Arzneimittel und Therapie

Antworten auf Schlüsselfragen

Schlaganfall: Neue S3-Leitlinie zur Sekundärprophylaxe

Jedes Jahr erleiden in Deutschland etwa 270 000 Menschen einen Schlaganfall. Zwar überleben immer mehr Betroffene – das Risiko für einen nachfolgenden Apoplex steigt aber deutlich an, und jeder Zehnte erfährt noch im selben Jahr einen weiteren Schlaganfall. Durch eine gezielte Prävention kann dieses Risiko verringert werden. Welche therapeutischen Maßnahmen dazu geeignet sind, wurde in einer aktuellen Leitlinie zusammengefasst.
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Der erste, bereits publizierte Teil der Leitlinie befasst sich mit der Behandlung von Patienten nach einem überlebten Schlaganfall oder nach einer transitorischen ischämischen Attacke. Nicht enthalten sind Primärprävention und Akutbehandlung sowie die Sekundärprävention bei anderen Krankheitsbildern. Die Leitlinie befasst sich mit folgenden Themen:

  • Thrombozytenfunktionshemmer (zwölf Schlüsselfragen);
  • Hyperlipidämie (vier Schlüsselfragen);
  • orale Antikoagulanzien bei Vorhofflimmern (fünf Schlüsselfragen);
  • Therapie der arteriellen Hypertonie (vier Schlüsselfragen).

Im Vergleich zu manch anderen Leitlinien ist die obige Leitlinie sehr übersichtlich, konzise und benutzerfreundlich, da die wichtigsten Empfehlungen auf einen Blick ersichtlich sind. In jedem der vier Kapitel sind Schlüsselfragen aufgeführt, denen konkrete Empfehlungen zur Therapie mit Angabe des Evidenzgrades und der Evidenz-ebene folgen. In der Langfassung sind ausführliche Begründungen mit einer Diskussion der zugrunde liegenden Studien sowie ein umfassendes Literaturverzeichnis angefügt.

Vitamin-K-Antagonist oder NOAKs bei Vorhofflimmern?

Schlüsselfrage 3: Ist die Behandlung von Patienten nach ischämischem Schlaganfall oder transitorischer ischämischer Attacke mit Vorhofflimmern mit Dabigatran, Apixaban oder Rivaroxaban einer Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten überlegen hinsichtlich des Auftretens eines Schlaganfalls oder einer systemischen Embolie im Vergleich zum Risiko schwerwiegender oder tödlicher Blutungen?

Empfehlung: Patienten mit ischämischem Schlaganfall oder transitorischer ischämischer Attacke und nicht valvulärem Vorhofflimmern sollen eine orale Antikoagulation erhalten. Die neuen Antikoagulanzien (d. h. Dabigatran, Rivaroxaban und Apixaban) stellen eine Alternative zu den Vitamin-K-Antagonisten dar und sollten aufgrund des günstigeren Nutzen-Risiko-Profils zur Anwendung kommen.

Thrombozytenfunktionshemmer bilden die Grundlage der Sekundärprophylaxe nach einem nicht-kardioembolischen ischämischen Schlaganfall oder nach einer transitorischen ischämischen Attacke. In Deutschland sind zur Plättchenhemmung die Wirkstoffe ASS, Dipyridamol, Clopidogrel und Ticlopidin zugelassen, wobei Ticlopidin aufgrund seiner neutropenischen Wirkungen keine relevante Rolle spielt. Gemäß der Leitlinie sollten alle Patienten mit isch­ämischem Schlaganfall oder transitorischen ischämischen Attacken einen Thrombozytenfunktionshemmer erhalten, sofern keine Indikation für eine orale Antikoagulation (d. h. kein Vorhofflimmern) vorliegt. Die Therapie sollte dauerhaft erfolgen. Empfohlen werden ASS (allein oder in Kombination mit verzögert freigesetztem Dipyridamol) oder Clopidogrel, wobei keine der genannten Möglichkeiten besser oder schlechter beurteilt wird. ASS sollte in einer Dosis von 100 mg gegeben werden; für ASS plus Dipyridamol wird eine Dosierung von 25 mg ASS plus 200 mg Dipyridamol und für Clopido­grel von 75 mg genannt. Eine Kombination aus ASS und Clopidogrel sollte nicht zur langfristigen Sekundärprävention eingesetzt werden, es sei denn, es bestehen zusätzliche Indikationen wie ein akutes Koronarsyndrom oder eine koronare Stentimplantation. Die Behandlung ist möglichst innerhalb von 48 Stunden nach dem Schlaganfall oder der transitorischen ischämischen Attacke zu beginnen. Ist keine orale Einnahme möglich, kann der Thrombozytenfunktionshemmer über eine nasogastrale Sonde oder parenteral appliziert werden. Hatte der Patient ein inzwischen abgeheiltes Magengeschwür, kann zusätzlich als Magenschutz ein Protonenpumpenhemmer gegeben werden.

Die Leitlinie

Die S3-Leitlinie „Sekundärprophylaxe ischämischer Schlaganfall und transitorische ischämische Attacke“ (AWMF-Registernummer 030-133; Stand 31. Januar 2015, gültig bis 30. Januar 2020) wurde unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) in Zusammenarbeit mit zahlreichen medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften, Berufsverbänden und Organisationen auf der Grundlage und Auswertung von mehr als 4500 wissenschaftlichen Arbeiten entwickelt. Der erste Teil mit den wichtigsten Therapieansätzen zur Schlaganfallprävention ist bereits publiziert; der zweite Teil umfasst weitere Themen zur Sekundärprophylaxe des ischämischen Schlaganfalls und transitorischer ischämischer Attacken und wird in der Folge erscheinen. Eine Patientenversion der kompletten S3-Leitlinie wird nach Fertigstellung des zweiten Teils verfügbar sein. Der bislang publizierte Teil der Leitlinie liegt in einer Kurzversion (16 Seiten), einer Langversion (60 Seiten) und einem Leitlinienreport (110 Seiten) vor.

Hyperlipidämie: Statine sind Mittel der Wahl

Die Forderung nach einer Lipidsenkung beruht auf dem Zusammenhang zwischen einer Hyperlipidämie und Gefäßerkrankungen. Daher wird in der Leitlinie allen Patienten mit transitorischer ischämischer Attacke oder ischämischem Schlaganfall die Einnahme eines Statins empfohlen. Als Zielwert nennt die Leitlinie einen LDL-Cholesterolwert von < 100 mg/dl. Bei Patienten mit Hirnblutungen wird aufgrund eines erhöhten Blutungsrisikos unter Statinen eine Nutzen-Risiko-Abwägung empfohlen. Die Therapie mit dem Statin sollte dauerhaft erfolgen, im Bedarfsfall über eine Magensonde. Die routinemäßige Einnahme von Nicotinsäure-Derivaten, Fibraten oder Ezetimib wird nicht empfohlen.

Etwa jeder fünfte ischämische Schlaganfall ist die Folge einer kardialen Embolie aufgrund eines Vorhofflimmerns. Daher wird generell – unabhängig vom Alter des Patienten – bei Vorhofflimmern nach einem zerebralen ischämischen Ereignis eine orale Antikoagulation empfohlen. (Ausnahme: Gabe von Thrombozytenfunktionshemmern bei Vorliegen kardiologischer Indikationen). Die Frage, ob neue orale Antikoagulanzien (NOAKs : Dabigatran, Rivaroxaban oder Apixaban) oder Vitamin-K-Antagonisten eingesetzt werden sollen, wird nicht eindeutig beantwortet. Allerdings tendieren die Verfasser der Leitlinie eher zur Gabe von NOAKs (s. Kasten), da diese bei Beachtung ihrer Kontraindikationen einer Behandlung mit Vitamin-K-Antagonisten überlegen sind (weniger lebensbedrohliche Blutungen unter NOAKs). Patienten, für die eine Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten nicht infrage kommen und die daher bislang mit einem Thrombozytenfunktionshemmer behandelt wurden, sollen Apixaban (alternativ auch Dabigatran oder Rivaroxaban) erhalten. Unter der Behandlung mit NOAKs wird eine Überwachung der Nierenfunktion (mindestens einmal jährlich) gefordert. Bei älteren Patienten und bei Vorliegen einer eingeschränkten Nierenfunktion muss die Dosierung nach Herstellerangaben angepasst werden. Dies ist auch der Fall, wenn eine Verschlechterung der Nierenfunktion zu erwarten ist, also etwa bei einer Hypovolämie oder Dehydrierung.

Hypertonie: Blutdruck unter 140/90 mmHg

Eine arterielle Hypertonie ist der bedeutendste Risikofaktor für einen Schlaganfall. Daher wird für Patienten mit arterieller Hypertonie eine langfristige Senkung des Blutdrucks unter 140/90 mmHg empfohlen, Werte unter 120/70 mmHg sollen nicht angestrebt werden. Bei Diabetikern spricht sich die Leitlinie für systolische Werte von 120 bis < 140 mmHg und diastolische Werte von 70 bis < 90 mmHg aus. |

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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