

Bereits am MPI hatte der Wissenschaftler mit seinen Kollegen einen Diagnostik-Test entwickelt. Dieser trägt den Namen ABCB1-Test, benannt nach dem ABC1-Gen, auch Multi-Drug-Resistance-Gen1 (MDR1) gennant. Dieses Gen kodiert für einen wichtigen Transporter aus der Klasse der ABC-Transporter – das P-Glycoprotein. Ein Membranprotein, das den energieabhängigen Transport von Substraten aus der Zelle vermittelt.

Diesen Test hat Holsboer mittlerweile bei HMNC einlizenziert und zur Marktreife weiterentwickelt. Er gibt dem Arzt Informationen, welcher ABCB1-Genotyp ein Patient ist. Denn bestimmte Polymorphismen im ABCB1-Gen beeinflussen das Ausmaß der Genexpression und letztendlich, wieviel P-Glykoprotein gebildet wird. Eine hohe Expression sorgt für eine reduzierte Aufnahme der Antidepressiva, bei niedriger Expression ist die Wirkstoffaufnahme erhöht. Mithilfe dieser Information, so Holsboer, könne der Mediziner dann die Auswahl der Antidepressiva sowie deren Dosierung anpassen und somit die Chance für ein gutes Therapieergebnis erhöhen.

Studien zeigten mehrheitlich, dass bei Patienten, die nach den Empfehlungen des ABCB1-Tests behandelt werden, ein besseres Therapieergebnis erzielt wird. Mehr Patienten würden auf die Behandlung ansprechen, und mehr Patienten würden eine Remission erreichen, also eine weitgehende Symptomfreiheit. Das, so Holsboer, sei die beste Vorbeugung gegen einen Rückfall.

Seit 2015 ist der Test in Deutschland für 167 Euro auf dem Markt. Während das Diagnose-Kit in der Pilotphase in Kooperation mit Labor Berlin angeboten wurde, wird der Test seit Ende 2016 durch die Darmstädter Testsystem-Firma R-Biopharm produziert und vertrieben. Holsboers Ziel ist es nun, im großen Stil Labore mit dem Test auszustatten.

In der Schweiz ist er bereits einen Schritt weiter. Dort hat es der ABCB1-Test in die ärztlichen Leitlinien geschafft. In Deutschland wird er dagegen bislang nur von privaten Krankenkassen bezahlt. Gespräche mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) wegen Erstattung durch die gesetzlichen Kassen laufen. Holsboer: „Das sieht nach meiner Einschätzung gut aus. Es wird aber noch dauern.“

Holsboer verbirgt nicht seinen Stolz, nach jahrzehntelanger Arbeit nun depressiven Menschen eine Chance bieten zu können, schneller und besser behandelt zu werden: „Das ist Pionierarbeit“. Damit ist ein weiterer Schritt in Richtung personalisierte Depressionstherapie gemacht. Mit vergleichbaren Tests lassen sich beispielsweise Polymorphismen bei den für den Abbau vieler Antidepressiva verantwortlichen CYP-Enzymen – CYP2D6 und CYP2C19 – feststellen und so ebenfalls Dosisfindung und Wirkstoffauswahl optimieren. 

Für die Öffentlichkeit sei dies außerdem ein Signal, dass hohe Forschungskosten wie beim MPI tatsächlich zu praktisch nutzbaren Ergebnissen führen können. Nicht zuletzt kann der Test laut Holsboer die Gesundheitssysteme finanziell erheblich entlasten. Wenn Patienten schneller das für sie richtige Arzneimittel erhalten, seien sie kürzer krank.

Auch für HMNC soll sich der Test auszahlen. Während sich die Umsätze bislang im „homöopathischen Bereich“ bewegten, dürften diese mit der Vermarktung in weiteren Ländern deutlich steigen. Holsboer: „Wir sind gerade an Skandinavien dran. Ab Mitte des Jahres ist dann die Einführung in den USA, Frankreich und in Großbritannien geplant.“

Mittlerweile planen die beiden bei HMNC bereits den nächsten Entwicklungsschritt. Einen „echten Hebel“ sieht Holsboer darin, abgelegte Arzneimittelprojekte aus der jüngeren Antidepressivaforschung aus den Archiven der Pharmaunternehmen herauszuholen, einzulizenzieren und diese Präparate in Kombination mit einem neuen Diagnostik-Test marktreif zu machen. Er ist zuversichtlich, dass sich unter diesen ad acta gelegten Projekten einige „versteckte Kronjuwelen“ befinden, die bestimmten Patienten einen therapeutischen Mehrwert bieten.

Eines dieser Projekte zielt auf jene Patienten, bei denen die Werte von Corticotropin-freisetzendem Hormon (CRH) chronisch erhöht sind. Werden die Rezeptoren für CRH blockiert, bessert sich die Depression. Laut Holsboer trifft dies auf etwa 25 Prozent der Patienten zu. Ein von HMNC einlizenzierter CRH-Blocker, eines dieser abgelegten Projekte, könnte in Verbindung mit einem geeigneten, von HMNC entwickelten, Test bessere Ergebnisse als bisher liefern. „Unser Ziel ist es, den Proof of Concept zu machen, also nachzuweisen, dass die Methode funktioniert. Anschließend wollen wir den Test und die Arznei auslizenzieren“, so Holsboers Pläne.

Auch den übernächsten Schritt hat der Wissenschaftler bereits im Kopf. In einigen Jahren will er das Unternehmen an die Börse bringen. „Das überlasse ich dann aber einem jüngeren CEO. Ich könnte mir vorstellen, dass ich mich dann mit dem Posten eines Forschungsvorstands begnüge.“ Als solcher wird er immer noch genug zu tun haben, denn nach mehreren Jahrzehnten der Forschung weiß Holsboer: „Wir werden das Gehirn nie vollständig verstehen.“



Thorsten Schüller, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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