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Phytos im Aufwärtstrend

Deutschland hat die Nase vorn – neue Erhebung der EMA

LONDON (hb). Befürchtungen der letzten Jahre, der Markt der pflanzlichen Arzneimittel in Europa sei ernsthaft gefährdet, sind offenbar unbegründet, wie aus einer neuen Erhebung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) hervorgeht. Anfang 2010 hatte der Verwaltungsrat der Agentur im Vorgriff auf das Ende der Übergangsfrist für die Implementierung der Registrierungspflicht für traditionelle Arzneimittel in den Mitgliedstaaten einen Aktionsplan für die Jahre 2010 bis 2011 verabschiedet, über dessen Ergebnisse jetzt Bericht erstattet wurde. Fazit: Die Registrierungen und Zulassungen für Phytos zeigen einen erfreulichen Aufwärtstrend.
Phytos sind beliebt Die Registrierungen und Zulassungen nehmen deutlich zu.
Foto: Madaus

Was die Anzahl harmonisierter Monographien für Arzneidrogen anbelangt, so hat sich der Output beträchtlich erhöht. Fast 100 Monographien konnte der Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel (HMPC) bei der EMA bis Ende 2011 verabschieden – inzwischen sind es noch einmal gut zehn mehr geworden. Im Hinblick darauf, dass die Gesamtzahl der eingesetzten Drogen auf etwa das Doppelte geschätzt wird, wäre damit "Halbzeit", wenn man von der Daueraufgabe der Aktualisierung der Dokumente absieht.

Ist die wissenschaftliche Datenlage ausreichend, so weist eine harmonisierte Pflanzen-Monographie (Community Herbal Monograph) eine oder mehrere Indikationen auf Basis des "Well-established use" (WEU) aus, alternativ können Indikationen im Rahmen der traditionellen Anwendung (Traditional use/TU) formuliert werden. In manchen Monographien kommt, abhängig von der Art der Zubereitung, der Art des Extraktes oder auch der Art der Anwendung, durchaus beides vor, wie etwa für Baldrian, Hypericum oder Echinacea.

Offen für andere Traditionen

Als bemerkenswert ist hervorzuheben, das der Ausschuss im Juli 2011 in Zusammenarbeit mit den indischen Behörden drei Arzneipflanzen aus dem dortigen Kulturraum zur Bearbeitung auf den Weg gebracht hat (Adhatodae vasicae folium, Picrorhizae kurroae rhizhoma und Withaniae somniferae radix). Im November 2011 wurde außerdem eine Pilotphase zu einigen Monographien für Drogen aus der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) beschlossen.

Traditionsliste "hakt"

Bezüglich der europäischen Traditionsliste sieht es noch nicht ganz so gut aus. Hier konnten bislang erst wenige Einträge auf den Weg gebracht werden. Dies ist im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass für eine abschließende Beurteilung der einzelnen Drogen regelmäßig Daten zur Genotoxizität gefordert werden, die in vielen Fällen nicht allgemein verfügbar sind. Zwar reichen die Firmen im Rahmen ihrer Registrierungs- und Zulassungsverfahren individuell oder gemeinschaftlich generierte Daten zur Genotoxizität ein, aber es ist bis dato nicht geklärt, ob diese zum schützenswerten Know-how der Antragsteller gehören. Bislang steht die Europäische Kommission auf dem Standpunkt, dass es nach europäischem Recht keine Handhabe für die Behörden gibt, die von den Firmen eingereichten Daten an den Ausschuss und damit zur Verwendung für die Liste weiterzugeben. Diesbezüglich steht eine Lösung weiter aus.

Statistik der Registrierungen und Zulassungen

Zu den Zielsetzungen des Aktionsplans für pflanzliche Arzneimittel gehört auch eine regelmäßige Berichterstattung über die Annahme des Systems der traditionellen Registrierung (TUR) in den Mitgliedstaaten. Eine ausführlichere Erhebung für 2010 wurde nun für 2011 aktualisiert und auf Zulassungen für pflanzliche Arzneimittel im Rahmen des Well-established use (WEU) ausgedehnt. Damit wurde die regulatorische Situation für pflanzliche Arzneimittel im Binnenmarkt sowie in den EWR-Staaten erstmalig komplett transparent. Ein Blick in die statistischen Übersichten offenbart, welche Länder hinsichtlich der Phytos in Europa die Nase vorn haben und welche Arzneipflanzen am häufigsten registriert oder zugelassen wurden.

Bei den Registrierungen für traditionelle Phytos ist seit 2009 ein rasanter Aufschwung zu beobachten, und zwar von 95 (2009) über 225 (2010) auf 375 (2011), während der Output bei den WEU-Zulassungen im selben Zeitraum erheblich konstant ist (jeweils 71 in 2009 und 2011 und 78 in 2010). Eine Übersicht über die Ergebnisse der Mitgliedstaaten mit den höchsten Zahlen an Registrierungen bzw. Zulassungen liefern die Tabellen 1 und 2.

Tab. 1: Überblick über den Stand der traditionellen Registrierung (TUR) in Europa seit Implementierung der Regelung (2004-2011)*

Land
Antrags- eingänge
In Bearbeitung
Erteilte
Registrierungen
Ver- sagungen
Rücknahmen durch Antragsteller
Gesamt
1790
852
751, davon
ca. 2/3 Monos
107
72
Deutschland
406
204
107
61
34
Polen
250
63
164
17
6
Großbritannien
235
85
150
0
0
Frankreich
159
154
0
0
5
Österreich
139
46
92
0
1
Spanien
104
56
46
1
1

Tab. 2: Überblick über den Stand der Zulassung pflanzlicher Arzneimittel auf Basis des Well-established use (WEU) in Europa zwischen 2004 und 2011*

Land
Antrags- eingänge
In Bearbeitung
Erteilte
Registrierungen
Ver- sagungen
Rücknahmen durch Antragsteller
Gesamt
870
333
423, davon über 80% Monos
27
77
Deutschland
327
106
185
7
29
Slowenien
48
13
33
0
2
Polen
48
34
11
0
3
Rumänien
43
31
12
0
0
Schweden
40
13
22
0
5
Frankreich
37
28
9
0
0
Österreich
34
3
31
0
0
Slowakei
34
12
22
0
0
* Top 8-Länder

Trendsetter und Phyto-Skeptiker

Dass Deutschland in der Statistik insgesamt an der Spitze steht, überrascht wohl kaum, denn der hiesige Markt ist seit jeher der größte für pflanzliche Arzneimittel in der EU. Auffällig ist jedoch, dass die Präparate in Deutschland gegenüber anderen Ländern wie etwa in Frankreich zu einem erheblich größeren Anteil im Rahmen des Well-established use zugelassen sind, das heißt als wissenschaftlich ausreichend gestützt anerkannt werden. In UK geht im Bereich Phyto alles ausschließlich über den Traditionsweg.

Am Ende der Skala mit weniger als fünf Antragseingängen auf traditionelle Registrierung stehen im Wesentlichen kleinere Länder wie etwa Malta und Zypern, aber auch Dänemark und Portugal. Im Bereich Zulassungen gehören neben den kleineren Ländern auch Irland, Italien und Großbritannien mit keiner einzigen erteilten Zulassung zu den Schlusslichtern. Unter dem Strich verdeutlichen die Statistiken recht klar, wo die Haupt-Phyto-Skeptiker in Europa anzutreffen sind und wo sich die lukrativsten Märkte herauskristallisieren.

Ranking der Arzneipflanzen

Unter den Arzneidrogen mit den meisten Registrierungen haben Hypericum und Pelargoniumwurzel mit jeweils 34 die Nase vorn, dicht gefolgt von Harpagophytum (31) und mit einigem Abstand Baldrian (21) sowie Rosskastaniensamen, Passiflora und Salbeiblättern (jeweils 15). Bei den Zulassungen sind es Ginkgoblätter (44), Efeublätter (33), Johanniskraut (26), Purpurfarbenes Sonnenhut-Kraut und Baldrian (jeweils 21).

Kombinationspräparate kommen bei den Registrierungen deutlich häufiger vor als bei den Zulassungen, und zwar meist mit zwei Kombi-Partnern (76/35), aber auch mit drei (62/17) bzw. mit vier (29/3) oder sogar mit fünf bis neun Wirkstoffen (51/20). Auch vier Multikomponentengemische mit mehr als 20 Wirkstoffen haben die Hürde der Tradi-Registrierung erfolgreich genommen. Phyto-Kombis sind demnach keineswegs "out".

Bezüglich der registrierten bzw. zugelassenen Indikationen gleichen sich die Bilder: Unter den Top-Five rangieren unisono Husten und Erkältung, Magen-Darm-Beschwerden, Stress und Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen und Störungen der Blasen- sowie gynäkologischer Funktionen.

Die EMA will bei den pflanzlichen Arzneimitteln auch in Zukunft "am Ball" bleiben.



DAZ 2012, Nr. 25, S. 29

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