Osteoporose

Wirkstoffe können auch zerstörerisch auf Knochen wirken

Münster - 17.03.2016, 07:30 Uhr

Illustration (Ausschnitt): Gesunde Knochenstruktur - und solche mit Osteoporose. (Foto: eranicle / Fotolia)

Illustration (Ausschnitt): Gesunde Knochenstruktur - und solche mit Osteoporose. (Foto: eranicle / Fotolia)


Etwa ein Drittel der Frauen erkranken nach der Menopause an Osteoporose. Ein effektives Arzneimittel dagegen ist heiß ersehnt - bei einem vielversprechenden Kandidaten haben sich nun aber überraschende Einschränkungen ergeben.

Der Signalstoff Sclerostin gilt als vielversprechender Ansatzpunkt für neue Therapien gegen Osteoporose. Mehrere Studien großer Pharmafirmen an Patientinnen zu solchen Wirkstoffen laufen bereits. Forscher haben nun bei einer Untersuchung an Mäusen einen überraschenden Nebeneffekt ausgemacht: Die Substanzen können eine bestehende rheumatische Arthritis erheblich verstärken, berichten sie im Fachjournal „Science Translational Medicine“. Für Patienten mit dieser Krankheit sei eine auf Sclerostin abzielende Behandlung daher wahrscheinlich nicht zu empfehlen.

Eine nun zu klärende Frage sei zudem, ob Sclerostin blockierende Wirkstoffe immer kontraproduktiv sein könnten, wenn es irgendwo im Körper eine Entzündung gibt, erläutert Studienautor Thomas Pap vom Universitätsklinikum Münster. „Das ist eine große Frage, die sich nun stellt.“ Gerade ältere Menschen litten vermehrt unter chronischen Entzündungen, gibt er zu bedenken.

Ursprünglich war das Team um Thomas Pap, Berno Dankbar und Corinna Wehmeyer vom gegenteiligen Effekt ausgegangen: einem lindernden Effekt der Wirkstoffe auch bei rheumatischer Arthritis. Bei dieser chronischen Gelenkentzündung werden im Laufe der Zeit die Gelenke zerstört und ihre Beweglichkeit eingeschränkt. Etwa ein Prozent der Bevölkerung seien betroffen, sagt Pap. In der Gelenkinnenhaut solcher Patienten fanden die Forscher größere Mengen an Sclerostin als bei solchen mit einer anderen, nichtentzündlichen Form von Arthritis. Mit einer Blockierung dieses Signalstoffes sollte sich die Zerstörung der Knochen bei rheumatischer Arthritis womöglich stoppen lassen, schlussfolgerten sie.

Bei den anschließenden Testreihen mit Mäusen folgte die Überraschung: Wurde über einen Wirkstoff das Sclerostin blockiert, verstärkte sich der Knochenverlust. Dies galt für Tiere mit sogenannter TNF-alpha-getriebener Arthritis. TNF-alpha ist ebenfalls ein Signalmolekül. Es spielt bei Entzündungsprozessen eine große Rolle und fördert den Knochenabbau bei rheumatischer Arthritis. Der schützende Effekt von Sclerostin bei dieser Erkrankung beruhe wohl darauf, dass das Protein den Signalstoff TNF-alpha blockiere, erläutern die Forscher.

Bei Mäusen, deren Arthritis nicht von TNF-alpha beeinflusst wird, hatten das Sclerostin blockierende Substanzen demnach kaum einen Effekt oder verbesserten die Symptome sogar. Daraus lasse sich ableiten, dass vermutlich generell nur solche Entzündungsreaktionen betroffen sind, bei denen TNF-alpha eine Rolle spielt, erklärt Pap. „Der Effekt lässt sich relativ streng an diesem einen Entzündungsfaktor festmachen.“ Dies müsse nun abgeklärt werden - mit neuen Studien und anhand der bereits gewonnenen Patientendaten.

Keine breite Wirkung des Arzneimittels

Sclerostin ist ein hauptsächlich in den Knochen gebildetes Protein. Es hemmt die knochenbildende Funktion der sogenannten Osteoblasten. Im Normalfall sind Knochenbildung und -abbau im Körper fein austariert. Überwiegt der Knochenabbau, entsteht Osteoporose, oft Knochenschwund genannt. Diese vor allem bei älteren Frauen häufige Erkrankung macht die Knochen anfällig für Brüche. Typische Folge der geringen Knochendichte ist zudem eine gebeugte Haltung bei schwindender Körpergröße.

Für Deutschland wird geschätzt, dass knapp ein Drittel der Frauen nach der Menopause an Osteoporose erkranken. Auch Männer ab etwa 70 Jahren sind häufiger betroffen. Erste klinische Studien ergaben, dass Wirkstoffe, die das Sclerostin blockieren, einen vielversprechenden neuen Therapieansatz bei Osteoporose bieten könnten. Bei mehreren großen Firmen liefen derzeit entsprechende Entwicklungsprogramme und Studien mit Hunderten Patienten, sagt Studienautor Thomas Pap.

Führende Pharmakonzerne hätten bereits viele Millionen Euro in die Entwicklung solcher Wirkstoffe investiert, betont auch Christian Kasperk von der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg. „Der Therapieansatz ist auch wirklich aussichtsreich, das muss man sagen.“ Mit der neuen Studie werde nun schmerzhaft ein Finger in die Wunde gelegt. „Man hatte sich möglichst breit verwendbare Wirkstoffe ohne kompromittierende Aspekte erhofft.“

Vielfach seien es gerade chronische entzündliche Erkrankungen etwa des Magen-Darms-Trakts, die eine Osteoporose auslösten, erklärt Kasperk. Und bei zahlreichen der Signalketten dabei spielten TNF-Botenstoffe eine Rolle. „Das Studienergebnis bedeutet darum wahrscheinlich eine gravierende Einschränkung der erhofften breiten Anwendung.“

Schon vor der eindrucksvollen aktuellen Studie hätten sich negative Aspekte angedeutet, ergänzt der Osteoporose-Experte. Sclerostin werde auch in den Gefäßwänden gebildet. Wenn es blockiert wird, stimuliert das möglicherweise die Verkalkung der Gefäße. Solche Effekte fielen bei den auf bestimmte Aspekte konzentrierten klinischen Studien meist gar nicht auf. „Kurzfristig gibt es vielleicht auch keine Auffälligkeiten“, erklärt Kasperk. „Aber Osteoporose-Medikamente werden ja über viele Jahre eingenommen.“

Patienten sei generell in vielen Fällen zu empfehlen, lieber auf bewährte Mittel zu setzen. Ihre möglichen Nebenwirkungen seien dank der jahrzehntelangen Beobachtung und großer Langzeitanalysen bekannt. „Was neu und teuer ist, muss nicht besser sein», betont der Mediziner. „Bei vielen neuen Wirkstoffen haben wir noch gar keine Ahnung, ob wir damit nicht auch Unfug machen.“ Insofern sei es ein Glücksfall, dass die Probleme bei Sclerostin blockierenden Wirkstoffen schon weit vor der Zulassung bekannt würden.

Ein Problem bei den bisher verwendeten Arzneimitteln sei, dass sie zwar sehr gut auf einzelne Wege des Knochenstoffwechsels einwirkten, aber keinen ganzheitlichen Erfolg für das Frakturrisiko brächten, erklärt der Münsteraner Mediziner Pap. „Die Balance zwischen Knochenauf- und Abbau hinzubekommen, ist nicht so einfach.“

Weil das Sclerostin hauptsächlich in den Knochen gebildet wird, seien Experten bisher davon ausgegangen, dass es kaum andere Wirkungen im Körper habe, erläutern zwei nicht an der Studie beteiligte kanadische Forscher in „Science Translational Medicine“. Die Analyse zeige nun deutlich, dass Sclerostin doch mehr sei als eine Knochenwachstums-Bremse.

Zwar ließen sich die bei Mäusen gewonnenen Ergebnisse nicht direkt auf den Menschen übertragen, betonen Frank Rauch von der McGill University in Montreal und Rick Adachi von der McMaster University in Hamilton in ihrem Beitrag. Die mögliche klinische Bedeutung sei aber groß. Viele Osteoporose-Patienten haben demnach Begleiterkrankungen, die den Effekt des Sclerostins beeinflussen könnten.

Der Signalstoff TNF-alpha spiele auch bei weiteren Krankheitsbildern wie Morbus Crohn eine Rolle, heißt es im Begleittext weiter. „Es wird wichtig sein, herauszufinden, ob Sclerostin solche Krankheiten beeinflusst und ob eine Sclerostin-Blockade für sie irgendwelche gegensätzlichen Effekte hat.“ Bei Patienten-Studien müsse unbedingt auf solche möglichen Begleiteffekte geachtet werden.


Annett Stein, dpa Wissenschaftsredaktion
redaktion@daz.online


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