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Leitlinie

Starke Behandlung bei Muskelschwäche

Neue Leitlinie zur Therapie von Myositis-Syndromen erschienen

Myositiden ist die Bezeichnung für eine heterogene Gruppe erworbener Muskelerkrankungen. Hauptmerkmal sind entzündliche Infiltrationen der Skelettmuskulatur. Es kommt zur Muskelschwäche (Paresen) und Muskelschwund (Atrophie). Auch extramuskuläre Organe können in Mitleidenschaft gezogen werden. Ziel der neuen Leitlinie ist es, die Behandlungs­strategien zu verbessern. | Von Martina Wegener

Myositiden sind durch zelluläre und Autoantikörper-vermittelte Muskelentzündungen gekennzeichnet. Sie sind oftmals mit starken Schmerzen verbunden. Es kommt zu fortschreitenden Bewegungseinschränkungen und erhöhter Morbidität. Die Lebensqualität der Betroffenen kann erheblich eingeschränkt sein. So müssen die Patienten langfristig interdisziplinär (Neurologen, Rheumatologen, Dermatologen) behandelt werden. Bei schweren Verlaufsformen kann es auch zu kurzfristigen intensivmedizinischen Behandlungen kommen.

Netzwerke für Myositis-Patienten

Patientenorganisationen, an die sich Betroffene wenden können, sind die Deutsche Rheuma-Liga (www.rheuma-liga.de), und die Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e. V. (www.dgm.org). Diese Organisationen klären über Myositiden und deren Behandlung auf. Außerdem kann mit anderen Personen mit Muskelentzündung ein Erfahrungsaustausch stattfinden, der für die Akzeptanz der Erkrankung wichtig ist.

Das Myositis Netz (www.myositis-netz.de) hat sich die Förderung der Erforschung entzündlicher Muskel­erkrankungen zur Aufgabe gemacht. Durch die inter­disziplinäre Zusammenarbeit von Forschungseinrichtungen aus dem deutschsprachigen Raum sollen die Krankheitsmechanismen und therapeutischen Möglichkeiten untersucht und zur praktischen Anwendung gebracht werden. Hier wird auch über klinische Studien und die Teilnahmemöglichkeiten informiert.

Einteilung der Myositiden

Die Klassifizierung der Myositiden erfolgt anhand klinischer, histologischer und immunpathologischer Kriterien. Dabei werden die autoimmunvermittelten Myositiden in fünf Untergruppen gegliedert:

  • Dermatomyositis (DM)
  • Anti-Synthetase-Syndrom (ASyS/ASS) und Overlap-Myositis (OM) im Rahmen immunologischer System­erkrankungen (z. B. systemischer Lupus erythematodes)
  • immunvermittelte nekrotisierende Myopathie (IMNM)
  • Polymyositis (PM)
  • Einschlusskörpermyositis (inclusion body myositis, IBM)

Darüber hinaus unterscheidet man noch erregervermittelte Myositiden (viral, parasitär, bakteriell oder mykotisch) und Sonderformen wie die Sarkoidose-assoziierte Myositis [1].

Muskelschwäche als Schlüsselsymptom

Die Inzidenz von DM, PM und IBM beträgt zusammen ca. 1 zu 100.000 Personen. Bei der Dermatomyositis wird zwischen der juvenilen (Alter fünf bis 15 Jahre) und der adulten (ab 16 Jahren) Form unterschieden, eine Polymyositis tritt in allen Altersgruppen auf (meist zwischen dem 45. und 60. Lebensjahr). An beiden Myositiden erkranken mehr Frauen als Männer (Verhältnis 2 : 1). Die Dermatomyositis und Polymyositis verlaufen meist akut bis subakut. Die Prävalenz der Einschlusskörpermyositis liegt ungefähr bei 4,5 bis 9,5 zu 1.000.000. Für über 50-Jährige steigt sie auf 35 zu 1.000.000 und stellt somit die häufigste erworbene Myositis in dieser Altersgruppe dar. Hieran erkranken Männer dreimal so häufig wie Frauen; der Verlauf ist chronisch, wenn die Beschwerden über zwölf Monate anhalten [1].

Wegweisendes Symptom aller Myositiden ist eine Muskelschwäche bei erhaltener Sensibilität und Muskeleigenreflexen. Bei PM, IMNM und DM weist die Muskelschwäche ein proximal-symmetrisches Verteilungsmuster auf; bei der Einschlusskörpermyositis sind auch distale Muskelgruppen wie Fußextensoren und Fingerflexoren betroffen. Fast die Hälfte der Patienten berichtet über Schmerzen in Muskeln und/oder Gelenken. Bei fortgeschrittener Erkrankung kann es auch zu Symptomen im Bereich der Schluck-, Atem- und Nackenmuskulatur kommen. Auch das Herz und die Lunge können in Mitleidenschaft gezogen werden. Bei Dermatomyositis und dem Anti-Synthetase-Syndrom treten auch charakteristische Hautveränderungen auf – ein dermatologisches Konzil ist obligat [1, 2].

Muskelbiopsie und Laborbefunde in der Diagnose

Essenzieller Bestandteil der Myositis-Diagnostik ist die Erfassung der klinischen Symptome. Hierbei sollten explizit Dysphagiebeschwerden erfragt werden. Des Weiteren sollen zur Diagnostik die Bestimmung Myositis-spezifischer und –assoziierter Antikörper (z. B. Anti-Jo-1-, -Mi-2- und -Signal-Recognition-Particle(SRP)-Antikörper) herangezogen werden, auch eine Tumorsuche sollte in diesem Zusammenhang angeschlossen werden. Als Laborparameter werden insbesondere die Creatinkinase-Serumkonzentration (CK) und die Akutphase-Reaktanten (C-reaktives Protein [CRP], Blutsenkungsgeschwindigkeit [BSG]) gemessen.

Zum Nachweis einer Myositis und Ausschluss anderer neuromuskulärer Erkrankungen ist eine Muskelbiopsie angezeigt. Im Einzelfall können noch weitere Untersuchungen wie Kapillarmikroskopie, Magnetresonanztomografie und Sonografie in Erwägung gezogen werden [1, 2].

Akuttherapie und Langzeittherapie von Myositis

Die Therapie der Myositiden wird nach Initial-, Erhaltungs- und Langzeittherapie differenziert. In der Akuttherapie sind Glucocorticoide Mittel der ersten Wahl: gestartet wird mit 1 mg/kg Körpergewicht bis zur klinischen Besserung, danach langsames Ausschleichen. Bei schweren Verlaufsformen wird im Einzelfall auch eine initiale Steroidhochdosistherapie (Prednisolon-Äquivalent i. v. 250 mg bis 1000 mg pro Tag für drei bis fünf Tage) empfohlen. Spätestens nach sechs Monaten sollte eine angemessene Dosisreduktion der Glucocorticoide erfolgen. In den meisten Fällen wird jedoch im Verlauf der Steroidreduktion die zusätzliche Gabe eines Immunsuppressivums nötig. In Abhängigkeit des Schweregrades kann die Kombinationstherapie auch schon initial in Erwägung gezogen werden [1].

Als Immunsuppressivum der ersten Wahl gilt Azathioprin, wobei die Latenz von drei bis sechs Monaten bis zum Wirkungseintritt zu beachten ist. Vor der ersten Gabe sollte die Thiopurin-Methyltransferase(TPMT)-Aktivität bestimmt wer­den, um Überdosierungen durch eine verminderte Metabolisierung auszuschließen (Cave: keine Kombination mit Allopurinol). Nach klinischer Stabilisierung schließt sich eine Langzeittherapie an. Auch hier besteht die Basisbehandlung aus der Kombination eines Immunsuppressivums und eines niedrig dosierten Glucocorticoids (Cave: Osteoporosepro­phylaxe beachten). Dabei erstreckt sich die Therapie auf einen Zeitraum von einem bis drei Jahren oder länger.

Als erste Wahl in der Langzeittherapie kommen neben dem Azathioprin auch die beiden Immunsuppressiva Methotrexat (Cave: Folsäuresubstitution beachten) und Mycophenolat-Mofetil infrage. Alternativ kann bei bestehenden Kontraindikationen oder Unverträglichkeiten als zweite Wahl die Gabe von Cyclosporin A oder Tacrolimus in Betracht gezogen werden. Bei Nicht-Ansprechen oder unzureichender Wirksamkeit sollte ein Therapieversuch mit intravenösen Immunglobulinen erfolgen. In besonders schweren Verlaufssituationen oder bei Therapierefraktärität kann auch der Einsatz von Rituximab erwogen werden.

Die Einschlusskörpermyositis ist oft therapierefraktär, Glucocorticoide und Immunsuppressiva sind meist wirkungslos. Hier sollte ein sechsmonatiger Therapieversuch mit intravenösen Immunglobulinen in vierwöchigen Intervallen erfolgen. Danach sollte der Behandlungserfolg erneut klinisch beurteilt werden. Bei guter Ansprechbarkeit ist die Fortführung der Therapie angezeigt [1].

Diagnose Dysphagie

Patienten mit Muskelerkrankungen sollten auf Schluckprobleme aktiv angesprochen werden. Fragen wie „Müssen Sie sich beim Essen oft räuspern?“ oder „Verschlucken Sie sich häufig beim Essen oder Trinken?“ können einen ersten Anhaltspunkt geben. Zur Untermauerung eines Verdachts kann ein Schluck-Fragebogen verwendet werden, z. B. der Sydney-swallowing-Questionnaire. Um eine Dysphagie klinisch zu bestätigen, wird meist ein Videofluoroskop-Test oder eine endoskopische Evaluation des Schluckvorgangs durchgeführt, in Einzelfällen auch eine Echtzeit-Magnet­resonanztomografie während des Schluckens.

Therapie der Schluckstörungen

Die im Rahmen der Myositiden auftretenden Schluckstörungen können neben der Immuntherapie auch symptomatisch behandelt werden. Hierzu zählen Botulinumtoxin-Injektionen, Ballondilatation oder Myotomie. Zu bedenken ist jedoch, dass diese Verfahren nicht standardisiert sind. Die Entscheidung ist individuell mit dem Patienten zu treffen.

Therapie extramuskulärer Organbeteiligungen

Die charakteristischen Hautsymptome bei Dermatomyositis und Anti-Synthetase-Syndrom sprechen nicht immer auf eine systemische Therapie der Myositis an. Hier wird unterstützend eine topische Glucocorticoid-Therapie für einen begrenzten Zeitraum empfohlen (im Gesicht nicht länger als zwei bis drei Wochen). Gegebenenfalls können auch Calcineurin-Inhibitoren (z. B. Tacrolimus 0,1%) lokal eingesetzt werden. Systemisch werden die Antimalariamittel Hydroxychloroquin oder Chloroquin verordnet. Bei ungenügendem Ansprechen ist die zusätzliche Gabe von Mepacrin sinnvoll. Zusätzlich ist auf einen ausreichenden UV-Schutz zu achten. Eine der schwerwiegendsten extramuskulären Organbeteiligungen stellt die interstitielle Lungenerkrankung dar. Hier sollten als erste Wahl Glucocorticoide zum Einsatz kommen, evtl. in Kombination mit Immunsuppressiva. Bei rapid progressiven Verläufen sollte eine Eskalation auf Cyclosporin A, Rituximab oder Cyclophosphamid erfolgen. Die progressive interstitielle Lungenerkrankung wird mit Nintedanib behandelt. Bei kardialen Manifestationen sollte interdisziplinär ein Kardiologe hinzugezogen werden [1].

Da unter immunsuppressiver Therapie keine Lebend­impfstoffe verabreicht werden dürfen, sollte vor Beginn der Therapie der Impfstatus überprüft werden. Alle von der ständigen Impfkommission empfohlenen Standardimpfungen sollten mindestens vier Wochen vor Therapiebeginn abgeschlossen sein. Besonders sollte darauf geachtet werden, dass alle Myositispatienten gegen Herpes zoster, Influenza und Pneumokokken geimpft sind.

Neben den vorgestellten medikamentösen Therapiemöglichkeiten kommen auch nicht medikamentöse Verfahren unterstützend zum Einsatz. Hier werden insbesondere regelmäßige Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie und Rehabilitationsmaßnahmen begleitend empfohlen.

Abb.: Therapiealgorithmus bei Myositis (modifiziert nach S2k-Leitlinie Myositis-Syndrome [1])

Therapie bei Kinderwunsch und Schwangerschaft

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Myositiden keine Kontraindikation für eine Schwangerschaft sind. Der Kinderwunsch sollte jedoch bei beiden Geschlechtern in die Therapieberatung miteinbezogen werden. Immunsuppressiva werden laut Fachinformation weder vor noch während einer Schwangerschaft empfohlen, die Nutzen-Risiko-Abwägung muss individuell erfolgen.

Vor einer geplanten Schwangerschaft und währenddessen kommen als Therapiemöglichkeiten Hydroxy­chloroquin, Sulfasalazin, Azathioprin, Cyclosporin A, Tacrolimus und Colchicin in Betracht. Sollte es während der Schwangerschaft zu einem aktiven Schub der Erkrankung kommen, können Gluco­corticoide oder intravenöse Immunglobuline eingesetzt werden [1]. |
 

Literatur

[1] Myositissyndrome. S2k-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), AWMF-Leitlinie Registernummer 030/054 Stand: 2022, www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/030-054l_S2k_Myositissyndrome_2022-06_04.pdf

[2] Myositiden. Informationen des Friedrich-Baur-Instituts an der Neurologischen Klinik und Poliklinik LMU München, www.klinikum.uni-muenchen.de/Friedrich-Baur-Institut/de/krankheitsbilder/myositiden/index.html, Zugriff 1. August 2022
 

Autorin

Apothekerin Dr. Martina Wegener, Pharmaziestudium an der Universität Bonn, Promotion an der Medizinischen Fakultät der Universität Halle (Saale), Tätigkeit in einer öffentlichen Apo­theke, Lehrtätigkeit an einer Kranken- und Altenpflegeschule, freie Autorin für die DAZ

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