Interpharm 2012

Tumorpatienten das Leben unter Zytostatika erleichtern

Hilfe bei Hauterscheinungen, Alopezie, oraler Mukositis

Tumortherapien werden immer häufiger ambulant durchgeführt. Mit Nebenwirkungen von Zytostatika sind deshalb auch Apothekenmitarbeiter immer häufiger konfrontiert und müssen zur Aufklärung und Beratung beitragen. Im Mittelpunkt stehen schwere Hauterscheinungen, Alopezie oder orale Mukositis, manchmal auch kardiotoxische Effekte. Für den Patienten ist es oft schon beruhigend zu wissen, dass diese Begleiterscheinungen meist passager sind, betonte Prof. Dr. Ulrich Jaehde, Bonn. Und es gibt viele konkrete Empfehlungen, wie sie sich besser ertragen lassen.
Prof. Dr. Ulrich Jaehde: In der Apotheke über die Möglichkeiten einer präventiven Hautpflege zu informieren, fördert die Compliance und die Lebensqualität. Foto: DAZ/Darren Jacklin

Viele Zytostatika haben eine hohe Hauttoxizität. Sie können Pigmentierungsstörungen auslösen, wie etwa eine Hyperpigmentierung nach Hydroxycarbamid, aber auch Onycholysen wie Docetaxel. Gefürchtet ist auch das Hand-Fuß-Syndrom. Dabei handelt es sich um Rötungen und schmerzhafte Schwellungen an Händen und Füßen. Verhindern lassen sich diese Begleiterscheinungen nicht. Bis auf die Pigmentstörungen sind sie allerdings reversibel. Empfehlenswert ist laut Prof. Dr. Ulrich Jaehde, Bonn, zweimal tägliches Waschen, um die hohen Konzentrationen des Zytostatikums im Schweiß zu reduzieren. Gegen Nagelveränderungen können gezielt Kältehandschuhe eingesetzt werden. Gleichzeitig sollten die Patienten eine präventive Hautpflege betreiben, um die Beschwerden zu lindern. Hauterscheinungen können aber so schwer sein, dass sie eine Dosisreduktion notwendig machen.


Akneiforme Hauterscheinungen unter EGFR-Inhibitoren

Besonders ausgeprägt ist die Hauttoxizität bei den zielgerichteten Zytostatika, wie bei den EGFR-Inhibitoren Erlotinib oder Cetuximab, den Multikinaseinhibitoren Sorafenib oder Sunitinib oder auch den c-kit-Inibitoren wie Imatinib. Unter EGFR-Inhibitoren muss bei 80% der Patienten mit einer Hauterscheinung gerechnet werden. Häufig handelt es sich um eine akneiforme Hautveränderung. "Darauf sollte der Patient vorbereitet werden", so Jaehde. Die gute Nachricht: Die aktive Symptomatik lässt auch unter Therapie nach einigen Wochen nach. Allerdings kommt es dann zu späten Hauterscheinungen wie Juckreiz und Brennen, trockener Haut, Fissuren und Rhagaden an Fingern, Händen und Fußsohlen sowie Nagelbettveränderungen. Drei bis sechs Wochen nach der Therapie klingen diese Symptome ab. Zur Prävention akneiformer Hautveränderungen empfehlen die Leitlinien der MASCSS Skin Toxicity Group Minocyclin oder Doxycyclin (Cave: Phototoxizität) sowie, mit geringerer Evidenz, Hydrocortison-haltige Cremes. Die Therapie stützt sich auf stark wirksame Glucocorticoide, Clindamycin, Minocyclin und Doxycyclin sowie, in niedrigen Dosierungen, auch Isotretinoin.

"Die Nebenwirkungen einer Zytostatikatherapie beeinflussen sich gegenseitig. So kann beispielsweise eine Anorexie zu Müdigkeit führen. Verbessert man eine Stellgröße, hat dies auch einen günstigen Effekt auf andere negative Begleiterscheinungen."

Prof. Dr. Ulrich Jaehde

Aktiv angehen: phasenorientierte begleitende Hautpflege

Wichtig ist bei solchen Hauterscheinungen eine begleitende Hautpflege, die sich an den einzelnen Phasen der Erkrankung orientiert. In der Akutphase ist eine austrocknende Pflege indiziert, etwa mit Gelen, auch mit Erythromycin, oder Lotio alba aquosa. Kochsalz- und Schwarzteekompressen können lindern. In der Übergangsphase der Krustenbildung helfen Lotionen und Feuchtigkeitscremes. Während der xerotischen Phase mit trockener Haut sind dann rückfettende Cremes wie Ungt. Leniens, harnstoffhaltige Lipolotionen und pflegende Ölbäder die Therapie der Wahl. Für den Patienten, der während einer zielgerichteten Zytostatikatherapie unter Hauterscheinungen leidet, ist es sicher wichtig zu wissen, dass der Hautausschlag ein günstiger Prognoseparameter ist. Studien mit Erlotinib bei Patienten mit nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom zeigen, dass das Überleben umso besser ist, je ausgeprägter die Hauterscheinungen sind. Um sie erträglich zu machen, ist es entscheidend, nicht erst abzuwarten, sondern mit den zur Verfügung stehenden Optionen aktiv dagegen anzugehen.

Keine Hypothermie gegen Alopezie

Besonders gefürchtet wird vor allem von Frauen die Alopezie. Besonders stark ausgeprägt ist sie unter einer Behandlung mit Anthracyclinen, Cyclophosphamid, Etoposid, Taxanen oder Vincaalkaloiden. Sie ist in den meisten Fällen reversibel. In der Übergangszeit können Tücher oder auch eine Perücke Einsatz finden. Die Perücke, die von der GKV erstattet wird, sollte möglichst bereits bestellt werden, solange die Haare noch nicht ausgefallen sind. Eine Absage erteilte Jaehde der Hypothermie durch Kühlhauben. Der Nutzen sei nicht belegt, die klinischen Studien nicht überzeugend. Zudem bestehe das Risiko von Kopfmetastasen.

Praktische Tipps zur Vorbeugung von Hauterscheinungen


  • zur Reinigung der Haut nur Wasser und seifenfreie Lotionen verwenden

  • kein unnötiges Waschen, langes Duschen oder Baden, nur lauwarmes Wasser verwenden

  • hohe Raumtemperaturen meiden, bei trockener Haut Luftfeuchtigkeit erhöhen

  • ausreichender Lichtschutz, Vermeidung direkter Sonneneinstrahlung

  • leichte, luftdurchlässige und nicht einengende Kleidung

Sehr schmerzhaft: orale Mukositis

Besonders belastend für den Patienten ist unter einer Zytostatikatherapie auch die orale Mukositis. Sie ist sehr schmerzhaft, erschwert die Nahrungsaufnahme und geht mit einem erhöhten Infektionsrisiko einher. Und sie ist häufig, vor allem, wenn Therapiekonzepte kombiniert werden, erläuterte Jaehde. So liegt das Risiko einer Mukositis vom Grad 3/4 unter einer Kombination von Anthracycline und Cyclophosphamid bei 10%, unter Oxaliplatin plus Radiotherapie bei 31%. Empfehlungen zur Prävention und Therapie sind eher vage, da es kaum Studien gibt. Zur Prophylaxe zugelassen ist laut Jaehde nur ein Medikament, nämlich Palifermin, das bei Hochdosistherapie eine IA-Empfehlung hat. Ebenfalls mit IA bewertet wird Benzydamin bei der Radiotherapie von Kopf-Hals-Tumoren. Patienten, die eine Bolus-FU-Therapie erhalten, profitieren von einer "Kryotherapie", sprich: Sie sollten Eiswürfel lutschen. Jaehde plädierte zudem für ein Mundpflegeprogramm mit Patientenschulung. Mundspüllösungen, die empfohlen werden, sollten alkoholfrei sein. Günstig ist beispielsweise Salbeitee.

Der Kachexie vorbeugen

Entscheidend ist es, dem Patienten bei oraler Mukositis den Schmerz zu nehmen. Zur lokalen Analgesie können Lidocain-haltige Mundspüllösungen eingesetzt werden. Die systemische Schmerzbehandlung richtet sich nach dem WHO-Stufenplan.

Jaehde betonte die Relevanz der oralen Mukositis für den Ernährungszustand des Patienten. Bei Tumorpatienten bestehe ohnehin die Gefahr der Kachexie. Können sie nicht oder nur schwer essen, wird der Weg in die Unterernährung weiter gebahnt. Gewichtsverlust aber hat einen direkten ungünstigen Einfluss auf das mediane Überleben. "Kachexie ist eine der Haupttodesursachen bei Tumorpatienten", so Jaehde.

Hohe Kardiotoxizität der Anthracycline

Nicht vergessen werden darf die Kardiotoxizität von Zytostatika. Besonders ausgeprägt ist sie bei den Anthracyclinen, die als Frühform reversible Arrhythmien, als Spätform aber auch eine nicht reversible Kardiomyopathie induzieren können. Als präventive Maßnahmen nannte Jaehde

  • Indikation streng stellen

  • kumulative Schwellendosis nicht übersteigen

  • hohe Einzeldosen vermeiden

  • liposomale Zubereitungen einsetzen

  • Patienten engmaschig überwachen, vor allem bei kardialen Vorerkrankungen.


bf


Mechanismen der Krebsentstehung


Wann geraten Zellen außer Kontrolle und welche Eingriffsmöglichkeiten haben wir? Dr. Ilse Zündorf und Prof. Dr. Theodor Dingermann, Frankfurt, zeigten in ihrem Eröffnungsvortrag auf der Interpharm, was in unserem Körper passiert, wenn Wachstumskontrollmechanismen nicht mehr funktionieren. Doch die Zelle verfügt auch über Möglichkeiten, mithilfe von Tumor-Suppressorgenen Onkogene zu kontrollieren. Das Verständnis dieser Mechanismen hat inzwischen schon zu vielen neuen Therapieansätzen geführt, die die Autoren in einem Doppelvortrag vorstellten. Den vollständigen Beitrag können Sie nachlesen in der DAZ 2012 Nr. 10, S. 58 – 66.



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DAZ 2012, Nr. 12, S. 61

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