DAZ aktuell

Ungewisse Zukunft für Rabattverträge

Sind alle bisherigen Rabattverträge rechtswidrig?

STUTTGART/BONN (hst). Nachdem in der vergangenen Woche die Entscheidung der Vergabekammer Düsseldorf bekannt wurde, nach der es den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKs) untersagt ist, für 39 der ausgeschriebenen Substanzen Rabattverträge abzuschließen, hat nunmehr auch das Bundesversicherungsamt, zuständig für die Aufsicht über die bundesweit tätigen Kassen, in einem Schreiben mitgeteilt, dass es die von vielen Krankenkassen ohne Ausschreibung abgeschlossenen Rabattverträge als vergaberechtswidrig zustande gekommen ansieht. Damit stehen auch zahlreiche Rabattverträge vor allem der Ersatzkassen zur Disposition. Die Techniker-Krankenkasse kündigte in der vergangenen Woche die erstmalige Ausschreibung von Rabattverträgen für patentgeschützte Wirkstoffe an. Nachfolgend fassen wir die derzeitige Situation über die Rabattverträge zusammen.

In einem von einem Arzneimittelhersteller betriebenen Nachprüfungsverfahren, inwieweit die Vergabeentscheidung der AOKs zu den für 2008 und 2009 vorgesehenen Rabattverträgen mit den Vorgaben im Vergaberecht für öffentliche Aufträge vereinbar ist, hat die Vergabekammer Düsseldorf mit Beschluss vom 31. Oktober 2007 ein Zuschlagsverbot für 39 Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen erteilt (Tab. 1). Gegen diesen Beschluss können die Allgemeinen Ortskrankenkassen nur noch mit einer sofortigen Beschwerde vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf vorgehen. Mit einer Entscheidung in einem solchen Beschwerdeverfahren rechnen mit derartigen Verfahren vertraute Rechtsanwälte jedoch nicht vor Februar 2008, eher später. Damit können die AOKs für diese Substanzen zunächst keine neuen Rabattverträge auf Basis der vorliegenden Angebote abschließen.

Zwei Verfahren vor Vergabekammern

Insgesamt hatten die AOKs im August Rabattverträge für 82 Wirkstoffe und Wirkstoffkombi-nationen für die Jahre 2008 und 2009 ausgeschrieben. Mitte September hatten die AOKs alle pharmazeutischen Unternehmen, die Angebote abgegeben hatten, informiert, für welche der jeweils angebotenen Wirkstoffe bzw. Wirkstoffkombinationen die einzelnen Unternehmen einen Zuschlag erhalten sollten und für welche nicht. Innerhalb von zwei Wochen konnten die betroffenen Unternehmen nach Vergaberecht Nachprüfungsanträge bei den Vergabekammern stellen. Daraus resultierten im Wesentlichen zwei Verfahren, eines vor der Vergabekammer Düsseldorf, aus dem die oben dargestellte Entscheidung resultiert, und ein weiteres vor der Vergabekammer Bund beim Bundeskartellamt. Die Entscheidung in diesem Verfahren lag bis Redaktionsschluss nicht vor und wird im Laufe dieser Woche erwartet.

Für 39 Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen (Auflistung siehe Tab. 1) hat die Vergabe-kammer Düsseldorf den Allgemeinen Ortskrankenkassen den Abschluss der vorgesehenen Verträge untersagt. Für weitere 17 Wirkstoffe (Aufstellung siehe Tab. 2), für die offensichtlich keine Nachprüfungsanträge gestellt wurden oder für die zumindest kein Zuschlagsverbot mehr erlassen werden kann, haben die AOKs am 2. November 2007 den Unternehmen mit den günstigsten Angeboten die entsprechenden Zuschläge in einer Blitzaktion (die Unternehmen mussten den Eingang der Verträge innerhalb eines Tages bestätigen) Verträge abgeschlossen. Juristen diskutieren allerdings die Frage, ob diese Verträge ebenfalls nichtig sind, wenn das Verfahren insgesamt nicht den vergaberechtlichen Vorgaben entsprach.

Zwei Arten von Rabattverträgen

Hintergrund der Auseinandersetzung ist die Frage, auf welchem Wege und unter welchen Voraussetzungen Rabattverträge zustande kommen können bzw. müssen. Der Gesetzgeber hat den Beteiligten zwar die Möglichkeit zum Abschluss von Rabattverträgen im SGB V einge-räumt, hat aber keine Vorgaben gemacht, wie dies zu erfolgen hat. Im Wesentlichen zu unterscheiden sind daher zwei Arten von Rabattverträgen:

  • Verträge der Allgemeinen Ortskrankenkassen und teilweise der Ersatzkassen, die aufgrund von Ausschreibungen zustande gekommen sind;
  • Verträge, die aufgrund bilateraler Verhandlungen zwischen einer Krankenkasse und einzelnen pharmazeutischen Unternehmen abgeschlossen wurden.

Da der Gesetzgeber keine Regelung getroffen hat, hängen die Voraussetzungen für das rechtmäßige Zustandekommen zum einen daran, ob Krankenkassen öffentliche Auftraggeber sind und ob sie die Vorgaben für öffentliche Ausschreibungen beachtet haben.

Inzwischen mehren sich die Stimmen, die die deutschen gesetzlichen Krankenkassen als öf-fentliche Auftraggeber sehen. Dieser Auffassung ist auch die EU-Kommission. Das nationale Kartell- und Vergaberecht basiert zur Sicherstellung des freien Warenverkehrs innerhalb der EU weitgehend auf EU-Recht. Da zahlreiche Rabattverträge nicht aufgrund von Ausschreibungen abgeschlossen wurden und Ausschreibungen nicht wie im Vergaberecht gefordert EU-weit ausgeschrieben wurden, hat die EU-Kommission mittlerweile ein Vertragsverletzungsver-fahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet. Damit soll die Vergabe von Ra-battverträgen ausschließlich aufgrund von Ausschreibungen sichergestellt werden.

Verstöße gegen Transparenzgebot festgestellt

EU-weite Ausschreibungen im Rahmen des Vergaberechts sind jedoch hochkomplexe Vorgänge, die hohe Anforderungen an die Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Vergabeverfahrens stellen. Dies haben die Krankenkassen, auch in den bisherigen Ausschreibungen, zu umgehen versucht.

So stellt die Vergabekammer Düsseldorf in ihrer Entscheidung einen Verstoß der AOKs gegen das Transparenz- und Gleichbehandlungsgebot fest. Die AOKs hatten in der Ausschreibung eine Marktabdeckung von 75% beim jeweiligen Wirkstoff zur Voraussetzung für die Zuschlagserteilung gemacht, ohne den Anbietern die entsprechenden Daten zur Verfügung zu stellen. Damit sei zum einen die Vergleichbarkeit der Angebote nicht gewährleistet, da nicht auszuschließen sei, dass die Bieter mangels einheitlicher Vorgaben von unterschiedlichen Annahmen bezüglich der vorausgesetzten Produktbreite ausgingen. Die Bieter hätten ihre Angebote daher nicht optimal an den Anforderungen der Krankenkassen ausrichten können. Zum anderen sei die Auswertung für die Bieter nicht transparent, so dass sie mögliche Wertungsmängel zu ihren Lasten gar nicht erkennen könnten.

Die Verwendung von Auswahlkriterien, die dem Bieter geheim bleiben, sei dem Vergaberecht fremd und unter keinen Umständen vertretbar. Der Auftraggeber habe seinen Bedarf offen zu legen, um den Bietern die optimale Angebotserstellung zu ermöglichen. Die AOKs hatten für die Ausschreibung keine Verordnungsdaten zur Verfügung gestellt. Wenn dadurch den Anbietern zwangsläufig strukturelle, organisatorische, planerische Überlegungen und Daten des Auftraggebers bekannt würden, sei dies hinzunehmen. Eine Preisgabe von Sozialdaten sieht die Kammer nicht, wenn den Bietern die notwendigen Angaben zur Verfügung gestellt werden. Aus den nachgefragten Mengen könne allenfalls mittelbar und spekulativ auf die Verordnungssituation geschlossen werden. Zuordnungen zu einer Region, einem Arzt oder einer Apotheke seien nicht möglich.

Offene Rechtsfragen

Um das Verfahren herum gibt es zahlreiche offene Rechtsfragen, insbesondere ob die Vergabekammern oder die Sozialgerichte zuständig sind. Eine Vorrangstellung der Sozialgerichte sieht die Vergabekammer jedenfalls nicht und sieht sich auch örtlich als zuständig an. Weitere Klärung ist hier wohl erst in dem erwarteten Verfahren beim Oberlandesgericht Düsseldorf zu erwarten. Dieses hatte im Sommer bereits in einem anderen Verfahren den Europäischen Gerichtshof zur Klärung einiger Fragen angerufen.

Aufgrund einer Rechtsaufsichtsbeschwerde eines Arzneimittelherstellers hat das Bundesversi-cherungsamt mit Schreiben vom 8. November 2007 mitgeteilt, dass vergaberechtswidrig zu-stande gekommene Rabattverträge gekündigt und neu ausgeschrieben werden müssen. Bereits mit Rundschreiben vom 22. August 2007 hatte das Bundesversicherungsamt den Krankenkassen seine Rechtsauffassung mitgeteilt, dass Rabattverträge nach § 130a Abs. 8 SGB V grundsätzlich dem Anwendungsbereich des Gesetes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) unterliegen und demzufolge europaweit auszuschreiben seien. Auch sieht das Bundesversicherungsamt die gesetzlichen Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber.

Wörtlich heißt es in dem Schreiben: "Soweit in der Vergangenheit Rabattverträge abgeschlos-sen wurden, die den vergaberechtlichen Grundsätzen von Wettbewerb, Gleichbehandlung und Transparenz widersprechen, sind diese rechtswidrig. Wir gehen davon aus, dass diese Verträge – soweit dies möglich ist – gekündigt und unter Einhaltung der Vorgaben des GWB neu ausgeschrieben werden." Tätig werden will das Bundesversicherungsamt derzeit aber noch nicht und zunächst die weitere Rechtsprechung abwarten.

Schließen Krankenkassen allerdings weiterhin rechtswidrig Rabattverträge ohne europaweite Ausschreibung ab, muss nach Einschätzung von Beobachtern mit aufsichtsrechtlichen Schrit-ten gegen betroffene Krankenkassen gerechnet werden. Diskutiert wird von betroffenen Arzneimittelherstellern auch die Frage, inwieweit Krankenkassen gegenüber den Herstellern schadensersatzpflichtig sein könnten, wenn Produkte aufgrund rechtswidrig zustande gekommener Rabattverträge in den Apotheken ausgetauscht werden.

Wie geht’s weiter?

Völlig unklar ist, wie es jetzt ab Januar in den Apotheken mit den AOK-Verträgen weitergehen soll. Die bestehenden Verträge laufen zum 31. Dezember 2007 aus. Die zum 1. April 2007 geschlossenen und zum 31. Dezember 2007 befristeten Rabattverträge enthalten keine Verlän-gerungsoption. Neue vergaberechtskonforme Verträge sind nach Einschätzung von Beteilig-ten bis dahin nicht mehr realisierbar.

Als unzulässig gelten auch Überlegungen zumindest einzelner Allgemeiner Ortskrankenkassen, die bestehenden Verträge in 2008 fortzuführen. So lange die Entscheidung der Vergabe-kammer Düsseldorf nicht aufgehoben wird, gelten für die 39 betroffenen Substanzen ab Januar 2008 keine Rabattverträge. Es ist aber durchaus möglich, dass einzelne AOKs neben den ausgeschriebenen Verträgen weitere Verträge geschlossen haben. Diese Verträge laufen weiter, sofern sie nicht ebenfalls zum Jahresende auslaufen. Hier besteht also erheblicher Aufklärungsbedarf der Ortskrankenkassen und der Landesapothekerverbände, welche Verträge ab kommendem Jahr noch gelten und welche nicht.

Sofern keine Rabattverträge bestehen, gelten die Abgabebestimmungen gemäß dem Rah-menvertrag nach § 129 SGB V, das heißt, bei Verordnung eines Fertigarzneimittels unter sei-nem Warenzeichen ist das verordnete Produkt oder eines der drei preiswertesten Arzneimittel abzugeben.

Lagerbestände abbauen

Aufgrund der erheblichen wirtschaftlichen Schäden, die pharmazeutische Unternehmen bei Verstößen gegen die dann geltenden Bestimmungen geltend machen können, sollten Apo-theken nach Einschätzung von Juristen ihre Lagerbestände an Fertigarzneimitteln, für die bis-lang die AOK-Rabattverträge gelten, bis zum Jahresende weitestgehend abbauen und sorg-fältig auf die Einhaltung der dann geltenden Abgabebestimmungen achten. Es müsse mit flächendeckenden Testkäufen und nachfolgenden Schadensersatzforderungen bei Rechtsverstößen durch betroffene Unternehmen gegen Apotheken gerechnet werden, heißt es.

Das vielfach bereits herbeigesehnte Ende der Rabattverträge bedeuten die aktuellen Auseinandersetzungen sicher nicht. Dafür konstatieren die Krankenkassen derzeit zu hohe Einspa-rungserwartungen aufgrund der geschlossenen Verträge. So rechnen die Allgemeinen Ortskrankenkassen aufgrund der für die 17 Substanzen abgeschlossenen Verträge mit Einsparungen von 130 Mio. Euro bei einem Umsatz mit den betroffenen Wirkstoffen von 450 Mio. Euro. Krankenkassen werden aber einen hohen Aufwand betreiben müssen, um rechtskonforme Ausschreibungen und Vergaben von Rabattverträgen durchzuführen. Auch gelten die Ein-sparmöglichkeiten im Generikabereich mit den abgeschlossenen Verträgen weitgehend als ausgereizt.

Eine neue Runde bei Rabattverträgen kündigte die Techniker-Krankenkasse in der vergangenen Woche an. Nach Darstellung von Dr. Christof Straub, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Techniker-Krankenkasse, plant die TK eine erste Ausschreibung für eine Gruppe patentgeschützter Arzneimittel. Testgruppe sollen hier die Sartane wie Losartan etc. werden. Auch wenn hier noch viele Fragen offen sind, zeigte sich Straub optimistisch, auch in diesem Marktsegment Rabattverträge mit erheblichen Einsparungen für die Krankenkassen etablieren zu können.

Tab. 1: Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen, für die die Allgemeinen Ortskrankenkassen nach dem Beschluss der Vergabekammer Düsseldorf keine Rabattverträge abschließen dürfen.

(Alle Angaben ohne Gewähr!)
Alfuzosin
Allopurinol
Amiodaron
Amisulprid
Amlodipin
Bisoprolol (und Hydrochlorothiazid)
Carvedilol
Ciprofloxacin
Citalopram
Doxazosin
Doxepin
Enalapril (und Hydrochlorothiazid)
Finasterid
Furosemid
Gabapentin
Glimeprid
Isosorbiddinitrat
Isosorbidmononitrat
Lamotrigin
Levodopa und Decarboxylasehemmer
Lisinopril (und Hydrochlorothiazid)
Metoprolol
Metoprolol und Hydrochlorothiazid
Mirtazapin
Nitrendipin
Omeprazol
Paroxetin
Ramipril (und Hydrochlorothiazid)
Ranitidin
Roxithromycin
Sertralin
Simvastatin
Spironolacton
Sumatriptan
Tamsulosin
Terazosin
Tramadol
Trimipramin
Verapamil
Tab. 2: Abgeschlossene AOK-Rabattverträge für 2008/2009, Wirkstoffe und Hersteller. (Alle Angaben ohne Gewähr!)
Wirkstoff
Pharmazeutischer
Unternehmer
Amoxicillin
1A Pharma
Infectopharm
Ratiopharm
Azithromycin
Sandoz Pharmaceuticals
Teva Generics
Winthrop Arzneimittel
Baclofen
AWD.pharma
Merck-dura
Ratiopharm
Beclometason
IVAX
Cabergolin
ct Arzneimittel
Pharmacia (Pfizer)
Teva Generics
Co-trimoxazol
1A Pharma
Ratiopharm
Doxycyclin
1A Pharma
Aliud Pharma
Ratiopharm
Formoterol
Astellas Pharma
Meda Pharma
Glibenclamid
Berlin-Chemie
Merck-dura
Ratiopharm
Levothyroxin
Hexal
Lindopharm
Merck Pharma
Sanofi-Aventis
Metamizol
Hexal
Ratiopharm
Winthrop Arzneimittel
Methylprednisolon
Hexal
Mibe Vertriebsgesellschaft
Winthrop Arzneimittel
Ondansetron
Hexal
Ratiopharm
Winthrop Arzneimittel
Phenoxymethylpenicillin-Kalium
Infectopharm
Phenprocoumon
ct Arzneimittel
Hexal
Roche Pharma
Theophyllin
Aliud Pharma
Lindopharm
Ratiopharm
Tilidin und Naloxon
Gödecke (Pfizer)
Ratiopharm
Stadapharm

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