Arzneimittel und Therapie

Drohender Darmverschluss?

Geringfügig erhöhtes Risiko für Darmwandeinstülpungen nach Rotavirus-Impfung

Zwei Postmarketing-Studien mit den beiden derzeit auf dem Markt befindlichen Rotavirus-Impfstoffen haben gezeigt, dass pro 100.000 geimpfter Kinder mit einem bis fünf Fällen von Darminvaginationen gerechnet werden muss. Experten befürworten die Impfung dennoch, weil die hoch ansteckende Infektion gerade bei jungen Säuglingen zu schweren Gastroenteritiden führen kann, die häufig stationär behandelt werden müssen.

In Deutschland wird die Rotavirus-Impfung seit August 2013 von der Ständigen Impfkommission (STIKO) für Säuglinge ab vollendeter sechster Lebenswoche empfohlen. Aktuell sind zwei Schluckimpfstoffe zur Prävention einer Rotavirus-Gastroenteritis zugelassen: die monovalente Vakzine Rotarix® (GlaxoSmithKline), die in zwei Dosen im Abstand von vier Wochen zwischen der 6. und 24. Woche angewendet wird, sowie der pentavalente Impfstoff RotaTeq® (Sanofi Pasteur MSD) zur Verabreichung bis zur 32. Lebenswoche.

Die STIKO empfiehlt, diese Zeitspanne einzuhalten, da mit zunehmendem Lebensalter der Säuglinge das Risiko für Darmwandeinstülpungen, auch als Invaginationen oder Intussuszeptionen bezeichnet, ansteigt (Abb.).

Grafik: DAZ/Hammelehle
Darminvagination Bei einer Darmwandeinstülpung schiebt sich ein Darmabschnitt Teleskopstangenartig in einen benachbarten. Alle Darmabschnitte können betroffen sein; aufgrund der Peristaltik stülpt sich meistens ein proximaler Abschnitt in einen distalen, selten umgekehrt. Das Lumen kann so stark verengt sein, dass der Transport des Darminhaltes erschwert oder ganz unmöglich wird. Als Folge sind eine Bauchfellentzündung oder ein Darmverschluss möglich.

Postmarketing-Studien initiiert

Doch auch bei zeitgerechter Verabreichung der Impfstoffe ist diese Gefahr nicht gebannt. Bei Kindern, die Ende der Neunzigerjahre mit dem ersten zugelassenen Rotavirus-Impfstoff RotaShield® (Wyeth Lederle) geimpft worden waren, war die Komplikation bei geimpften Säuglingen so häufig beobachtet worden, dass 1999 eine Marktrücknahme erfolgte.

Die beiden seit 2006 weltweit verfügbaren Rotavirus-Impfstoffe waren in den Zulassungsstudien an jeweils mehr als 60.000 Kindern geprüft worden. Ein erhöhtes Invaginationsrisiko wurde nicht festgestellt. Nach ihrer Einführung sank Untersuchungen zufolge bei geimpften Kindern die Zahl der Besuche in den Notaufnahmen und die der Krankenhauseinweisungen wegen einer Rotavirus-Infektion und damit verbundener schwerer Gastroenteritiden in den USA um ca. 80%. In Mexiko, wo die Impfung in den nationalen Impfplan aufgenommen wurde, reduzierte sich die Zahl der Diarrhö-bedingten Todesfälle um 40%. Allerdings gibt es auch Studien, die in beiden Ländern und darüber hinaus in Australien und Brasilien über einen geringfügigen Anstieg von Invaginationen, insbesondere in den ersten sieben Tagen nach Verabreichung der Impfstoffe, berichteten. Daraufhin wurden zwei Hersteller-unabhängige Postmarketing-Studien initiiert, deren Ergebnisse vor wenigen Wochen im New England Journal of Medicine erschienen sind.

Ergebnisse beider Studien

In den beiden Studien VSD (Vaccine Safety Datalink Program, durchgeführt an den Centers for Disease Control and Prevention in Atlanta) und PRISM (Post-Licensure Rapid Immunization Monitorung Program der FDA) zeigte sich ein leicht, aber signifikant erhöhtes Risiko für Invaginationen. In der VSD-Studie traten nach Verabreichung von insgesamt 207.955 Impfdosen innerhalb von sieben Tagen nach der jeweiligen Dosis sechs Fälle auf. Aufgrund historischer Daten waren 0,72 Fälle erwartet worden, woraus sich ein relatives Risiko von 8,4 errechnet. Damit muss bei 100.000 geimpften Kindern mit 5,3 Fällen der schweren Komplikation gerechnet werden. Beim pentavalenten Impfstoff RotaTeq® wurden in dieser Studie innerhalb der ersten sieben Tage nach Impfung bezogen auf 1 301 810 Impfdosen acht Fälle beobachtet (nicht-signifikantes relatives Risiko 1,1).

Symptome

Auf eine Invagination können folgende Beschwerden hinweisen:

  • starke Bauchschmerzen
  • anhaltendes Erbrechen
  • blutige Stühle
  • aufgeblähter Bauch
  • hohes Fieber

Eltern bzw. betreuende Personen sollten beim Auftreten solcher Symptome in zeitlichem Zusammenhang mit einer Rotavirus-Impfung umgehend einen Arzt aufsuchen. Besonders kritisch sind die ersten sieben Tage nach der Impfung.

Die PRISM-Studie dagegen besaß nicht genügend statistische Power, um für das monovalente Rotarix® (das in den USA zwei Jahre nach RotaTeq® zugelassen worden war) ein Risiko zu identifizieren. Für den pentavalenten Impfstoff wurde jedoch ein signifikanter Zusammenhang mit dem Auftreten von Invaginationen beobachtet. Innerhalb von 21 Tagen nach Verabreichen der Impfung, dem „kritischen Zeitfenster“, wurden bei 500.000 Impflingen acht Fälle von Invagination registriert. Daraus errechneten die Autoren ein Risiko von 1,5 zusätzlichen Fällen pro 100.000 Impflingen nach der ersten Dosis.

Einschätzung der Experten

Die Autoren beider Studien raten zu einer Nutzen-Risiko-Abschätzung; denn durch die Rotavirus-Impfung könnten schwere Erkrankungen bei Säuglingen verhindert werden. Im Editorial der Fachzeitschrift werden die Unterschiede der beiden Studien als gering eingeschätzt. Die Ergebnisse ließen sich so zusammenfassen, dass das Risiko für Invaginationen nach Rotavirus-Impfung gering ist. Pro 100.000 Impflingen müsse mit einem bis fünf Fällen gerechnet werden. Dennoch müssten zukünftige Untersuchungen zeigen, ob das Risiko bei beiden Impfstoffen ähnlich ist und ob eventuell eine Subgruppe von Kindern mit besonders hohem Risiko identifiziert werden kann. 

Quelle

Weintraub ES et al. Risk of intussusception after monovalent rotavirus vaccination. NEJM (2014) DOI: 10.1056/NEJMoa1311738.

Yih WK et al. Intussusception risk after rotavirus vaccination in U.S. infants. NEJM (2014) DOI: 10.1056/NEJMoa1303164.

Glass RI, Parashar, UD. Rotavirus vaccines — balancing intussusception risks and health benefits. NEJM (2014) DOI: 10.1056/NEJMe1315836.

Fachinformation Rotarix® (Stand Juli 2013).

Fachinformation RotaTeq® (Stand Februar 2013).

Rote Liste online, www.rote-liste.de

Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch- Instituts Nr. 34 (2013): 315-318 und Nr. 35 (2013), 345-361, www.rki.de

 

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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