Arzneimittel und Therapie

Zulassung als "Single Tablet"

Resistenzen, Nebenwirkungen und negative Langzeitfolgen bei den verfügbaren antiretroviralen Wirkstoffen fördern die Suche nach neuen Substanzen. Mit Elvitegravir wurde kürzlich in den USA ein neuer Integrasehemmer zugelassen, der voraussichtlich Mitte kommenden Jahres auch in Deutschland verfügbar sein wird. Eingebettet mit zwei weiteren antiretroviralen Wirkstoffen und einem Booster in einer einzigen Tablette soll die HIV-Therapie für die Patienten erleichtert werden.

Integrase-Strangtransfer-Inhibitoren, auch als Integrasehemmer bezeichnet, blockieren ein aus 288 Aminosäuren bestehendes Schlüsselenzym im Vermehrungszyklus der HI-Viren. Mit der mithilfe der reversen Transkriptase aus der RNA synthetisierten Virus-DNA bildet die Integrase im Zytoplasma einen Präintegrationskomplex, der in den Zellkern des CD4+-T-Lymphozyten geschleust wird. Dort bindet die Integrase an die Wirts-DNA und katalysiert das Einfügen des viralen DNA-Strangs (Strangtransfer) an die Wirts-DNA. Integraseinhibitoren hemmen die Aktivität des Enzyms durch Wechselwirkung mit zweiwertigen Kationen im katalytischen Zentrum.

Nur einmal tägliche Einnahme

2007 wurde mit Raltegravir (Isentress®) der erste Integrasehemmer in Kombination mit anderen antiretroviralen Wirkstoffen zur Behandlung einer HIV-1-Infektion zugelassen. Die Einnahme erfolgt zweimal täglich. Ein großer Vorteil des neu entwickelten Wirkstoffes Elvitegravir wird darin gesehen, dass er nur einmal täglich eingenommen werden muss. Dies ermöglicht eine Verabreichung im Rahmen von Single-Tablet-Regimen (STR), das heißt in Kombinationspräparaten mit drei antiretroviralen Wirkstoffen und gegebenenfalls einem Booster (siehe Kasten). Da für viele HIV-Patienten die regelmäßige und lebenslange tägliche Einnahme der verordneten Medikamente eine große Herausforderung darstellt, können Single-Tablet-Regime zur Verbesserung der Adhärenz beitragen.

Studien mit Elvitegravir

In einer Nichtunterlegenheits-Studie war die Wirksamkeit von Elvitegravir vergleichbar mit Raltegravir. Primärer Endpunkt dieser randomisierten doppelblinden Phase-III-Studie war der Anteil der Patienten, die nach 48 Wochen Behandlung weniger als 50 HIV-RNA-Kopien pro ml aufwiesen. Beide Integrasehemmer wurden jeweils in Kombination mit anderen antiretroviralen Substanzen, darunter einem Ritonavir-geboosterten Proteaseinhibitor, verabreicht. Unter Elvitegravir (150 mg einmal täglich) erreichten 207 (59%) von 351 Patienten ein virologisches Ansprechen, unter Raltegravir (400 mg zweimal täglich) 203 (58%) von 351 (Differenz 1,1%, 95% CI -6,0 bis 8,2, p = 0,001).

Boosterung mit Cobicistat

Elvitegravir wurde kürzlich in den USA in einem Kombinationspräparat (Stribild®, siehe Kasten) zur einmal täglichen Anwendung zugelassen. In den beiden zulassungsrelevanten Studien war der Integrasehemmer mit dem Pharmakoenhancer (Booster) Cobicistat getestet worden. Dabei handelt es sich um einen Hemmstoff des Cytochrom-P450-Isoenzyms CYP3A, der eine strukturelle Ähnlichkeit zu Ritonavir besitzt, jedoch im Gegensatz zu dieser Substanz nicht die HIV-1-Protease hemmt. Dadurch erhofft man sich zum einen eine geringere Resistenzentwicklung. Zum anderen hemmt Cobicistat, das selbst keine Wirkung gegen HI-Viren hat, die Cytochrom-P450-Enzyme, die das Elvitegravir abbauen, und verlängert so dessen Wirkung.

In einer Studie mit 700 Behandlungs-naiven Patienten aus Nordamerika mit mindestens 5000 HIV-1-RNA-Kopien pro ml wurde die Coformulierung von Elvitegravir mit Cobicistat, dem nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitor Emtricitabin (FTC) und dem Nukleotid-analogen Reverse-Transkriptase-Inhibitor Tenofovir (TDF) verglichen mit dem nicht-nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitor Efavirenz (EFV) plus Emtricitabin und Tenofovir. Bezüglich des virologischen Ansprechens (Viruslast < 50 Kopien HIV-RNA pro ml) zeigte sich nach 48 Wochen eine Nichtunterlegenheit der Elvitegravir-haltigen Kombination (305 von 348 Patienten, 87,6%, versus 296 von 352 Patienten, 84,1% Differenz 3,6%, 95% CI -1,6% bis 8,8%).

In einer weiteren Studie wurde das Single-Tablet-Regime aus EVG/COBI/FTC/TDF mit einem Ritonavir-geboosterten Proteaseinhibitor-Regime aus Atazanavir (ATV)/RTV+FTC/TDF als Initialtherapie einer HIV-Infektion verglichen. Bei einer ähnlichen Patientenzahl (n = 708) war das Elvitegravir-Regime (EVG/COBI/FTC/TDF) dem Vergleichsregime bezüglich des virologischen Ansprechens ebenfalls nicht unterlegen (316 Patienten, 89,5%, versus 308 Patienten, 86,8%, adjustierte Differenz 3,0%, 95% CI 1,9% bis 7,8%).

Single-Tablet-Regime


Um die Anzahl an Tabletten zu reduzieren, wird zunehmend versucht, mehrere Wirkstoffe in einer Tablette zu pressen. Bisher stehen folgende antivirale Wirkstoffe als Single-Tablet-Regime zur Verfügung:

  • Atripla®: 600 mg Efavirenz + 200 mg Emtricitabin + 245 mg Tenofovirdisoproxil (als Fumarat)

  • Eviplera®: 200 mg Emtricitabin + 25 mg Rilpivirin + 245 mg Tenofovirdisoproxil (als Fumarat)

  • Stribild® ("quad pill", zur Zeit in Deutschland noch nicht zugelassen): 150 mg Elvitegravir +150 mg Cobicistat + 200 mg Emtricitabin + 300 mg Tenofovirdisoproxil (als Fumarat)

Resistenzen, Neben- und Wechselwirkungen

Übelkeit trat bei Patienten, die Elvitegravir-haltiges Regime erhalten hatten, häufiger auf als unter den anderen Kombinationen. Unter Efavirenz wurden dagegen häufiger Rash und ZNS-Nebenwirkungen beobachtet. In der Atazanavir-Gruppe kam es häufiger zu okularem Ikterus, einer bekannten Nebenwirkung des Proteaseinhibitors.

Eine Besonderheit von Cobicistat ist die Verringerung der tubulären Sekretion von Kreatinin durch Hemmung des Transportproteins. Dadurch kann sich die errechnete, jedoch nicht die tatsächliche glomeruläre Filtrationsrate der Patienten verringern. In den beiden Studien war ein Anstieg der Serumkreatinin-Konzentrationen bei Patienten, die das Cobicistat-haltige Präparat einnahmen, zu beobachten gewesen.

Bisherige Untersuchungen zeigen Ähnlichkeiten in den Resistenzmustern von Raltegravir und Elvitegravir, sodass es wahrscheinlich nicht möglich sein wird, nach einem Behandlungsversagen unter Raltegravir auf Elvitegravir auszuweichen.

Ein wichtiger Unterschied beider Integraseinhibitoren besteht in der Verstoffwechslung. Elvitegravir wird hauptsächlich durch CYP3A4 oxidiert und – in geringerem Umfang – durch die UDP-Glucuronyltransferase UGT1A1/3 glucuronidiert. Raltegravir dagegen ist kein Substrat der Cytochrom-P450-Enzyme, sondern wird hauptsächlich über die UGT1A1-vermittelte Glucuronidierung eliminiert. Daher ist Vorsicht geboten bei Kombinationen mit starken Induktoren der UGT1A1 (z. B. Rifampicin). Bei Elvitegravir dagegen sind Wechselwirkungen mit Arzneistoffen, die über CYP-Enzyme verstoffwechselt werden, zu erwarten.


Quelle

Molina J-M, et al.: Efficacy and safety of once daily elvitegravir versus twice daily raltegravir in treatment-experienced patients with HIV-1 receiving a ritonavir-boosted protease inhibitor: randomised, double-blind, phase 3, non-inferiority study. Lancet Infect Dis (2012) 12: 27 – 35, online publiziert am 10. Oktober 2011, DOI:10.1016/S1473-3099(11)70249-3

Klibanov, OM: Elvitegravir, an oral HIV integrase inhibitor, for the potential treatment of HIV infection. Current Opinion in Investigational Drugs (2009) 10(2): 190 – 200.

DeJesus, E et al.: Co-formulated elvitegravir, cobicistat, emtricitabine, and tenofovir disoproxil fumarate versus ritonavir-boosted atazanavir plus co-formulated emtricitabine and tenofovir disoproxil fumarate for initial treatment of HIV-1 infection: a randomised, double-blind, phase 3, non-inferiority trial. Lancet (2012) 379: 2429 – 2438.

Sax, PE, et al.: Co-formulated elvitegravir, cobicistat, emtricitabine, and tenofovir versus co-formulated efavirenz, emtricitabine, and tenofovir for initial treatment of HIV-1 infection: a randomised, double-blind, phase 3 trial, analysis of results after 48 weeks. Lancet (2012) 379: 2439 – 2448.

Rik Schrijvers, R, Debyser, Z: Quad’s in it for antiretroviral therapy? Lancet (2012) 379: 2403 – 2405.

Mutschler Arzneimittelwirkungen, 10. Aufl. (2012) Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart.

Fachinformation Isentress® 400 mg Filmtabletten, Stand Oktober 2012.


Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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