Statine

Geht die Kontroverse erst richtig los?

Remagen - 19.09.2016, 09:30 Uhr

BMJ-Chefredakteurin gegen Lancet-Herausgeber, Studien gegen Studien: Was stimmt nun? (Foto: DAZ)

BMJ-Chefredakteurin gegen Lancet-Herausgeber, Studien gegen Studien: Was stimmt nun? (Foto: DAZ)


Warum die Diskrepanz zwischen Studien und Praxis?

Auch wenn die Autoren des neuen Lancet-Reviews diesen als endgültige Evidenz für die Statine ansehen mögen, scheint die wissenschaftliche Diskussion damit noch lange nicht am Ende zu sein. So fordert Harlan Krumholz, Professor für Medizin an der Yale University, nun im BMJ, dass die Unzulänglichkeiten der kontrollierten Studien bei der Beurteilung der Datenlage stärker berücksichtigt werden müssten. Als weitere Schwachstelle führt er die unterschiedliche Erfassung von Daten zu unerwünschten Ereignissen in den Studien an.

In einem BMJ-Blog schreibt der pensionierte Allgemeinarzt und Senior-Berater in der Primärversorgung bei Cochrane, UK Richard Lehman, dass Nebenwirkungen von Statinen sehr viel häufiger seien, als es die Studien vermuten lassen. „Muskelschmerzen und Müdigkeit sind kein Produkt von Einbildung und öffentlicher Fehlinformation,“ sagt er. „Sie sind weit verbreitet und kommen bei Menschen, die verzweifelt an den Statinen hängen bleiben wollen, immer wieder vor. „Statt ein allgemein beobachtetes Phänomen einfach abzutun, sollten wir uns lieber fragen, warum es eine solche Diskrepanz zu der Berichterstattung in den Studien gibt.“ 

Weitere Überprüfung durch unabhängige Dritte gefordert

Godlee hat nun auch an Englands Chief Medical Officer, das heißt die oberste Beraterin der Regierung in Gesundheitsfragen, Sally Davies geschrieben und darum gebeten, eine Untersuchung der „Statine-Saga“ in Angriff zu nehmen und eine unabhängige Überprüfung der Evidenz zu den Statinen in die Wege zu leiten.

„Eine eingehende Überprüfung der Studiendaten durch unabhängige Dritte bleibt ein wesentlicher Schritt, um diesem zunehmend bitteren und unproduktiven Streit ein Ende zu setzen.“ schreibt Godlee in ihrer wöchentlichen BMJ-Kolumne. Dabei spielt der allgemeine Zugang zu den Studiendaten auf der Patientenebene eine entscheidende Rolle. Dieser war nämlich für die wissenschaftlichen Analysen bislang offenbar mehr oder weniger eingeschränkt, ein Grund für die Einrichtung der BMJ-Kampagne „Statins – a call for transparent data“.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Statine, weiter sehr spannend: AMTS-Aushandlung zwischen Ärzten und Herstellern

von Wolfgang Müller am 19.09.2016 um 12:07 Uhr

Machen wir uns Nichts vor:
Es hat doch vor ein paar Jahren sogar schon Versuche gegeben, Statine quasi als "Künstliches Vitamin" für ALLE über 50-jährigen zu etablieren. Genau wie ASS in niedriger Dosierung. Das ist halt das freie Spiel der Kräfte in einem marktwirtschaftlichen Gesundheitswesen, da gehört eben auch das Spiel mit der Durchführung und Interpretation von Klinischen Studien dazu. Genau wie das Spiel mit der kontinuierlich versuchten Absenkung von Norm- sowie behandlungsbedürftigen Labor-Grenzwerten.

Ich bin sicher: Jeder erfahrene Allgemeinmediziner oder Apotheker, der als "Befundkranker" selbst gerade mal eben so in das inzwischen doch recht großzügige Raster für eine "offizielle" Behandlungsbedürftigkeit mit Statinen fällt, wird von der Einnahme lieber Abstand nehmen. So segensreich diese bahnbrechende Medikamentengruppe bei den eindeutig Behandlungsbedürftigen auch ist.

Da wird wahrlich noch jahrzehntelang eine aggressive Kontroverse unter Einsatz üppiger Ressourcen stattfinden, um die Grenze für eine Statin-Behandlungs-Notwendigkeit in einigermaßen standfeste Leitlinien zu fassen. Das ist lange noch nicht in trockenen Tüchern. Ähnliches sehen wir doch auch immer wieder beim Ginkgo, dieses Hin und Her mit sich widersprechenden Studien.

Und hoffentlich spielt in solchen heilberuflich/marktwirtschaftlichen Grenzsituationen neben reiner Leitlinien-Abarbeitung auch in einer strahlend formalisierten AMTS-Zukunft noch der gesunde ärztliche und apothekerliche Menschenverstand eine Hauptrolle ........

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