Interpharm 2011

"Aus Psychologie wird Biologie"

"Aus Psychologie wird Biologie", betonte Prof. Dr. Joachim Bauer, Freiburg, in seinem Vortrag zur Neurobiologie der Stressantwort mehrfach. Und er machte deutlich, dass der Einfluss von Stressoren auf unseren Organismus zu objektiv messbaren Veränderungen von Botenstoffen wie Cortisol und Noradrenalin führt. Mit weitreichenden Folgen. Allerdings sind wir den Stressoren nicht hilflos ausgeliefert. Denn als körpereigener Antistressmechanismus steht das Motivationssystem parat. Mit Blick darauf lassen sich auch Empfehlungen für das persönliche Stress-Management ableiten.

Wir werden mit einer Vielzahl von Stressoren konfrontiert, mit denen sich unser Organismus auseinandersetzen muss. Sie lassen sich in drei Gruppen einteilen:

  • Äußere Stressoren wie Beschleunigung, Arbeitsdruck und Lärm.

  • Zwischenmenschliche Stressoren wie fehlende Bindungen und ungeklärte Konflikte.

  • Innere Einstellungen wie Perfektionismus, Unfähigkeit sich abzugrenzen, Arbeitssucht, um dem Leben einen Sinn zu geben.

Foto: DAZ/Reimo Schaaf
Prof. Dr. Joachim Bauer

Solche Stresssignale werden vom Gehirn in biologische Signale umgewandelt. Sie aktivieren den Corpus Amygdaloideum, also den Mandelkern im limbischen System, das mit der Ausschüttung von exzitatorisch wirksamem Glutamat reagiert. Dieser Botenstoff hat, so Bauer, "zwei Adressaten": den Hypothalamus und den Hirnstamm.

CRH-Gen "angeschaltet", Cortisolspiegel hoch

Im "Alarmsystem Hypothalamus" kommt es innerhalb von Sekunden oder wenigen Minuten zu einer Aktivierung des Stress-Gens CRH (corticotropin releasing hormone), indem Transkriptionsfaktoren über einen Angriff an regulatorischen Gensequenzen den Genschalter für das CRH-Gen "anschalten". Vermittelt über die HPA-Achse steigt letztlich das Stresshormon Cortisol an. Üblicherweise wird dieser Prozess über einen negativen Feedback-Mechanismus wieder downreguliert und die Stressantwort "abgedreht". Bei manchen Menschen, beispielsweise mit einer Depression, funktioniert dieser Feedback-Mechanismus allerdings nicht. Das kann laut Bauer mit epigenetischen Veränderungen zu tun haben, die schon in der Kindheit gesetzt wurden, etwa durch mangelnde Bindungen. Solche epigenetischen Vorgänge, die von Stressoren ausgelöst werden, verändern die Ablesbarkeit eines Gens und sind insbesondere für langfristige Veränderungen von Bedeutung.

Männer und Frauen reagieren unterschiedlich

Wie sich Stressoren und deren Beeinflussung auf die biologischen Vorgänge auswirken, zeigt der Trierer Stresstest. Ein einfaches Konzept: Die Probanden müssen nach einer kurzen Vorbereitungszeit eine kleine Rede vor einem Auditorium halten. Gemessen wird das Cortisol. Dabei sind Frauen "stressbiologisch besser dran", so Bauer. Bei ihnen steigt das Stresshormon deutlich weniger an als bei Männern. Vor allem aber zeige der Test, dass Stress zu konkreten biologischen Vorgängen führt. "Unser Gehirn macht aus Psychologie Biologie", betonte Bauer. Die Stressantwort lässt sich aber durch äußere Faktoren beeinflussen, in diesem Fall durch eine Betreuung in der Vorbereitungsphase. Für die Männer war es dabei am besten, wenn sie von ihrer Lebenspartnerin "gecoacht" wurden. Anders bei den Frauen. Sie schütteten am wenigsten Cortisol aus, wenn eine ihnen unbekannte, aber freundliche Person sie betreute. Oder, wenn sie einfach in Ruhe gelassen wurden.

Diskriminierung lässt den Blutdruck steigen

Stress stimuliert nachweislich auch die Noradrenalinausschüttung und hat dadurch konkrete Effekte auf das Herz-KreislaufSystem. Fühlen sich Menschen diskriminiert, etwa wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, steigt der Blutdruck an. Setzt man Koronarpatienten unter psychischen Druck, sinkt die Myokardperfusion. Auch hier also ein direktes Zusammenspiel zwischen Stress und Biologie. Selbst äußere Stressoren bleiben für den Organismus nicht ohne Folgen. So hat sich nach dem Erdbeben 1994 in Los Angeles die Zahl der plötzlichen Herztode dort verdreifacht.

SchlagfähigerAntistressmechanismus

Doch unser Organismus kann sich wehren. Er ist den Stressoren nicht hilflos ausgeliefert, sondern hat mit dem neuronalen Motivationssystem einen schlagfähigen Antistressmechanismus zur Verfügung. Mit einem "Cocktail an Botenstoffen", wie Dopamin oder Endorphine, kann es das Stresssystem dämpfen. Zur Bekämpfung von Stress sind daher Strategien sinnvoll, die dieses Motivationssystem aktivieren. Dazu gehören gute zwischenmenschliche Beziehungen, denn "Zuwendung aktiviert körpereigene Opioide". Verliert der Mensch dagegen an Beachtung und Wertschätzung, wird das Motivationssystem downreguliert und die Anfälligkeit für Stressoren steigt. Das lässt sich auch in der Depression beobachten: Das System ist heruntergeschaltet, die Stressreaktion hochgeschaltet. Ebenfalls günstig gegen Stress sind Sport und Musik. "Das Singen in einem Chor hat durchaus einen gewissen Drogencharakter."


bf


Foto: DAZ/Reimo Schaaf
Super zum Entspannen war die Interpharm-Party im Tropen-Aquarium Hagenbeck. Es gab Sport (Tanzen!), Musik zum Mitsingen und meditatives Fische-Gucken.

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