Arzneimittel und Therapie

Neuroleptika auf dem Prüfstand

Bei Demenzpatienten sollte man einen Absetzversuch wagen

cst | Bei älteren dementen Patienten und Heimbewohnern, denen relativ häufig Neuroleptika verordnet werden, ist ein Absetzen oder zumindest eine Dosisreduktion der Antipsychotika aufgrund des beträchtlichen Nebenwirkungs- und Interaktionspotenzials oft sinnvoll. Beim „Deprescribing“ von Psychopharmaka gibt es jedoch einiges zu beachten. Was genau, war Thema einer gut besuchten Veranstaltung während des 124. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM), der vom 14. bis 17. April 2018 in Mannheim stattfand.

Weshalb Neuroleptika bei älteren Patienten reduziert werden sollten, und wie man dabei am besten vorgeht, auf diese Fragen ging Dr. med. Olaf Krause, Hannover, ein [1]. Neuroleptika werden bei pflegebedürftigen Patienten in Deutschland und Österreich sehr häufig verordnet. So erhält jeder zweite Pflegeheimbewohner Psychopharmaka, vor allem niedrig dosierte Neuroleptika [2]. Grund dafür sind nicht selten demenzbedingtes „herausforderndes Verhalten“ (Aggressivität, Umherlaufen oder Schreien) oder Schlafstörungen – Indikationen also, für die nur wenige Neuroleptika eine Zulassung besitzen. Und das „Ruhigstellen“ der Patienten hat seinen Preis: Die zahlreichen Nebenwirkungen, die von motorischen Störungen (Sturzgefahr) bis zu QTc-Zeitverlängerungen (erhöhte Letalität) reichen, sind altbekannt. „Nehmen Sie das mal. Das ist gut für Sie!“ könne man bei diesen Medikamenten definitiv nicht sagen, so Krause. Aber können und sollten Neuroleptika bei älteren dementen Patienten, nachdem demenzbedingte Symptome erfolgreich unter Kontrolle gebracht werden konnten, einfach wieder abgesetzt werden?

Risiko QTc-Zeit­verlängerung

Nützliche Informationen rund um das Thema QTc-Zeitverlängerung sind unter www.crediblemeds.org verfügbar. Hier findet man auch eine Liste, die verschiedene Substanzen nach ihrem Risikopotenzial einteilt. Unter den Neuroleptika ist das Risiko unter Haloperidol beispielsweise besonders hoch. Bei Olanzapin und Quetiapin kann es insbesondere in Kombination mit anderen QTc-Zeit-verlängernden Substanzen zu Problemen kommen, während das Risiko unter Melperon, Pipamperon, Risperidon und Aripiprazol als etwas geringer eingeschätzt wird.

Zeitweiliger Absetzversuch empfohlen

Ein Cochrane Review aus dem Jahr 2013 kommt hier zu einem eindeutigen Ergebnis: Ein Absetzen ohne schwerwiegende Folgen ist durchaus möglich [3]. Allerdings trifft dies nur auf Patienten zu, denen die Neuroleptika aufgrund demenzbedingter Veränderungen und/oder Delir verschrieben wurden (s. Abbildung) [4, 5]. In solchen Fällen ist ein zeitweiliger Absetzversuch sinnvoll. Bei psychiatrischen Erkrankungen ist aufgrund der hohen Rückfallgefahr dagegen äußerste Vorsicht geboten (s. auch aktuelle Studiendaten zur Langzeittherapie bei Schizophrenie). Vor einem „Deprescribing“ gilt es also erst einmal, die genaue Indikation abzuklären.

(Quelle: Hager K, Krause O. Der Allgemeinarzt 2017;39(19):24-28)

Langsam ausschleichen

Wird bei dementen Patienten ein Absetzversuch unternommen, sollte die Dosis über einen Zeitraum von ungefähr zwei bis acht Wochen langsam ausgeschlichen werden. Als Richtwert gilt hier eine Dosisreduktion von 25 bis 50% pro Woche. Dabei sollten die Patienten sehr gut überwacht und die Dosis bei Bedarf vorübergehend wieder gesteigert werden. Da die Verhaltensstörungen während eines Absetzversuchs wieder zunehmen können, ist es essenziell, das Vorgehen mit den betroffenen Patienten, den Angehörigen sowie dem Pflegepersonal zu besprechen und die Risiken eines weiteren Neuroleptika-Einsatzes darzulegen. Kann auf die Medikation noch nicht verzichtet werden, ist nach drei Monaten gegebenenfalls ein erneuter Absetzversuch angebracht.

Sinnvolle Langzeittherapie bei Schizophrenie – aktuelle Studiendaten

Während Neuroleptika bei dementen Patienten in der Regel ohne schwerwiegende Folgen wieder abgesetzt werden können, sieht die Lage bei Patienten mit Schizophrenie ganz anders aus. Zwei aktuelle Arbeiten zeigen, dass Patienten nach einer erfolgreich behandelten ersten schizophrenen Episode von einer weiteren Langzeittherapie profitieren. In einer Folgestudie einer randomisierten kontrollierten Doppelblindstudie wurden dazu 178 Patienten mit Schizophrenie zehn Jahre lang nachbeobachtet, die nach Abklingen der positiven Symptome einer ersten schizophrenen Episode unter medikamentöser Therapie ein Jahr lang entweder Quetiapin 400 mg täglich (Erhaltungstherapie) oder Placebo (frühzeitiges Therapieende) erhalten hatten [1]. Insgesamt wurden die Patienten vor Beginn der Beobachtungsphase etwa drei Jahre lang behandelt. Im Anschluss an die randomisierte Behandlung erhielten die Patienten eine leitliniengerechte Therapie. Im Vergleich zu Patienten mit Erhaltungstherapie war der langfristige klinische Verlauf, wenn die Therapie frühzeitig abgesetzt wurde, bei etwa doppelt so vielen Patienten ungünstig (21% vs. 39%; Risikoverhältnis = 1,84; 95%-Konfidenzintervall [KI] = 1,15 – 2,96; p = 0,012). Definiert war ein ungünstiger klinischer Verlauf als Auftreten von an­haltenden psychotischen Symptomen, als Notwendigkeit einer Clozapin-Behandlung und/oder als erfolgter Suizid. Die Studie legt nahe, dass die Therapie nach einer ersten schizophrenen Episode über einen längeren Zeitraum fortgeführt werden sollte, um das Rückfallrisiko zu minimieren.

Dies unterstreichen auch die Ergebnisse einer finnischen Registerstudie, die das Risiko, erneut stationär aufgenommen zu werden oder zu versterben, bei 8773 Patienten mit Schizophrenie über einen Zeitraum von 20 Jahren untersuchte [2]. Es zeigte sich, dass das Risiko im Lauf der Zeit nicht, wie ursprünglich erwartet worden war, abnahm. Während Patienten mit einer Dauertherapie das geringste Risiko aufwiesen (Hazard-Ratio [HR] = 1,00; Referenz) stieg das Risiko für Rehospitalisierung oder Tod bei Absetzen der Antipsychotika mit zunehmender Therapiedauer stetig an. Bei Patienten, die nach einer medianen Behandlungsdauer von 7,9 Jahren die Therapie beendeten, war das Risiko am höchsten (HR = 7,28; 95%-KI = 2,78 – 19,05). Die Studienautoren folgern aus den Ergebnissen, dass es bei Patienten mit Schizophrenie – zumindest in den ersten acht Jahren nach Therapiebeginn - keinen sicheren Zeitpunkt für das Absetzen von Neuroleptika gibt.

Quelle

[1] Hui CLM et al. Long-term effects of discontinuation from antipsychotic maintenance following first-episode schizophrenia and related disorders: a 10 year follow-up of a randomised, double-blind trial. Lancet Psychiatry 2018; doi: 10.1016/S2215-0366(18)30090-7

[2] Tiihonen J et al. 20-Year Nationwide Follow-Up Study on Discontinuation of Antipsychotic Treatment in First-Episode Schizophrenia. Am J Psychiatry 2018; doi: 10.1176/appi.ajp.2018.17091001

Apotheker beteiligen sich an interdisziplinärer Studie

Als Beispiel für ein interdisziplinäres Projekt, bei dem neben Ärzten und Pflegekräften auch Apotheker am „Deprescribing“ beteiligt sind, nannte Krause die HIOPP-3-Studie – wobei HIOPP für „hausärztliche Initiative zur Optimierung der Patientensicherheit bei Polypharmazie“ steht. Das Projekt mit dem Titel „Angemessene und sichere Medikation für Heimbewohnerinnen mithilfe einer interprofessionellen Toolbox (AMTS-Toolbox)“, welches vom Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) für drei Jahre mit insgesamt ca. 1,7 Millionen Euro gefördert wird, hat das primäre Ziel, die Rate der Heimbewohner mit potenziell inadäquater Medikation (PIM) und/oder Neuroleptika zu reduzieren. Auch wird untersucht, ob sich durch das optimierte Medikationsmanagement patientenrelevante Endpunkte wie Stürze und Hospitalisierungen verringern lassen. Apothekern kommt in der Cluster-randomisierten Studie, die an 32 Heimen in Hannover, Düsseldorf, Rostock und Tübingen durchgeführt wird, eine wichtige Rolle zu: Sie übernehmen bei der Interventionsgruppe den Medikationsreview. Insgesamt sollen 760 Patienten eingeschlossen werden, die Rekrutierung gestalte sich derzeit allerdings noch recht schwierig, so Krause. Die Ergebnisse der Studie, die nächstes Jahr vorliegen sollen, werden jedoch bereits jetzt mit Spannung erwartet. Zu guter Letzt betonte Krause noch einmal, dass, selbst wenn ein Absetzen von Neuroleptika bei dementen Patienten oft schwierig sei, man auch eine Dosisreduktion bereits als Erfolg werten könne. |

Quelle

[1] Krause O. Neuroleptika reduzieren oder absetzen – Wie schnell und wie kommunizieren? 124. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. (DGIM), 4. bis 17. April 2018, Mannheim

[2] Richter T et al. Prevalence of psychotropic medication use among German and Austrian nursing home residents: a comparison of 3 cohorts. J Am Med Dir Assoc 2012;13(2):187.e7-187

[3] Declercq T et al. Withdrawal versus continuation of chronic antipsychotic drugs for behavioural and psychological symptoms in older people with dementia. Cochrane Database Syst Rev 2013;(3):CD007726

[4] Bjerre LM et al. Deprescribing antipsychotics for behavioural and psychological symptoms of dementia and insomnia: Evidence-based clinical practice guideline. Can Fam Physician 2018;64(1):17-27

[5] Hager K, Krause O. Neuroleptika bei Demenzpatienten? Absetzversuch lohnt sich! Der Allgemeinarzt 2017;39(19):24-28

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