Arzneimittel und Therapie

50 Jahre Cortison: Verbesserte Therapiemöglichkeiten bei vielen Erkrankungen

Vor 50 Jahren wurde das Steroidhormon Cortison erstmals mit großem Erfolg zur Behandlung von schwerstem entzündlichem Rheuma eingesetzt. Seitdem wurden natürliche und vor allem synthetische Corticoide aufgrund ihrer vielfältigen Wirkmechanismen zur Behandlung von entzündlichen und immunologischen Erkrankungen eingesetzt. Obwohl sie sehr gut wirken, verursachen sie Nebenwirkungen, wie vermehrte Infektionsneigung, Adipositas, Ödeme, Hypokaliämie, Diabetes mellitus, Katarakt oder Osteoporose. Um die Verträglichkeit der Corticoide zu verbessern und ernste Nebenwirkungen zu reduzieren, wurden in den letzten Jahren neue Therapiestrategien entwickelt.

Aufgrund ihrer vielfältigen Wirkmechanismen werden Glucocorticoide zur Behandlung von entzündlichen und immunologischen Erkrankungen eingesetzt. Heute stehen 16 verschiedene Präparate zur Verfügung, die sich vor allem in ihrer Rezeptoraffinität unterscheiden. Sechs weitere Substanzen werden derzeit noch entwickelt. Zwar zeigen die Corticoide eine sehr gute Wirksamkeit, führen aber gleichzeitig zu ungünstigen Nebenwirkungen wie vermehrter Infektionsneigung, Adipositas, Ödemen, Hypokaliämie, Diabetes mellitus, Katarakt oder Osteoporose. Um die Verträglichkeit der Glucocorticoide zu verbessern und ernste Nebenwirkungen zu reduzieren, wurden in den letzten Jahren neue Therapiestrategien entwickelt.

Sehr niedrig dosierte Langzeittherapien∑ Bei der Behandlung von chronischen Krankheiten mit Corticoiden versucht man heute, die Dosis so weit wie möglich zu senken. Sehr niedrig dosierte Langzeittherapien (Low-dose-Therapie) zeigen eine optimale Wirksamkeit mit minimalen Nebenwirkungen (zum Beispiel 2 bis 6 mg Methylprednisolon täglich als Erhaltungsdosis bei der Behandlung der rheumatoiden Arthritis).

∑und hoch dosierte Kurzzeitanwendung Weiterhin werden neue hochwirksame und nebenwirkungsärmere Dosierungskonzepte wie die hoch dosierte Cortison-Stoßbehandlung therapeutisch genutzt, bei der akute Erkrankungen mit sehr hohen Corticoiddosen kurzfristig behandelt werden (zum Beispiel bis zu 1 g Methylprednisolon oder Prednisolon intravenös täglich an drei aufeinanderfolgenden Tagen).

Lokal wirksame Zubereitungen Als neue Applikationsformen wurden lokal wirksame Zubereitungen in die Therapie eingeführt. So werden topische Steroide bei inhalativer Anwendung zur Behandlung des Asthma bronchiale eingesetzt. Sogenannte "pH-modified-release-Kapseln" setzen die Wirkstoffe erst bei einem spezifischem pH-Wert nur im Darm frei und wirken hier bei entzündlichen Darmerkrankungen.

Der steroidinduzierten Osteoporose vorbeugen Auch die Kombination mit anderen Medikamenten verbessert die Verträglichkeit der Corticoide und reduziert die Nebenwirkungen. Beispielsweise kann der steroidinduzierten Osteoporose heute durch eine entsprechende medikamentöse Prophylaxe und Bewegung vorgebeugt werden.

Inhalative Corticoide bei Asthma bronchiale Bei der Behandlung des Asthma bronchiale steht heute eine entzündungshemmende Therapie im Vordergrund. Corticoide gelten als die wirksamsten derzeit verfügbaren antientzündlichen Medikamente. Sie reduzieren und beseitigen die Inflammation der Bronchialschleimhaut und können so die bronchiale Hyperreaktivität vermindern. Allerdings ist eine lebenslange Therapie notwendig, da eine unkontrollierte Dosisverminderung oder das Absetzen von Corticoiden zu einer Verschlechterung führt. Inhalative Corticoide gelten heute bei stabilem mildem bis moderatem Asthma als antientzündliche Medikation der ersten Wahl. Allerdings sollte die Erhaltungsdosis der inhalativen Steroide für jeden Patienten individuell eingestellt werden. Der Einsatz systemischer Steroide sollte auf schwere Verlaufsformen des Asthma bronchiale beschränkt bleiben. Eine begleitende Therapie mit inhalativen Steroiden dient dazu, die systemische Steroidgabe zu vermindern. Haupthindernis bei der Einnahme von systemischen Steroiden sind jedoch nicht die Nebenwirkungen, sondern die Angst der Patienten vor Nebenwirkungen. Diese sogenannte Cortisonangst beruht auf mangelnden Informationen sowohl auf Seiten der Patienten als auch einer großen Anzahl verordnender Ärzte. Diese Ängste können nur durch verbesserte Information des Patienten und Weiterbildung der Hausärzte abgebaut werden.

Corticoide bei Hauterkrankungen: exakte Diagnostik ist notwendig Die Einführung der Corticoide hat die dermatologische Therapie grundlegend verändert, da deren Anwendung bei entzündlichen Hauterkrankungen schnell zu einer Besserung führt. Aus diesem Grund neigen viele Patienten dazu, Corticoide ohne exakte Diagnostik einzusetzen. Gerade bei nicht indizierter oder falsch dosierter Anwendung der Corticoide kann es zu zahlreichen unerwünschten Wirkungen kommen. Für eine Reihe von Dermatosen ist eine systemische Therapie mit Corticoiden aber unverzichtbar. Es gibt einige dermatologische Krankheitsbilder, bei denen durch eine optimale Dosierung und steroidsparende Begleitmedikation ein optimaler Therapieeffekt bei gleichzeitigem minimalem Nebenwirkungsrisiko erreicht werden kann. Häufig ist die kontrollierte systemische Gabe von Corticoiden im Vergleich einer unkontrollierten großflächigen Lokaltherapie vorteilhaft.

Corticoidtherapie bei rheumatischen Erkrankungen Corticoide sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Behandlung entzündlich-rheumatischer Erkrankungen. Die Beweglichkeit in den Gelenken wird rasch verbessert, und die Schmerzen werden reduziert. Die antientzündliche Potenz der Corticoide liegt dabei um ein Vielfaches höher als die der nichtsteroidalen Antirheumatika. Problematisch war bisher eine Langzeittherapie mit Corticoiden, allerdings zeigen neuere Untersuchungen, daß eine niedrig dosierte Therapie klinisch akzeptabel ist. Aufgrund des Nebenwirkungspotentials sollte aber auch immer eine Kombination mit Immunsupressiva (Basistherapeutika) angestrebt werden, um den Corticoidbedarf zu senken. Eine hoch dosierte Corticoidtherapie ist auf Akutsituationen beschränkt.

Neurologische Autoimmunerkrankungen Bei der Behandlung von neurologischen Autoimmunerkrankungen, wie der Multiplen Sklerose oder der chronisch entzündlichen demyelinisierenden Polyneuropathie, sind Corticoide eine wesentlicher Bestandteil der Therapie. Je nach Erkrankung werden sie zur Behandlung akuter, schubförmiger Verschlechterungen bzw. auch als Dauerbehandlung und zur Rezidivprophylaxe eingesetzt. Bei sorgfältiger Prüfung der Indikation, rascher Dosissenkung und entsprechender Therapieüberwachung sind die Nebenwirkungen gering und meist gut beherrschbar. Derzeit ist noch umstritten, ob die in den letzten Jahren propagierte Hochdosis(puls)therapie (z.B. 10 mg Methylprednisolon/kg Körpergewicht) der traditionellen Gabe von 1 mg/kg Körpergewicht überlegen ist. Neuere experimentelle Untersuchungen zeigen allerdings sowohl am zentralen als auch am peripheren Nervensystem, daß die Hochdosistherapie zu einem raschen Abklingen der Entzündungsreaktionen führt.

Molekulare Grundlagen der Corticoidwirkung Nach Diffusion über die Zellmembran binden die Glucocorticoide an einen zytosolischen Rezeptor, der mit dem Hitzeschockprotein HSP-90 assoziiert ist. Durch Abspaltung des Hitzeschockproteins wird der intrazelluläre Rezeptor aktiviert, und der Steroid-Rezeptor-Komplex wandert in den Zellkern. Hier bindet der Komplex an definierte Bindungsstellen der DNA, an das sogenannte "Glucocorticoid-responsive-element" (GRE). Dadurch wird die Transkription spezifischer Gene angeschaltet, und verschiedene Proteine werden synthetisiert. Zu den wichtigsten Syntheseprodukten gehören die Proteine der "Annexin-Familie" (z.B. Lipocortin 1), Endonukleasen, neutrale Endopeptidasen und das Angiotensin-converting-Enzym (ACE). Lipocortin 1 spielt vor allem für die antiinflammatorische Wirkung eine wichtige Rolle, da es die Phospholipase A2 und somit die Synthese von Entzündungsmediatoren (Prostaglandine, Leukotriene, Thromboxane, plättchenaktivierender Faktor) hemmt. Neben der Stimulierung der Transkription über das GRE bindet der Glucocorticoid-Rezeptor-Komplex auch an das "Negative-Glucocorticoid-responsive-element" (nGRE) und hemmt so die Synthese verschiedener Zytokine, beispielsweise des Tumornekrosefaktors a und der Interleukine 2 oder 6. Des weiteren wird die Induktion der Stickstoffmonoxid-Synthetase und der induzierbaren Cyclooxygenase 2 verhindert.

Quelle Dr. Wolfgang Kröling, Hoechst Marion Roussel, Bad Soden; Dr. H.-J. Hatz, München; Prof. Dr. H. W. Möllmann, Bochum; Prof. Dr. W. Petro, Bad Reichenhall; Prof. Dr. Jörn Kekow, Vogelsang; Prof. Dr. Alexander Kapp, Hannover; Priv.-Doz. Dr. Ralf Gold, Würzburg; Pressekonferenz "50 Jahre Cortison - 40 Jahre Urbason" am 30. Mai 1998 in Berlin, veranstaltet von Hoechst Marion Roussel, Bad Soden Dr. Sonja von der Crone, Aachen

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