AOK-Rabattverträge vor dem Aus

BERLIN (ks). Es ist kaum mehr anzunehmen, dass die AOKen zum 1. Januar 2008 mit neuen Arzneimittel-Rabattverträgen an den Start gehen können. Am 24. Oktober fand vor der 2. Vergabekammer des Bundeskartellamts die mündliche Verhandlung zu den von sieben Arzneimittelherstellern eingeleiteten Nachprüfungsverfahren gegen die zweite AOK-Ausschreibung statt. Die Entscheidung soll angesichts der komplizierten Materie zwar erst Mitte November verkündet werden – doch egal wie diese ausfällt: Beide Seiten würden im Falle des Unterliegens weiter für ihr Recht streiten. Der AOK bliebe es dann bis zu einer endgültigen Entscheidung verwehrt, ihren potenziellen Vertragspartnern Zuschläge zu erteilen.

Die Krankenkasse darf auch weiterhin keine Zuschläge für die zweite Ausschreibungsrunde erteilen

Nach Informationen des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller (BAH) wurde in der mündlichen Verhandlung zunächst die örtliche und sachliche Zuständigkeit des Bundeskartellamtes diskutiert. Anlass dazu gibt nicht zuletzt § 130a Abs. 9 SGB V, wonach "bei Streitigkeiten in Angelegenheit dieser Vorschrift ... der Rechtsweg vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben" ist. Sodann ging es um die Frage, ob gesetzliche Krankenkassen öffentliche Auftraggeber im Sinne des Vergaberechts sind und ob es sich bei den Rabattverträgen um öffentliche Aufträge handelt. Laut BAH sehen Teilnehmer der mündlichen Verhandlung beim Bundeskartellamt die Tendenz, die örtliche und sachliche Zuständigkeit sowie die Eigenschaft der Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber zu bejahen. Nicht eindeutig sei jedoch die Diskussion über die Frage gewesen, ob Rabattverträge öffentliche Aufträge im Sinne des Vergaberechts sind. Hier argumentierten die Hersteller, dass auf nationalen Vorschriften beruhende Rabattverträge und die daraus für die Arzneimittelverordnung und -abgabe von Arzneimitteln folgenden Konsequenzen die Bestimmungen des EG-Vergaberechts nicht verdrängen könnten. Die AOKen sehen in den Rabattverträge hingegen keine Liefer- oder Dienstleistungsverträge im Sinne des Vergaberechts. Ihr Argument: Nicht die Kassen kaufen die Medikamente bei der Industrie ein, sondern die Ärzte entscheiden nach wie vor frei darüber, welches Medikament sie verordnen.

Die zuständige Vergabekammer hat angekündigt, bis zum 16. November über die Nachprüfungsanträge zu entscheiden. Sofern ihnen stattgegeben wird, würde das Vergabeverfahren aufgehoben und das bereits mit der Zustellung der Nachprüfungsanträge erwirkte Zuschlagsverbot bestehen bleiben. Gegen einen solchen Beschluss könnten die AOKen Rechtsbeschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf einlegen. Bei einer gegenteiligen Entscheidung stünde das gleiche Rechtsmittel den Arzneimittelherstellern zu. "In die zweite Instanz geht es so oder so", erklärte der AOK-Chefunterhändler für die Rabattverträge Christopher Hermann gegenüber der AZ. Der BAH rechnet frühestens im Februar/März 2008 mit einer endgültigen Entscheidung des OLG Düsseldorf. Dann könnte es möglicherweise noch bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) gehen. Dies sieht man bei der AOK zwar nicht kommen. Der BAH wies aber darauf hin, dass der Vergabesenat des OLG Düsseldorf schon im vergangenen Mai dem EuGH die Frage vorgelegt hat, ob gesetzliche Krankenkassen öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 2 GWB bzw. der zugrundeliegenden gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen sind. Unter Umständen zeichne sich auch eine Parallele zu der von der AOK Brandenburg erfolgten Ausschreibung für Hilfsmittel ab. Hier darf nach einer Entscheidung des OLG Brandenburg die AOK den Zuschlag nicht erteilen, solange das Beschwerdeverfahren läuft.

Alte Verträge laufen aus

Hermann hätte es lieber gesehen, die Vergabekammer hätte sich zu einer schnelleren Entscheidung durchgerungen. Er ist nach wie vor überzeugt, dass die AOKen korrekt gehandelt haben. Doch nun laufen die alten Rabattverträge zum Jahresende aus, ohne dass ihnen neue folgen werden. Über Alternativen werde nachgedacht, sagte Hermann der AZ. Wie diese aussehen könnten, ließ er aber offen. Zumindest soll für ein behutsames Auslaufen der bisherigen Rabattverträge gesorgt werden. Für Januar und Februar werde ihr Abverkauf noch garantiert, so Hermann. "Wir wollen auf jeden Fall verhindern, dass die Bestellmengen der Großhändler und Apotheken schon zum Jahresende zurückgehen oder die Produktion zurückgefahren wird".

Wie der Rechtsstreit letztlich ausgehen wird, ist offen. Allerdings hatte sich das Bundesversicherungsamt schon im August auf den Standpunkt gestellt, dass für die Rabattverträge das EU-Vergaberecht zu beachten ist. Das Amt ist jedoch nicht für Aufsicht der regional agierenden AOKen zuständig. Darüber hinaus hat mittlerweile auch die EU-Kommission Anstoß an dem Rabattverfahren genommen. Unter anderem hatte der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie bei der Kommission Beschwerde wegen Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts durch die gesetzlichen Krankenkassen eingeleitet. Nun hat die Kommission am 17. Oktober ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet. In einem Aufforderungsschreiben der Kommission an die Bundesregierung heißt es laut BAH, dass die Bundesrepublik durch den Abschluss von Rabattverträgen nach § 130a Abs. 8 SGB V durch die gesetzlichen Krankenkassen gegen Art. 32 Abs. 2 i. V. m. Titel II Kapitel V – VII der Richtlinie 2004/18/EG über die Koordinierung zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge verstoßen haben könnte. Die Bundesregierung wird aufgefordert, hierzu binnen zwei Monaten Stellung zu nehmen. Im Bundesgesundheitsministerium bestätigte man den Eingang dieses Schreibens, wollte sich aber nicht näher dazu äußern..

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