Aus Kammern und Verbänden

"Traditionelles" Segment weitet sich aus

Neue regulatorische und wissenschaftliche Anforderungen an pflanzliche Arzneimittel waren Gegenstand eines Symposiums der Universität Bonn in Zusammenarbeit mit der Kooperation Phytopharmaka am 22./23. September 2005 in Bonn. Initiiert wurde die Veranstaltung vom Inhaber des Lehrstuhls Drug Regulatory Affairs Prof. Dr. Harald Schweim, dem die angemessene Beurteilung pflanzlicher Arzneimittel nach eigenem Bekunden bereits in seiner früheren Position als BfArM-Präsident sehr am Herzen lag. Nun bot er den rund 120 Teilnehmern aus Wissenschaft, Industrie und Verwaltungen die Möglichkeit zum konstruktiven Dialog.

BAH-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied der Kooperation Phytopharmaka Dr. Bernd Eberwein beleuchtete die Lage des europäischen Phytomarktes, an dem Deutschland derzeit einen Anteil von 40% hat. Er schätzt, dass rund die Hälfte dieses Marktes auf Phytopharmaka des "well-established use" (WEU) entfällt, das heißt, für diese Präparate liegen dokumentierte Erfahrungen sowie teilweise auch klinische Studien vor.

Eberwein richtete den Appell an die Industrie, sich in Zukunft auf mehr Mitbewerber auf dem heimischen Markt einzustellen und kritisch über die Positionierung ihrer Produkte nachzudenken. Sorge bereite ihm, dass durch eine mögliche Öffnung des Lebensmittelsektors für Arzneidrogen wirksame Phytopharmaka schleichend zu Lebensmitteln werden könnten. Er forderte vor diesem Hintergrund, gerade für Phytopharmaka des "traditional use" eine klare Abgrenzung zu Nahrungsergänzungsmitteln schaffen.

Abgrenzung von Scharlatanerie tut Not

Auch der Präsident der Gesellschaft für Phytotherapie Prof. Dr. Fritz Kemper hält eine klare Abgrenzung der Traditionellen Komplementären Alternativen Medizin (TCAM) von allerlei "Scharlatanerien" heute für umso wichtiger, als obskure Heilmethoden mehr und mehr weltweite Verbreitung finden und lange nicht alle Länder den Auswüchsen mit einer entsprechenden Gesetzgebung Einhalt gebieten.

Anhand weltweiter Zahlen zeigte Kemper auf, dass der Stellenwert der Pflanzenheilkunde unabhängig vom Kulturkreis nicht vom wirtschaftlichen Status eines Landes abhängt, er ist vielmehr überall gleich hoch angesiedelt. Auch auf den Rezeptblöcken deutscher Ärzte vielerlei Fachrichtungen hat die Phytotherapie nach wie vor ihren festen Platz, obwohl der Markt der rezeptfreien verordneten Phytopharmaka im letzten Jahr infolge des Ausschlusses der OTC-Arzneimittel von der GKV-Erstattung dramatisch zurückgegangen ist.

TCM in Deutschland längst etabliert

Was die traditionelle chinesische Medizin (TCM) anbelangt, so versuchte Prof. Dr. Rudolf Bauer, Universität Graz, mit dem Vorurteil aufzuräumen, es handle sich um eine von Laien betriebene Volksmedizin. Selbst in Deutschland ist die TCM nun bereits seit mehr als fünfzehn Jahren etabliert und wird unter anderem an der ersten deutschen TCM-Klinik in Kötzting wissenschaftlich betrieben. Bauer berichtete von einer Studie an 2800 Patienten mit chronischen, anderweitig austherapierten Erkrankungen zur Evaluierung des therapeutischen Nutzens der TCM. Bei 70% der Behandelten waren sowohl die Hauptbeschwerden als auch Nebendiagnosen bei der Entlassung leicht bis deutlich gebessert, ein Effekt, der auch nach Beendigung der Therapie zumeist längerfristig anhielt. So konnte die Zahl der Arbeitsunfähigkeitstage im Jahr nach der Entlassung halbiert werden.

TCM-Drogen nun auch ins Europäische Arzneibuch

Rund 300 TCM-Drogen sind derzeit in Europa auf dem Markt. An ihre Qualität sind grundsätzlich die üblichen europäischen Anforderungen zu stellen. Die Anforderungen des Arzneibuchs der Chinesischen Medizin reichen zur Beurteilung meist bei weitem nicht aus. Aus einer Umfrage hat sich eine Liste von 100 Drogen ergeben, die nun mit vermehrten Anstrengungen für das Europäische Arzneibuch monographiert werden sollen, um diesem Defizit abzuhelfen, was Bauer sehr begrüßt, denn in der Praxis lässt die Qualität der Drogen häufig noch zu wünschen übrig. Zu erhöhter Aufmerksamkeit rät Bauer im Übrigen bezüglich Wechselwirkungen zwischen TCM-Präparaten und chemisch definierten Wirkstoffen sowie bezüglich zweifelhafter Nahrungsergänzungsmittel in TCM-Aufmachung.

Vorsicht bei bezugnehmender Evidenz

Die stoffliche Qualität der deutschen Phytopharmaka bezeichnete Prof. Dr. Theodor Dingermann, Universität Frankfurt, demgegenüber überwiegend als "exzellent", er beklagte jedoch andererseits die großen Defizite beim Wirksamkeitsbeleg. Er warnte vor bezugnehmender Evidenz, weil diese aus seiner Sicht den tatsächlichen Evidenzgrad einzelner Phytopharmaka verfälscht. Auch sollten Qualitäts- und Analytikaspekte nicht als "Alibi" für Wirksamkeitsbelege dienen. Er forderte die Industrie auf, einzelne Extraktgruppen zu "verschlanken" und mit gemeinsamen Anstrengungen deren Wirksamkeit zu belegen.

Im Übrigen forderte Dingermann neben den Kategorien des traditional use und des WEU auch eine Kategorie "innovativer" Phytopharmaka mit möglichem Patentschutz aufgrund klinischer Studien.

Phyto-Ausschuss bei der EMEA

Universitätsdozent Dr. Heribert Pittner vom österreichischen Ministerium für Gesundheit in Wien berichtete über die Arbeit des Herbal Medicinal Products Committee (HMPC) bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMEA) in London unter dem Vorsitz von Dr. Konstantin Keller. Das HMPC ist bei traditionellen Arzneimitteln zuständig für die Überprüfung des Nachweises der langjährigen Anwendung sowie für die Erstellung der europäischen "Traditionsliste". Darüber hinaus soll der Ausschuss Monographien für Arzneidrogen erstellen und in Schiedsverfahren bei der gegenseitigen Anerkennung der nationalen Zulassung als "Schlichter" fungieren. Fünf Drogen-Monographien wurden bereits zur Stellungnahme verabschiedet. Insgesamt zeigte sich Pittner durchaus zufrieden mit dem Grad an Harmonisierung, den das HMPC über die Jahre hinweg erreicht hat.

Behörden, Wissenschaft und Hersteller an einem Tisch

Bei der Erstellung der Monographien gab es laut Pittners Darstellung unter den Experten aus den Mitgliedstaaten "große Diskussionen" über die angemessenen Anforderungen an den Wirksamkeitsbeleg. Hier zeichnen sich allerdings neue Entwicklungen ab. Am 19. September 2005 wurde eine Einigung über eine offizielle Zusammenarbeit zwischen der Behörde (HMPC), der Wissenschaft (ESCOP) und den Herstellern (AESGP) erzielt.

Hiernach soll auf der Basis der von der ESCOP zusammengestellten bibliographischen Daten nun sukzessive beraten und entschieden werden, welche Arzneidrogen und Indikationen für eine Ausweisung als "well-established use" in Frage kommen und welche als "traditional use", wobei - wie die Monographieentwürfe des HMPC für Baldrianwurzel und Leinsamen gezeigt haben - durchaus WEU-Indikationen und traditionelle Indikationen für ein und dieselbe Droge nebeneinander möglich sein können.

BfArM will die erste "Tradi-Registrierung" erteilen

Der neue Leiter der Abteilung "Zulassung 5, Besondere Therapierichtungen und Traditionelle Arzneimittel" des BfArM, Priv.-Doz. Dr. Werner Knöss, präsentierte und kommentierte das neue Registrierungsverfahren für traditionelle Arzneimittel. Nachdem Deutschland die Regelung als erster EU-Mitgliedstaat in die nationale Gesetzgebung implementiert hat, möchte das BfArM offenbar auch die erste Behörde sein, die eine solche Registrierung erteilt. Drei Anträge liegen dort laut Knöss' Auskunft bereits vor.

Zum einen eröffnet die Regelung mit der Eingangsvoraussetzung "30 Jahre medizinische Anwendung in der EU oder 15 Jahre plus 15 Jahre außerhalb der EU" neue Möglichkeiten, zum Beispiel für den Marktzugang von TCAM-Arzneimitteln; für die so genannten § 109a-Präparate, die hiernach nun erneut überprüft werden, ist die Latte damit aber merklich höher gelegt worden. So forderte Eberwein, dass für den Traditionsbeleg nicht zwangsläufig auf das konkrete Präparat abgestellt werden dürfe.

Knöss kündigte für die Zukunft Offenheit und Diskussionsbereitschaft mit den Antragstellern an. Auf der Website der Behörde sind bereits erste Hinweise zu dem neuen Registrierungsverfahren zu finden (www.bfarm.de).

 Helga Blasius, Bonn

Naturheilverfahren (NHV)*

Im engeren Sinne sind NHV wissenschaftlich anerkannte, allopathisch begründbare Prinzipien zur Verhütung oder Heilung von Krankheiten; sie unterstützen die Selbstheilungskräfte des Körpers, vor allem auch in der Rehabilitation chronischer Erkrankungen ("Klassische NHV").

Im weiteren Sinne werden auch Therapien zu den NHV gezählt, die in einer naturwissenschaftlichen Betrachtung keine befriedigende Erklärung finden "Komplementärmedizin".

Nicht ausreichend validiert sind

  • Anthroposophische Medizin
  • Aromatherapie
  • Ayurveda
  • Enzymtherapie
  • Homöopathie
  • Kampo-Medizin
  • Komplementäre Krebstherapie
  • Tibetische Medizin
  • TCM

* nach Fritz H. Kemper

"Die Entscheidung, dass Phytopharmaka in großem Umfang nicht mehr erstattet werden, muss dringend revidiert werden."
H. Schweim

 

"Es herrscht Aufbruchstimmung im Phytobereich, und ich bin jetzt wieder optimistischer, als ich es war."
R. Bauer

 

"Es kann aus unserer Sicht nicht darum gehen, dass wir jetzt mit Vorrang Monographien für chinesische Arzneidrogen erstellen." 
B. Eberwein

 

"Wenn die Phytos allesamt in den Nahrungsergänzungsbereich abwandern, das wäre schlechthin die Katastrophe." 
Th. Dingermann

 

"Ich bin der Meinung, dass in der Vergangenheit zu viel Geld in die In-vitro-Pharmakologie versenkt worden ist." 
Th. Dingermann

EMEA-Ausschüsse

CHMP = Committee for Human Medicinal Products (ehemals CPMP) HMPC = Herbal Medicinal Products Committee (ehemals HMPWP)

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.