Ernährung: HIV und AIDS

Positiv leben, gesund essen

Ernährungs-Update: HIV und AIDS

Katja M. Aue | AIDS stellt eine der großen Herausforderungen der Weltgesundheit da. Dank des medizinischen Fortschritts zählt die Immunschwäche heute – zumindest in den Industrienationen – nicht mehr zu den tödlichen, sondern eher zu den chronischen Krankheitsbildern. Trotz guter medikamentöser Einstellung ist AIDS jedoch mit Problemen verbunden. So ist das Krankheitsbild oftmals durch Mangelernährung und metabolische Veränderungen gekennzeichnet. Daher bedürfen AIDS-Patienten einer individualisierten Ernährungstherapie, die nicht nur auf eine adäquate Nährstoffaufnahme abzielt, sondern auch Aspekte der Arzneimitteleinnahme sowie der Lebensmittelhygiene einschließt.

Im Rahmen der HIV-Infektion wird eine Mangelernährung oft als Begleiterscheinung beobachtet [2, 4]. Schätzungen zufolge verlieren rund 30 Prozent der Patienten in den Frühstadien der Erkrankung ungewollt Gewicht. Im Endstadium von AIDS sind über 90 Prozent der Patienten von schwerer Unterernährung betroffen [5, 6]. Durch die verbesserten Therapiemöglichkeiten, die zu einer deutlich geringeren Morbidität und Mortalität geführt haben, tritt Mangelernährung bzw. das sogenannte Wasting-Syndrom in Europa und in Nordamerika zwar mittlerweile seltener auf [2], andernorts ist die Mangelernährung jedoch immer noch ein zentrales klinisches Problem [1, 2]. Die Pathogenese der Mangelernährung bei AIDS erfolgt über verschiedene Mechanismen. Dazu zählen Immunsystemregulationsstörungen sowie direkte Organschädigungen, z. B. des Gastrointestinaltraktes oder des Nervensystems. Ein weiterer Grund für einen verschlechterten Ernährungszustand sind Koinfektionen mit Hepatitis B und C sowie Tuberkulose.

Insgesamt beeinträchtigen die HIV-Infektion bzw. AIDS sowohl die Nahrungsaufnahme als auch die Verdauung. Das Wasting-Syndrom wird dabei als Gewichtsverlust von mehr als zehn Prozent des üblichen Gewichts definiert, einhergehend mit Diarrhö und/oder Fieber. Rapides Wasting ist ein typisches Anzeichen für eine opportunistische Infektion oder eine Malignität im AIDS-Endstadium. Kennzeichnend ist dabei ein Verlust der Muskelmasse mit verringertem funktionellem Status und einer erhöhten muskulären Erschöpfung. Durch Proteinverlust kommt es zu einer schlechteren Wundheilung und einer Beeinträchtigung des Immunsystems. Daraus resultiert unabhängig von der Viruslast oder einer verringerten Immunabwehr eine höhere Morbidität und Mortalität, die die Prognose bei einer fortgeschrittenen HIV-Infektion negativ beeinflusst. Ein Verlust der fettfreien Masse (FFM) sowie der Körperzellmasse sind typisch für eine unbehandelte HIV-Infektion. Ein rascher Verlust an Körperzellmasse ist jedoch auch oft im Rahmen schwerer Infektionen zu beobachten. Für die ernährungsbezogene Diagnostik ist daher die alleinige Erhebung des Body Mass Index (BMI) unzureichend. Eine verhältnismäßig gute Möglichkeit zur Feststellung der Körperzellmasse im klinischen Alltag stellt die bioelektrische Impedanzanalyse (BIA) dar. Weiterführende ernährungsbezogene Diagnostikschritte sind in Tabelle 1 aufgeführt [2].


Tab. 1: Ernährungsbezogene Diagnostik bei HIV/AIDS.

Diagnose
Konsequenz
Gewichtsverlust
in den vergangenen
3 bis 6 Monaten
> 5% in 3 Monaten → Ernährungstherapie

Weiterführende Diagnostik:

– rapide → opportunistische Infektion?

– langsam → gastrointestinale Störung?
Aktueller Body Mass Index
< 18,5 kg/m² → Ernährungstherapie
Körperzellmasse
> 5% Verlust in drei Monaten → Ernährungstherapie
Nahrungsaufnahme/
Essverhalten
Voraussichtlich < 60% der Empfehlung in den kommenden zehn Tagen → Ernährungstherapie
Appetit
Weiterführende Diagnostik:

– Depression
Schmerzen beim Kauen
und Schlucken
Weiterführende Diagnostik:

– Infektionen im Mund- und Rachenraum bzw. Ösophagus

Quelle: [2]

Ernährungstherapie: Wann …

Auch wenn Mangelernährung und Wasting seit Einführung der HAART in den Industrienationen seltener geworden sind, wird die Prognose der fortgeschrittenen HIV-Infektion vom Ausmaß der Mangelernährung bestimmt. Zudem wird vermutet, dass andere Formen der Mangelernährung als Nebenwirkung der Therapie an Bedeutung gewinnen werden [5].


Ernährungsempfehlungen


Ursachen für den Gewichtsverlust eruieren (opportunistische Infektionen ausschließen)

Ernährungsberatung (zeitliche Abfolge von Mahlzeiten und Tabletteneinnahme, Nahrungsmittelauswahl, Hygiene bei der Nahrungszubereitung)

Bei fehlendem Erfolg: orale Trinknahrung (ggf. mit mittelkettigen Fettsäuren)

Bei Dysphagie oder bei unzureichender oraler Nahrungsaufnahme trotz Trinknahrung: enterale Ernährung (evtl. über perkutane endoskopische Gastrostomie)

Wenn enterale bedarfsdeckende Ernährung nicht möglich: parenterale Ernährung

Quelle: [2]

Besteht das Risiko für eine Mangelernährung oder liegt diese gar schon vor, sollte eine Ernährungstherapie eingeleitet werden mit dem Ziel, die Körperzellmasse zu erhöhen bzw. wenigstens zu erhalten. Durch diese Maßnahme werden die physische Kapazität sowie die Toleranz für eine antiretrovirale Kombinationstherapie gesteigert und gastrointestinale Symptome der HIV-Infektion verringert, so dass sich die Lebensqualität der Betroffenen insgesamt verbessert. Laut den europäischen Leitlinien der ESPEN (European Society for Clinical Nutrition and Metabolism) wird eine Ernährungstherapie dann notwendig, wenn der BMI unter 18,5 liegt oder es zu deutlichen Verlusten von Körpergewicht oder Körperzellmasse von jeweils mehr als fünf Prozent innerhalb von drei Monaten kommt [5]. Vor bzw. parallel zum Beginn der Ernährungstherapie sollten stets die Ursachen für den Gewichtsverlust abgeklärt werden.

… und wie

Liegt keine Schluckstörung vor und ist eine orale Nahrungsaufnahme möglich, sollte zunächst eine Ernährungsberatung erfolgen. Mit ihrer Hilfe sollen die Patienten in die Lage versetzt werden, eine adäquate Ernährung zu realisieren, ihre Mahlzeiten mit der Medikamenteneinnahme abzustimmen (Tab. 2) und Aspekte der Lebensmittelhygiene umzusetzen.


Tab. 2: Antiretrovirale Therapie und Ernährung – auf die Einnahmevorschriften achten.

Mahlzeitenunabhängige
Einnahme
Einnahme zu oder
nach einer Mahlzeit
Einnahme nüchtern
Agenerase® (Amprenavir)
Aptivus® + Norvir®
(Tipranavir + Ritonavir)
Atripla® (Efavirenz +
Emtricitabin + Tenofovir)
Celsentri® (Maraviroc)
Edurant® (Rilpivirin)
Crixivan® (Indinavir)
Combivir®
(Lamivudin + Zidovudin)
Eviplera® (Rilvipirin +
Emtricitabin + Tenofovir)
Sustiva® (Efavirenz)
Crixivan® + Norvir®
(Indinavir + Ritonavir)
Intelence® (Etravirin)
Videx® (Didanosin)
Emtriva® (Emtricitabin)
Invirase® + Norvir®
(Saquinavir + Ritonavir)
Zerit® (Stavudin)
Epivir® (Lamivudin)
Norvir® (Ritonavir)
Fuzeon® (Emfuvirtide)
Prezista® + Norvir®
(Darunavir + Ritonavir)
Isentress® (Raltegravir)
Reyataz® + Norvir®
(Atazanavir + Ritonavir)
Kaletra® (Lopinavir + Ritonavir)
Truvada® (Tenofovir +
Emtricitabin)
Kivexa® (Abacavir + Lamivudin)
Viracept® (Nelfinavir)
Retrovir® (Zidovudin)
Viread® (Tenofovir)
Telzir® + Norvir®
(Fosamprenavir + Ritonavir)
Trizivir® (Abacavir + Lamivudin + Zidovudin)
Viramune® (Nevirapin)
Ziagen® (Abacavir)

Hinsichtlich der Wechselwirkungen zwischen antiretroviralen Arzneimitteln und Lebensmitteln sind vor allem Interaktionen zwischen Fett und den Proteaseinhibitoren, Nukleosidanaloga oder nicht nukleosidischen Reverse-Transkriptasehemmern zu beachten. Eine Abstimmung ist wichtig, um die Wirkung der Arzneimittel und die adäquate Nahrungsaufnahme zu gewährleisten. Des Weiteren muss bei der Lebensmittelauswahl auf bestehende gastrointestinale Symptome wie Diarrhö und Blähungen sowie auf Nebenwirkungen zu Beginn einer antiretroviralen Therapie wie Übelkeit, Erbrechen oder Diarrhö geachtet werden. Generell besteht bei den Patienten ein Risiko für einen Laktasemangel, der eine lactosefreie Diät erfordern kann. Schließlich sollten Patienten auf eine strenge Lebensmittelhygiene achten, um das Risiko für Infektionen wie Salmonella enteritidis, Cryptosporidium sp. und Isospora sp. herabzusetzen. Falls eine Ernährungsberatung nicht wirksam ist und keine Gewichtszunahme nach vier bis acht Wochen erfolgt, sollten Patienten eine orale Trinknahrung erhalten. Dabei ist zu beachten, dass Trinknahrungen mit hohem Fettgehalt bei empfindlichen Patienten zu einer Diarrhö führen können bzw. eine solche verstärken. Bei chronischem Durchfall oder Malabsorption empfehlen sich daher Trinknahrungen mit mittelkettigen Fettsäuren, um die Stuhlfrequenz und -konsistenz zu verbessern. Eine enterale Ernährung sollte bei Dysphagie oder unzureichender Nahrungsaufnahme begonnen werden (Tab. 3). Falls auch damit keine bedarfsdeckende Ernährung möglich ist, muss eine parenterale Ernährung erfolgen, die bei schwer mangelernährten Patienten die einzige Alternative darstellt. Schließlich muss stets eine genaue Anamnese zur Versorgung mit Mikronährstoffen erfolgen. Liegt ein Mangel vor, ist eine Supplementierung bis zum empfohlenen Bedarf indiziert. Routinesupplementierungen sollten dagegen vermieden werden [2].

Tab. 3: Ernährungsformen für AIDS-Patienten

Ernährungsform
Mögliche Varianten
oral
Normalkost (Wunschkost)

Normalkost + Zusatzernährung (Nährstoff-Supplemente)

Adaptierte Kost (spezielle Zubereitungen,
z. B. passiert)
gastral
(NDD = nährstoffdefinierte Diäten)
Nasogastrale Sonde

Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG)
intestinal
(CDD= chemisch
definierte Diäten)
Nasoduodenale Sonde

Nasojejunale Sonde

PEG

Katheter-Jejunostomie
parenteral
Periphervenöse Ernährung (kurzzeitig oder in Kombination mit oraler/gastrointestinaler Ernährung)

Zentralvenös ("Totale
parenterale Ernährung")

Quelle: [6]

Einfluss der antiretroviralen Therapie

Im Rahmen der antiretroviralen Therapie mit Proteaseinhibitoren wird die Steigerung der Körpermasse gefördert. Allerdings werden dadurch oftmals auch metabolische Veränderungen sowie eine Lipodystrophie beobachtet. Kennzeichnend für die Lipodystrophie ist eine Umverteilung des Körperfetts. Vor allem im Gesichtsbereich und den Extremitäten kann subkutanes Fettgewebe verloren gehen und somit zu einer Lipoatrophie führen. Dagegen nimmt das abdominelle Fettgewebe zu. Besonders charakteristisch ist der sog. Büffelnacken [2]. Viele Betroffene empfinden die körperlichen Veränderungen, die mit der Lipodystrophie einhergehen, als entstellend und stigmatisierend. Daraus resultiert eine verminderte Therapietreue [2]. Auch wird in diesem Zusammenhang ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko diskutiert [2, 7]. Prinzipiell sollten Patienten mit Lipodystrophie ähnlichen Therapieempfehlungen folgen wie Patienten mit einem metabolischen Syndrom. Das bedeutet eine Kombination aus verstärkter körperlicher Bewegung und ausgewogener Ernährung. Dabei muss immer das erhöhte Risiko für eine Mangelernährung berücksichtigt werden. Allerdings werden diese Therapiemaßnahmen nicht von allen Interventionsstudien gleichermaßen bestätigt. Eine Modifikation der antiretroviralen Therapie durch neuere Proteasehemmer kann dazu führen, dass Lipidprofil und Insulinresistenz verbessert werden, die viszerale Fettmasse dadurch aber gar nicht oder nur geringfügig verändert wird [2].

Die antiretrovirale Therapie steht auch häufig in Verbindung mit einer Hyperlipidämie. Dabei sind sowohl die Triglyzeride als auch das Gesamtcholesterin im Serum betroffen. Bereits kurz nach Einführung von antiretroviralen Dreifachkombinationen unter Einschluss von Proteaseinhibitoren zeigte sich, dass diese Therapieform mit erhöhten Lipidwerten einhergeht. Dabei gibt es Hinweise, dass Ritonavir-Komponenten wesentlich zu diesem Effekt beitragen [8]. Die Formulierung von Ernährungsempfehlungen, die hier gegensteuern, erweist sich jedoch als problematisch. Einerseits sollten Betroffene auf Alkohol verzichten, die Fett- und Kohlenhydratzufuhr reduzieren sowie ihrer körperliche Aktivität steigern, um die Cholesterin- und Triglyzeridwerte zu verbessern [7]. Andererseits besteht ein Konflikt zwischen den genannten Empfehlungen, die auch für Lipodystrophie gelten, und dem Therapieziel, den Ernährungszustand zu erhalten. Verfolgen Patienten lediglich eine konventionelle fettreduzierte Diät, könnte die beschränkte Lebensmittelauswahl die Nahrungsaufnahme behindern. Einen positiven Effekt hat in einer randomisierten klinischen Untersuchung eine Erhöhung der Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren gezeigt. Sie wirkte sich günstig auf das Lipidprofil von HIV-infizierten Männern aus [9]. Es bleibt jedoch zu erwähnen, dass Daten zu klinischen Endpunkten fehlen [2]. 

Literatur:

[1] Nguewo E. Zur Umsetzung von Ernährungsempfehlungen für HIV-infizierte Menschen in Schwarzafrika. Ernährungs-Umschau 2008(6):334 – 339.
[2] Norman K, Ockenga J. Ernährung bei HIV-Infektion und AIDS. In: Biesalski H, et al. (Hrsg.). Ernährungsmedizin: Nach dem neuen Curriculum Ernährungsmedizin der Bundesärztekammer. 4. Auflage. Stuttgart [u. a.]: Thieme 2010:563 – 573.
[3] Robert Koch-Institut. HIV/AIDS in Deutschland – Eckdaten der Schätzung: Epidemiologische Kurzinformation des Robert Koch-Instituts 2011. Online: http://www.aek-mv.de/upload/file/presse/HIV-EckdatenDeutschland.pdf Status 18.11.2015.
[4] Schwenk A, Kremer G. Ernährung bei HIV-Infektion. In: Schauder P, Ollenschläger G, (Hrsg.). Ernährungsmedizin – Prävention und Therapie. München Jena: Urban Fischer 1999:309 – 316.
[5] Ockenga J, et al. ESPEN Guidelines on Enteral Nutrition: Wasting in HIV and other chronic infectious diseases. Clinical Nutrition 2006;25(2): 319 – 329.
[6] Ollenschläger G. Ernährungstherapie in der Palliativmedizin. Der Internist 2000;41(7):641 – 647.
[7] Bogner J. HIV-Infektion. Internist 2012;53(10):1169 – 1178.
[8] Cohen C, Nieto-Cisneros L, Zala C, et al. Comparison of atazanavir with lopinavir/ritonavir in patients with prior protease inhibitor failure: a randomized multinational trial. Curr Med Res Opin 2005;21(10):1683 – 1692.
[9] Carter VM, Woolley I, Jolley D, et al. A randomised controlled trial of omega-3 fatty acid supplementation for the treatment of hypertriglyceridemia in HIV-infected males on highly active antiretroviral therapy. Sex Health 2006;3(4):287 – 290.

Autorin

Katja M. Aue
M. Sci. Ökotrophologie
E-Mail: katja_aue@web.de

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