Phytotherapie

Ist Artemisia-Tee gegen Malaria sinnvoll oder Leichtsinn?

München - 05.07.2016, 11:00 Uhr

Die WHO rät von Artemisia-Tee ab, der auch hier von Apotheken vertrieben wird. (Foto: emer / Fotolia)

Die WHO rät von Artemisia-Tee ab, der auch hier von Apotheken vertrieben wird. (Foto: emer / Fotolia)


Natürlich hilft Artemisia-Tee gegen Malaria! sagen Artemisia-Nutzer in Malariagebieten und auch hierzulande. Bloß nicht, warnt die WHO und rät zu Tabletten. Seltsam ist jedoch: Beforscht wird die Hoffnungspflanze bei uns kaum. 

Es waren Chinesen, die in den 1970er Jahren aus dem einjährigen Beifuß (Artemisia annua) das Artemisinin isolierten, den heute wichtigsten Wirkstoff gegen Malaria. Artemisinin zerstört Plasmodien rapide durch reaktive Radikale, welche in den infizierten Erythrozyten aus der Peroxidstruktur des Moleküls entstehen. Das Sesquiterpen wurde plastisch als „eisengezündete Streubombe“ beschrieben (vgl. DAZ 30/2008). Seine Entdeckung war 2015 eines Medizin-Nobelpreises würdig. 
Blätter und Blüten von Artemisia annua enthalten bis zu 1,4 Prozent des Plasmodienkillers. Darüber hinaus noch eine Fülle weiterer aktiver Substanzen, denen synergistische Effekte in der Therapie der Malaria und weiterer Erkrankungen zugeschrieben werden.

Und darum geht der Streit: Lässt sich Malaria sicher auch mit Artemisia-Tee kurieren? Das sagen eine Minderzahl der Tropenmediziner und Organisationen wie Anamed, die eine wirkstoffreiche Variante von Artemisia in den Tropen anbaut und die Malaria-malade Bevölkerung in der Anwendung instruiert. Oder handelt es sich bei dem Tee um eine unterdosierte Pseudoarznei, die Resistenzen den Weg bahnt? Das erklärte 2012 offiziell die WHO - und untersagte die Anwendung aller „nicht-pharmazeutischen Formen von Artemisia annua“.

Wie wirksam ist Artemisia-Tee?

Zu der zentralen Frage gibt es wenige Daten. Zwei Studien stehen exemplarisch für den Streit um den Korbblütler.
Die WHO zitiert gerne eine 2004 im Kongo durchgeführte, kontrollierte Studie, welche die Wirksamkeit und Sicherheit definierter Artemisia-Teeaufgüsse bei 132 erwachsenen Patienten mit unkomplizierter Malaria (Parasitämie > 2000/µl und klinische Malariasymptome) untersuchte. Die Kranken tranken eine Woche lang über den Tag verteilt einen Liter Tee aus 5 g bzw. 9 g Blättern von Artemisia annua, oder erhielten 1.500 mg/d Chinin. Die Teeaufgüsse enthielten 47 bzw. 94 mg/L Artemisinin. Die Heilungsrate an Tag sieben, definiert als Parasitenfreiheit, lag bei 77 Prozent bzw. 70 Prozent unter der Teetherapie und bei 91 Prozent unter Chininsulfat. In allen Therapiearmen besserten sich binnen drei Tagen die meisten Malariasymptome oder verschwanden ganz. Die Autoren bemängelten aber die unter der Teetherapie häufigere Wiederkehr der Parasitämie im Zeitraum von vier Wochen nach Therapieende („recrudescence“). Mangels Langzeitwirkung und der Gefahr der Resistenzbildung könne die Teebehandlung nicht als Malariatherapie empfohlen werden, schließen die Autoren.

Eine aktuelle Studie, durchgeführt in Bénin in Westafrika an 130 Malariakranken ab zehn Jahre  (Parasitämie > 1000/µl und klinische Malariasymptome) verwendete einen vor Ort angebauten Artemisia-Cultivar mit nur 0,3 Prozent Artemisinin. Ein Teeaufguss aus 12 g Blättern je Liter enthielt rund 36 mg des Wirkstoffs. Die Patienten tranken wie in der o.g. Studie viermal täglich einen Viertelliter während sieben Tagen. 82 Prozent der Patienten waren binnen 24 Stunden fieberfrei, bei einer Reduktion der Parasitämie von 98 Prozent nach 24  bzw. 100 Prozent nach 36 Stunden. Im Unterschied zu der Studie von Müller wurden auch keine Rückfälle beobachtet. Die Autoren schlussfolgern, dass der Tee eine wirksame und kostengünstige Alternative zur Reinsubstanz in Tabletten ist. Sie postulieren angesichts der relativ niedrigen Artemisininkonzentration im Aufguss weitere antiplasmodisch wirksame Inhaltsstoffe. 
Unbestritten wirkt also Artemisia-Tee in ausreichender Konzentration gegen Plasmodien; aber über das Ausmaß der Wirksamkeit und die Resistenzgefahr gehen die Meinungen dann weit auseinander. Auffällig ist, dass für westliche Forscher das Thema ein No-go ist; Forschung findet nur vereinzelt statt. Big Pharma ist ohnehin nicht interessiert.

Bilden sich Resistenzen auch gegen Artemisia-Tee?

Wofür die Pharmaindustrie ausreichende Evidenz lieferte, ist die Wirksamkeit der halbsynthetischen Derivate des Artemisinins wie Artemether odert Artesunat. Ihre Wirkdauer liegt nur bei zwei bis drei Stunden. Daher werden sie bei der „artemisinin-based combination therapy“ (ACT), welche die WHO seit 2004 empfiehlt, mit langwirkenden Antimalariamitteln wie Lumefantrin (in Riamet®, Coartem®) oder Piperaquin (in Eurartesim®) kombiniert. Dies soll die Effizienz optimieren und die Resistenzgefahr senken. Schon 2006 hatte die WHO darauf gedrungen, alle Artemisinin-Monotherapien vom Markt zu nehmen.

Denn Faktoren, die generell Resistenzbildungen bei Erregern beschleunigen, sind unterdosierte Antiinfektiva und ihre Gabe als Monotherapie. Zu den Monotherapien zählt die WHO alle Pflanzenzubereitungen. Sie geht davon aus, dass täglich 100 mg Artemisinin in 1 l Artemisia-Tee eine subtherapeutische Dosis bedeuten und resistente Erreger auslesen können. Aber welche Konzentrationen werden im Tee und welche im Plasma wirklich erreicht? In einer pharmakokinetischen Studie der Uni Tübingen führte ein Infus mit 94,5 mg/l Artemisinin bei Einnahme von  einem Liter bei gesunden Probanden zu maximalen Blutkonzentrationen von median 240 ng/ml Artemisinin. Das ist immerhin 26-mal mehr als die berichtete minimale Konzentration von 9 ng/ml, die notwendig ist, um das Wachstum von P. falciparum in vitro zu hemmen.

Protagonisten der Artemisiapflanze bezeichnen den Tee ohnehin als „natürliche Kombinationstherapie“. Er zeichne sich durch evolutionär verfeinerte, synergistische Effekte vieler Einzelstoffe aus, schreibt Stephen M. Rich von der University of Massachusetts. Seine Gruppe berichtet, dass sich im Nagermodell der Malaria Resistenzen gegen einen Gesamtextrakt von Artemisia dreimal langsamer entwickelten als gegen reines Artemisinin.

Die synergistischen Effekte von Artemisia gelten für den Leitliniengeber WHO als hypothetisch. Indes ist auch die Ansicht, dass der Tee bei der Selektionierung resistenter Plasmodien eine relevante Rolle spielt, nicht belegt.

Quellen

WHO Position Statement (June 2012) Effectiveness of Non-Pharmaceutical Forms of Artemisia annua L. against malaria

Mueller MS et al. Randomised controlled trial of a traditional preparation of Artemisia annua L. (Annual Wormwood) in the treatment of malaria. Trans R Soc Trop Med Hyg  2004,98: 318-332

ZIME-DIAWARA H et al. Etude de l’efficacité et de la tolérance d’une tisane à base de Artemisia annua L. (Asteraceae) cultivée au Bénin pour la prise en charge du paludisme simple Int. J. Biol. Chem. Sci. 2015 ;9: 692-702

WHO Media Centre (http://www.who.int/mediacentre/news/releases/2006/pr23/en/): WHO announces pharmaceutical companies agree to stop marketing single-drug artemisinin malaria pills

Räth K et al. Pharmacokinetic study of artemisinin after oral intake of a traditional preparation of Artemisia annua L. (annual wormwood) Am J Trop Med Hyg. 2004 Feb;70(2):128-32

Elfawal MA et al. Dried whole-plant Artemisia annua slows evolution of malaria drug resistance and overcomes resistance to artemisinin. Proc Natl Acad Sci U S A. 2015;112:821–826. doi:  10.1073/pnas.1413127112



Ralf Schlenger, Apotheker. Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.