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Neue Ideen für die Nutzenbewertung

Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik

HAMBURG (tmb) | Neuer oder oft nur teurer? – Diese Frage zu neuen Therapieverfahren stellte der Versorgungsforscher Prof. Dr. Matthias Augustin als Gastgeber des 15. Eppendorfer Dialogs am 16. April in Hamburg. Prof. Dr. Gerd Glaeske, Universität Bremen, antwortete mit seiner bekannten Kritik an manchen neuen Arzneimitteln, machte aber auch auf ein Dilemma bei der Nutzenbewertung von Arzneimitteln aufmerksam.
Foto: DAZ/tmb
Prof. Dr. Gerd Glaeske, Dr. Markus Frick, Prof. Dr. Wolfram Mittelmeier, Maria Klein-Schmeink, Prof. Dr. Matthias Augustin (v.l.).

Glaeske verwies auf diverse Bewertungen neuer Arzneimittel wie den Innovationsreport der Techniker Krankenkasse, der von 20 ambulant relevant neuen Wirkstoffen des Jahres 2011 nur drei als innovativ einstufe. Dennoch würden viele Ärzte gerne neue Arzneimittel verordnen, allerdings mit sehr unterschiedlicher geografischer Verteilung. Dagegen seien einige ältere Arzneimittel ungerechtfertigt aus der Mode gekommen, beispielsweise Nitratsprays. Doch würden Patienten mit Angina pectoris ohne solche Sprays öfter ins Krankenhaus eingewiesen. „Das Bewährte ist in vielen Fällen die bessere Wahl“, so Glaeske.

Reale Versorgung bewerten

So sehr Glaeske einen differenzierten Umgang mit neuen Arzneimitteln forderte, betonte er aber auch ein Problem bei den Bewertungen. Denn klinische Studien für die Zulassung beschreiben ausgewählte Patienten, aber nicht die typischen Patienten, die später behandelt werden. Klinische Studien würden auf den Wirksamkeitsnachweis zielen, aber nicht auf den Vergleich mit anderen Arzneimitteln und nicht auf den Patientennutzen. Daher seien mehr Versorgungsforschung und mehr – auch öffentlich geförderte – Studien nach der Zulassung erforderlich, mit denen die Arzneimittel im Einsatz bewertet werden. Letztlich ziele dies auf eine „Spätbewertung“.

Fehlanreize beseitigen

Dr. Markus Frick, Geschäftsführer Markt und Erstattung beim Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa), bekräftigte dieses Problem und die Bedeutung der Versorgungsforschung für die Lösung. Viele Onkologika würden aufgrund einer Verlängerung des krankheitsfreien Überlebens bei Patienten in der terminalen Phase zugelassen, dann aber auch in früheren Stadien eingesetzt und zeigten dann erst ihren ganzen Patientennutzen. Viel Erkenntnis könne also erst nach der Zulassung gewonnen werden. Auf den Vorwurf, die Industrie entwickle Arzneimittel bevorzugt für lukrative Indikationen, entgegnete Frick, dies zeige, dass die Anreizsteuerung funktioniere – denn die Gesellschaft wolle beispielsweise Arzneimittel gegen Krebs. Wenn solche Arzneimittel für immer kleinere Patientengruppen entwickelt werden, müssten sie allerdings hohe Preise haben, weil sich die Refinanzierung auf wenige Schultern verteilt. Andererseits sieht Frick den Preis ohnehin nicht mehr im Zentrum der Diskussion. Denn nach der frühen Nutzenbewertung lägen 80 Prozent der Preise unter dem Mittelwert der europäischen Vergleichspreise. Vielmehr kritisierte Frick einen falschen Anreiz im geltenden Preisbildungsverfahren. Bei Indikationen, in denen es lange keine Innovation gab, dienen alte niederpreisige Wirkstoffe als Vergleich, und schrecken damit gerade dort vor Innovationen ab, wo diese gebraucht werden. Dagegen verspricht die Orientierung an hochpreisigen Vergleichen höhere Preise für neue Produkte. Um diese Fehlsteuerung zu verhindern, müssten die Vergleichstherapie in der Nutzenbewertung und der Maßstab in der Preisverhandlung voneinander getrennt werden, so Frick.

Übertragbar auf Operationen?

Ähnliche Fragen wie zu Arzneimitteln sieht Augustin angesichts der hohen Zahl an Operationen. Im Unterschied zu Arzneimitteln gibt es für Operationsverfahren jedoch keine aussagekräftigen Bewertungen, konstatierte Maria Klein-Schmeink, Mitglied des Bundestagsgesundheitsausschusses und gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Daher erwarte sie von der Krankenhausreform der Großen Koalition auch für dieses Gebiet klare Verfahren zur Nutzen- und Risikobewertung und ein gesetzlich verbindliches Register für Endoprothesen. Außerdem forderte sie ökonomische Anreize, mit denen kleine Krankenhäuser im ländlichen Raum als Grundversorger bestehen könnten. Als möglichen Ansatz zur Qualitätssicherung präsentierte Prof. Dr. Wolfram Mittelmeier, Direktor der Klinik für Orthopädie der Universität Rostock, das von ihm initiierte EndoCert-Register für Operationen mit Endoprothesen. Der entscheidende Aspekt dabei sei das Nachprüfen der Ergebnisse. 

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