Hermann zu 100-Prozent-Rabatt

„Billig ist nicht gleich günstig“

Berlin - 13.07.2016, 10:25 Uhr

Nicht mit uns: Dr. Christopher Hermann, der für die AOK-Gemeinschaft Rabattverträge aushandelt, will keine 100-Prozent-Rabatte haben, weil der Wettbewerb im Markt so kaputt gehen könnte. (Foto: AOK BaWü)

Nicht mit uns: Dr. Christopher Hermann, der für die AOK-Gemeinschaft Rabattverträge aushandelt, will keine 100-Prozent-Rabatte haben, weil der Wettbewerb im Markt so kaputt gehen könnte. (Foto: AOK BaWü)


Fast 100 Prozent Rabatt auf eine Antibaby-Pille: Das hat die Firma Mibe der AOK angeboten. Da die Krankenkassen versuchen, die Ausgaben in Schach zu halten, müsste doch eine solche Offerte eigentlich willkommen sein. Gegenüber DAZ.online wehrt sich Christopher Hermann, Chef der AOK Baden-Württemberg, aber heftig dagegen.

Seit 2007 gibt es die Arzneimittel-Rabattverträge. Im wieder gibt es Vorwürfe, nach denen die Kassen mit diesem Instrument die Preise auf Niedrigstniveau drückten und damit für Lieferengpässe mitverantwortlich seien. Wieviel eine Kasse tatsächlich für einen Arzneistoff bezahlt, ist aber ein wohlgehütetes Geheimnis. Bietet eine Firma einer Kasse an, ihr Präparat nahezu kostenlos für die Versicherten dieser Kasse zur Verfügung zu stellen, sollte das doch ganz im Sinne des Kostenträgers sein, oder? Die AOK hat jedoch jüngst ein solches Angebot abgelehnt, ist dann aber vor Gericht dazu gezwungen worden, es zu berücksichtigen.

Konkret geht es um die Firma Mibe. Sie hat sich als Rabattpartner der AOK für ein orales Kontrazeptivum beworben und, sollte sie den Zuschlag erhalten, einen Rabatt von fast 100 Prozent geboten. Bei großen Herstellern sind derartige Geschäftspraktiken nicht erlaubt. Verschleudern sie ihre Arzneimittel zu Dumpingpreisen, wird sofort der Verdacht laut, dass sie Wettbewerber aus dem Markt drängen wollen. Kassen müssen daher die Angebote genau prüfen und sie gegebenenfalls ablehnen. So schreibt es das Vergaberecht vor.

Gericht verpflichtet AOK zur Angebots-Annahme

Eine kleine Firma wie Mibe ist über diesen Verdacht offensichtlich erhaben. Denn die Vergabekammer hat in erster Instanz entschieden, dass die AOK das Angebot annehmen muss. Solange ein Unternehmen nicht vorhabe, andere aus dem Markt zu drängen, spricht aus Sicht der Vergabekammer nichts gegen eine solche Offerte – auch nicht, wenn sie zu Verlusten führt.

Wenn es nicht die Verdrängung eines Wettbewerbers ist, welche Strategie steckt dann dahinter? Die sei denkbar einfach, erklärt Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg, die für die Ortskrankenkassen die Rabattverträge federführend aushandelt, gegenüber DAZ.online. „Man verschenkt Arzneimittel, um dauerhaft Marktanteile zu gewinnen“, sagt er. Dieser liegt für Mibe im Bereich der oralen Kontrazeptiva derzeit bei etwa drei Prozent. Einen entsprechenden Vortrag der Firma vor der Vergabekammer ließ die AOK unwidersprochen.

Hermann fügt hinzu: In diesem speziellen Fall gehe es um den angeschlossenen Selbstzahlermarkt. Da Verhütungsmittel nur bis zum vollendeten 20. Lebensjahr Kassenleistung sind, hofft der Hersteller, dass Frauen dann, wenn sie die Kontrazeptiva selber zahlen müssen, bei dem Präparat bleiben, das die Kasse erstattet hat.

AOK will weiter gegen Billig-Angebote vorgehen

Hermann erklärt auch, warum man seitens der AOK nicht glücklich damit ist, per Gerichtsbeschluss gezwungen worden zu sein, das Angebot von Mibe anzunehmen. „Billig ist nicht gleich günstig“, sagt der AOK-Chef. Und: „Vordergründig könnte man sagen, die AOKs sollten doch froh sein, wenn sie Arzneimittel praktisch geschenkt bekommen. Doch so einfach ist das nicht.“ Seit Anbeginn der Rabattverträge stehe die AOK für fairen Wettbewerb und Anbietervielfalt, betont Hermann. So habe man über Jahre Dutzende von Rechtsstreitigkeiten, vor allem mit den etablierten Herstellern, ausgefochten.

Das hat sich seiner Ansicht nach gelohnt. Der Generikamarkt zeige inzwischen eine Anbietervielfalt, die es früher so nicht gab. „Nun meint ein Unternehmen, sein Arzneimittel über absolute Dumpingangebote in den Markt drücken zu müssen und dieser Sündenfall erhält auch noch die Absolution der Vergaberechtsprechung, die ja solche Praktiken eigentlich verhindern sollte.“ Die von den Kassen durchgeführten Prüfungen, ob ein Hersteller unterhalb der Selbstkosten anbietet, sind aus Hermanns Ansicht also obsolet geworden. „Wer schenkt, aber genug finanzielles Polster und erst auf in der Zukunft liegende mögliche Einnahmen spekuliert, bekommt den Zuschlag. Das ist für uns ein Schlag gegen fairen Wettbewerb.“

Hermann befürchtet Verlust der Anbietervielfalt

Hermann befürchtet auch Langzeitkonsequenzen. Er hält die Industrie für findig genug, noch einem solchen Urteil eine ganze Reihe „wettbewerbskonformer“ Gründe hervorzuzaubern, mit denen im kleinen oder großen Maßstab Verdrängung betrieben werden könne. „Auf Dauer werden die Beitragszahler die Zeche für eine solche Wettbewerbsverwilderung zahlen müssen. Heute geschenkt, kann morgen umso teurer werden“, befürchtet der AOK-Chef.

Die AOK wird nun alle Möglichkeiten prüfen, gegen das Angebot vorzugehen. Hermann stellt sich nach dem Fall „Mibe“ aber auch grundsätzlichere Fragen zum Vergaberecht im Arzneimittelmarkt: „Man kann Ausschreibungen für Gesundheitsleistungen eben nicht mit der Beschaffung von Druckerpapier vergleichen. Wir sollten über alternative Mechanismen nachdenken, um den Markt besser vor solch wettbewerbsschädigenden Angeboten zu schützen.“

Die Firma Mibe war zu keiner Stellungnahme bereit. Zur Ausschreibungsstrategie und zu dem entsprechenden rechtlichen Verfahren gebe man keine Auskunft, hieß es seitens der Firma. Außerdem habe man sich gegenüber den Krankenkassen im Rahmen der Ausschreibungen ohnehin zur Geheimhaltung verpflichten müssen.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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