Sonnenschutz

Jenseits des UV-Bereichs

Warum der Lichtschutzfaktor nur bedingt aussagekräftig ist – Ein Interview mit Prof. Dr. Martina Meinke

DAZ: Frau Professor Meinke, nach neueren Erkenntnissen entstehen freie ­Radikale durch alle Wellenlängen des Sonnenlichts. Was bedeutet dies für die Praxis?

Meinke: Der Anteil der gebildeten Radikale im sichtbaren und infraroten Bereich, also jenseits der von UV-Filtern abgeschirmten Wellenlängen, kann bis zu 50% betragen. Dies wird kritisch, wenn Menschen Sonnenschutzcremes mit besonders gutem UV-Schutz anwenden und ihre Aufenthaltsdauer in der Sonne wesentlich verlängern. Wärmeeinwirkung durch Infrarotlicht setzt in der Haut enzymatische Prozesse in Gang, weshalb in vivo auch deutlich mehr freie Radikale entstehen als in exzidierten Haut­proben im Labor.

Prof. Dr. Martina Meinke, Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie, Charité Berlin

DAZ: Weit verbreitet scheinen diese Erkenntnisse noch nicht zu sein?

Meinke: Die Schadwirkung im sichtbaren und vor allem im infraroten Bereich wird erst seit einigen Jahren genauer erforscht. Möglicherweise liefert dieser Ansatz aber auch eine Erklärung, warum sich trotz der breiten Anwendung von UV-Filtern in Deutschland der Anstieg der Hautkrebsinzidenz weiter fortsetzt – im Gegensatz zu Ländern wie Australien oder Neuseeland, in denen Rundum-Lichtschutzmaßnahmen einschließlich Sonnenvermeidung und Bekleidung konsequenter umgesetzt wurden. Zwar sind heute noch nicht alle Kliniker vom schädlichen Einfluss des Lichts jenseits des UV-Bereichs überzeugt. Aber warum sollte die Radikalbildung exakt bei 400 nm aufhören?

DAZ: Was bedeutet dies für die Entwicklung von Sonnenschutzmitteln?

Meinke: Ziel muss es sein, die Sonnenschutzprodukte so zu optimieren, dass eine Schutzwirkung über die gesamte Spektralbreite gewährleistet ist. Eine Sonnencreme sollte also chemische Filter für den UV-Bereich, physikalische Filter für den gesamten Bereich und Antioxidanzien für den Vis-NIR-Bereich beinhalten.

DAZ: Welche Rolle spielen Antioxidanzien?

Meinke: Geeignete Antioxidanzien können Schäden durch Photonen begrenzen, die von den Filtern nicht reflektiert oder absorbiert werden. Sie neutralisieren Überschussradikale. Dabei wirken sie in einem Netzwerk, denn auch eine Ernährung reich an Gemüse und Obst, die ein natürliches Gemisch an antioxidativen Stoffen liefert, verbessert den Lichtschutz der Haut relevant, nämlich um den Faktor 2 bis 4. Die Antioxidanzien gelangen aus dem Blutkreislauf über Schweiß- und Talgdrüsen an die Hautoberfläche und penetrieren von dort zurück ins Stratum corneum. Der Unterschied zur topischen Applikation ist, dass durch Zusatz von Antioxidanzien in Lichtschutzmitteln wesentlich höhere Konzentrationen auf der Haut erzielt werden können, besonders natürlich an den besonders exponierten Stellen.

DAZ: Wenn die gesamt Bandbreite des Lichts zur Radikalbildung führt: Brauchen wir nicht einen „Radikalschutzfaktor“ statt des Lichtschutzfaktors? Oder einen anderen Standard für den LSF?

Meinke: Der Lichtschutzfaktor spiegelt nur den UV-B-Schutz wider und ist als In-vivo-Messmethode ohnehin problematisch. Immerhin wird bei jeder Einzelprüfung bei mindestens zehn Probanden ein Sonnenbrand gesetzt. Es ist heute mithilfe der quantitativen Elektro­nenspinresonanz-Technik (ESR) möglich, nicht nur im UV-B- und UV-A-, sondern im gesamten Spektralbereich die Absorption im Labor zu ermitteln. Ohne menschliche Haut geht es dabei nicht, aber die Methode ist nicht invasiv, und wir können mit Hautproben arbeiten, die bei plastischen Exzisionen anfallen. Wir haben in unserer Gruppe die Machbarkeit einer nicht invasiven LSF-Bestimmung mittels Remissionsspektroskopie untersucht. Der ermittelte LSF stimmte bei drei von fünf kommerziellen Sonnencremes mit dem deklarierten LSF überein. Wird sie weiterentwickelt, kommt die Spektroskopie als nicht invasive Alternativmethode infrage, aber derzeit ist sie noch relativ aufwendig und teuer. Zudem erfasst sie an exzidierter Haut nicht den Einfluss der Antioxidanzien. Langfristig erscheint zur nicht invasiven Bestimmung einer Schadwirkung auch eine Orientierung an der sogenannten kritischen Radikalkonzentration (FRTV) interessant. Die Gruppe um Prof. Zastrow in Monaco hat erstmals die Anzahl der freien Radikale pro Milligramm Haut berechnet, die bei der Synthese des Tagesbedarfs von Vitamin D mithilfe von Sonnenlicht entsteht (entspricht einer oralen Dosis von 1000 IE): Bei einer Bestrahlung mit 25 bis 50% der minimalen Erythemdosis (für Hauttyp II) werden ungefähr 3,5 × 10¹² Radikale pro Milligramm gebildet, die nachweislich von der Haut toleriert werden. Übrigens ist die FRTV nicht spezifisch für die Haut, sondern gilt auch für andere Organe. Sie ist eine Körperkonstante.

DAZ: Vielen Dank für das Interview! |

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