Interpharm 2012

Vergleich oraler Antidiabetika

Welche Substanz für welchen Diabetiker?

Die Palette der heute verfügbaren oralen Antidiabetika ist breit. Doch welche Substanz ist für den jeweiligen Patienten am besten geeignet? Prof. Dr. med. Thomas Herdegen, Pharmakologe am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, gab in seinem Vortrag eine Einschätzung der Wirksamkeit und Verträglichkeit der auf dem Markt befindlichen Wirkstoffe und vermittelte Abgabehinweise für die Beratung in der Apotheke.
Prof. Dr. Thomas Herdegen: "Das Arsenal der oralen Antidiabetika kann gar nicht groß genug sein, denn kein Wirkstoff ist optimal." Foto: DAZ/Darren Jacklin

Was die Wirksamkeit eines oralen Antidiabetikums betrifft, so muss es sich daran messen lassen, wie es die Insulinwirkung unterstützt. "Überlastet und allein gelassen" hat das Pankreashormon bei Typ-2-Diabetikern mit vielen Problemen zu kämpfen: Ein zu hohes Kohlenhydrat-Angebot bei gleichzeitigem Bewegungsmangel, Betazell-Degeneration oder Insulinresistenz sind nur einige davon. Dazu kommt, dass für Diabetes-Patienten aufgrund von höherem Lebensalter oder 
Co-Morbiditäten nicht jede Substanz infrage kommt. Daher kann nach Herdegens Einschätzung das Arsenal der oralen Antidiabetika gar nicht groß genug sein. Doch letztendlich kann die Behandlung mit ihnen nur in Kombination mit einer Lebensstil-Änderung erfolgreich sein, das heißt: Die Patienten müssen ihre Ernährung umstellen und sich mehr bewegen. Blutzucker- bzw. HbA1c -Wert sind als alleinige Zielwerte einer Therapie problematisch, betonte Herdegen, denn Diabetes ist mehr als Hyperglykämie. Auch das Risiko von Hypoglykämien, das Gewicht des Patienten, seine Nierenfunktion und letztendlich die Tauglichkeit im höheren Lebensalter sind Kriterien, an denen sich ein orales Antidiabetikum messen lassen muss.

Sulfonylharnstoffe und Glinide

Substanzen dieser Wirkstoffgruppen, die auch als insulinotrope orale Antidiabetika bezeichnet werden, blockieren Kalium-Kanäle von B-Zellen und steigern dadurch die Insulinfreisetzung. Zurzeit sind die Sulfonylharnstoffe Glimepirid (z. B. Amaryl®), Glibenclamid (z. B. Euglucon®), Gliquidon (Glurenorm®) und Gliclazid (Diamicron® uno) und die Glinide Repaglinid (z. B. Novonorm®) und Nateglinid (Starlix®) zugelassen. Als Nebenwirkungen treten Gewichtszunahme, Hypoglykämien, allergische Reaktionen und frühe Sekundärresistenz auf. Diabetiker, die diese Substanzen einnehmen, sollten zur Vermeidung von Hypoglykämien zu regelmäßigem Essen ermuntert werden. Bei Niereninsuffizienz kommt es zur Akkumulation, daher muss bei diesen Patienten eine Dosisreduktion vorgenommen werden (siehe Tab.). Bei Neueinstellungen und Wirkstoffwechsel ist das Hypoglykämierisiko besonders hoch.

Keine Laktazidose-Angst bei Metformin!

Metformin (z. B. Glucophage®), einziger Vertreter der Biguanide, ist heute erste Wahl für eine Neueinstellung, da Gewichtszunahme und Hypoglykämien nicht auftreten. Gefürchtet ist dagegen die (seltene) Nebenwirkung Laktazidose, die bei hohen Konzentrationen von Metformin, beispielsweise durch Akkumulation bei diabetischer Niereninsuffizienz, auftreten kann. Ferner wird sie bei Krankheiten mit ischämischen Gewebeschäden (z. B. periphere arterielle Verschlusskrankheit, koronare Herzkrankheit, Myokardinfarkt, Malnutrition und Leberfunktionsstörungen) beobachtet. Bei Beachtung der Kontraindikationen ist jedoch das Risiko gering. Die 2. Tagesdosis sollte spätabends ("bed-formin") eingenommen werden. Die Nierenfunktion muss regelmäßig überprüft werden.

Inkretinmimetika und Gliptine

Inkretinmimetika – GLP-1-Rezeptoragonisten – (Exenatide: Byetta®, Bydureon®, Liraglutid: Victoza®) und Gliptine – DPP4-Hemmer – (Sitaglipin: z. B. Januvia®, Saxagliptin: Onglyza®, Vildagliptin: z. B. Galvus®) wirken nach einem "intelligenten Prinzip", so Herdegen. Inkretinmimetika ahmen die Wirkung des körpereigenen Verdauungshormons GLP-1 nach und wirken vor allem auf den postprandialen Blutzuckerspiegel. Darüber hinaus hemmen sie die Glucagon-Sekretion und die Gluconeogenese in der Leber und mindern den Appetit durch Hemmung der Magenentleerung. Gliptine können als Hemmer des GLP-1-abbauenden Enzyms DPP-4 die GLP-1-Spiegel um das Zwei- bis Vierfache erhöhen, wirken aber schwächer als Inkretinmimetika. Nebenwirkungen der Inkretinmimetika, jedoch nicht der Gliptine, sind vor allem Übelkeit und weitere gastrointestinale Symptome. Bei der Abgabe in der Apotheke sollte der Hinweis gegeben werden, Exenatide eine Stunde vor dem Essen einzunehmen, fetthaltige Stühle sind möglich. Vorteilhaft bei den Inkretinmimetika ist die Gewichtsabnahme, die bei den DPP4-Hemmern nicht zu beobachten ist.

Pioglitazon

In der Stoffgruppe der Glitazone ist derzeit nur Pioglitazon (z. B. in Actos®) verfügbar, das jedoch seit 1. April 2011 nur noch in Ausnahmefällen zulasten der GKV verordnet werden kann. Vorteile dieses Wirkstoffs sind vor allem das Hinauszögern des Sekundärversagens des Pankreas und eine gewisse Kardioprotektion. Paradoxerweise steigt unter Pioglitazon jedoch gleichzeitig das Risiko für eine Herzinsuffizienz, weil durch die Ödembildung unter der Therapie die Vorlast steigt. Bei ärztlicher Kontrolle von Gewicht und Vorlast sind jedoch in dieser Hinsicht keine Befürchtungen nötig.

Resorptionshemmer

Bei den Resorptionshemmern (Acarbose: z. B. Glucobay®, Miglitol: Diastabol®) führen die nicht resorbierten Kohlenhydrate zu gastrointestinalen Beschwerden wie Darmkrämpfen, Flatulenz oder Durchfall. Diese Nebenwirkungen lassen sich durch langsames Einschleichen deutlich vermindern.

Orale Antidiabetika bei Älteren

Orale Antidiabetika sind zwar nicht nephrotoxisch, doch wegen der nachlassenden Nierenfunktion im höheren Lebensalter, die auch durch den Diabetes (diabetische Nephropathie) selbst hervorgerufen wird, sind einige Wirkstoffe kontraindiziert bzw. müssen mit reduzierter Dosis eingesetzt werden. Bei eingeschränkter kognitiver Leistungsfähigkeit ist zu bedenken, dass diese Patienten bestimmte Warnsignale, z. B. eine drohende Hypoglykämie, nicht mehr rechtzeitig realisieren können. Außerdem sind ältere Diabetiker häufig multimorbid und nehmen weitere Medikamente ein, sodass Wechselwirkungen in Betracht gezogen werden müssen.


Orale antidiabetika – ihr potenzial und abgabehinweise [modif. nach T. Herdegen].

Wirkstoff hba1C- Senkung [%] hypo- glykämien Gewicht nierenfunktion Kreatinin-Cl [ml/min] abgabehinweise
Metformin 0,7 – 2,0 0 - 1 kg < 60 kontraindiziert „Bedformin“ um 22 Uhr, Einnah- me zum Essen wegen Übelkeit
Inkretin-M., 0,5 – 1,9 + - 3 kg Exenatid < 30, Liraglutid < 60 Exenatide 1 Stunde vor dem
        kontraindiziert Essen einnehmen
Gliptine 0,5 – 1,0 0 0 Dosisreduktion bei schwerer  
        Niereninsuffizienz  
Sulfonylharnstoffe, 0,7 – 1,5 +++ + 2,5 kg < 60 Dosisreduktion, Sulfonylharnstoffe: regelmäßig
        < 30 kontraindiziert essen wegen Hypoglykämierisiko
        < 5 Gliquidon  
Glinide 0,6 - 1,0 ++ + 1 kg eventuell Dosisreduktion bei  
        schwerer Niereninsuffizienz  
Pioglitazon 0,6 – 1,1 0 + 2,5 kg < 4 kontraindiziert Einnahme unabhängig vom Essen
Acarbose 0,5 – 0,8 0 0 < 25 kontraindiziert einschleichen, Flatulenz als NW

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