Onkologie

P. JungmayrPraxis der Chemotherapie – Nebenwir

Zu den häufigsten unerwünschten Wirkungen einer Chemotherapie gehören Emesis, Alopezie, Mukositis, Diarrhöen, dermatologische Veränderungen und Myelosuppression. Diese Nebenwirkungen betreffen rasch proliferierendes, normales Gewebe und treten in der Regel früh nach Therapiebeginn auf. Ausmaß und Häufigkeit hängen von der verwendeten Substanz, der Dosis und patientenindividuellen Faktoren ab. Des Weiteren können antineoplastische Substanzen Organe (z.B. Niere, Leber, Herz, Lunge) oder Nervengewebe schädigen und akute, subchronische und chronische Beschwerden hervorrufen. Durch entsprechende Supportivmaßnahmen können die für den Patienten äußerst belastenden Nebenwirkungen teilweise vermieden oder zumindest abgeschwächt werden.

Emesis – Prophylaxe kommt vor Therapie

Übelkeit und Erbrechen gehören zu den unangenehmsten Nebenwirkungen einer Chemotherapie. Die Emesis kann so ausgeprägt sein, dass der Patient bei nicht adäquater Co-Medikation die Chemotherapie ablehnt und sich damit unter Umständen seine Heilungschancen verschlechtern.

Nicht jedes Zytostatikum verursacht automatisch Übelkeit; das stärkste emetogene Potenzial besitzt Cisplatin (Erbrechen bei fast allen Patienten), gefolgt von z.B. Anthracyclinen, Carboplatin und Cyclophosphamid (30 – 70%) und den Taxanen (10 – 30%). Vinca-Alkaloide und Bleomycin führen in weniger als 10% zu Erbrechen.

Neben der Art des Zytostatikums bestimmen auch individuelle Risikofaktoren (junge Patienten, weibliches Geschlecht, geringer Alkoholkonsum in der Vergangenheit, zirkadiane Einflüsse, Anfälligkeit für Reiseübelkeit, ängstlich-depressives Verhalten, schlechte Erfahrungen in vorangegangenen Therapien) das Ausmaß der Emesis.

Beim zytostatikainduzierten Erbrechen unterscheidet man

  • die akute Emesis, die unmittelbar nach oder während der Therapie eintritt,
  • die verzögerte Emesis, die mindesten 24 Stunden nach der Behandlung einsetzt, und
  • das antizipatorische Erbrechen.

Letzteres beginnt bereits vor der Therapie und tritt bevorzugt auf, wenn vorausgegangene Chemotherapiezyklen mit Übelkeit und Erbrechen begleitet waren. Man vermutet, dass das antizipatorische Erbrechen durch eine klassische Konditionierung hervorgerufen wird. Neben verhaltenstherapeutischen Maßnahmen wird die Gabe von Benzodiazepinen wie z.B. Lorazepam empfohlen.

Kastentext: Mögliche Nebenwirkungen einer Zytostatikatherapie

  • Dosisabhängige Toxizität auf rasch proliferierendes Gewebe – gastrointestinale Toxizität (Mukositis, Emesis, Diarrhö) – Myelosuppression (Leukozytopenie, Thrombozytopenie, Anämie) – Hauttoxizität (Alopezie, Hand-Fuß-Syndrom, Pigmentstörungen)
  • Extra- und Paravasation
  • Überempfindlichkeitsreaktionen
  • Dosis- und wirkstoffabhängige Organtoxizität – Nephro- und Urotoxizität – Hepatotoxizität – Kardiotoxizität – Lungentoxizität – Neurotoxizität
  • Spätfolgen einer Chemotherapie – Infertilität – Teratogenität – Sekundärmalignome

Wichtigste Substanzklasse: 5-HT3-Antagonisten

Die Einführung von 5-HT3-Antagonisten bedeutet einen großen Fortschritt in der Therapie des zytostatikainduzierten Erbrechens. Dank einer Kombination aus Serotoninantagonisten und einem Corticosteroid können nun auch Therapien mit hochemetogenem Potenzial durchgeführt werden. Die Emesis kann zwar nicht in allen Fällen unterdrückt, aber immerhin abgeschwächt werden. Zur Zeit sind in Deutschland vier 5-HT3-Antagonisten im Handel:

  • Ondansetron (Zofran®),
  • Dolasetron (Anemet®),
  • Granisetron (Kevatril®) und
  • Tropisetron (Navoban®).

Sie unterscheiden sich in der Dosierung, ihrer Dissoziationskonstante, der Clearance, der Halbwertszeit und der Metabolisierung, sind aber in vergleichbarer Dosierung gleich gut wirksam. Ihre Wirksamkeit kann durch Dexamethason gesteigert werden, sodass bei hoch emetogenen Zytostatika immer ein Serotoninantagonist und Dexamethason gegeben werden sollten.

Das verzögerte Erbrechen kann nicht immer zufriedenstellend therapiert werden. Bei der Pathophysiologie dieser Art von Emesis scheint Serotonin keine oder zumindest keine zentrale Rolle zu spielen, und demzufolge sind hier 5-HT3-Antagonisten nicht so erfolgreich wie beim akuten Erbrechen. Das Auftreten einer verzögerten Emesis korreliert mit dem Therapieerfolg bei der akuten Emesis.

Das bedeutet, dass derjenige Patient, dessen akute Emesis prophylaktisch lege artis behandelt wurde, deutlich seltener unter verzögertem Erbrechen leidet als ein Patient, der keine Prophylaxe erhalten hatte. Daraus ergibt sich die Forderung nach einer vorbeugenden antiemetischen Therapie beim Einsatz potenziell emetogener Zytostatika (Tab. 1).

Haarverlust – sichtbares Zeichen der Erkrankung

Der Haarausfall ist eine häufige und von dem Patienten gefürchtete Nebenwirkungen der Chemo- und Strahlentherapie. Für viele Betroffene ist der Haarverlust nur schwer zu ertragen, da er mit einem Verlust der Identität und mit dem Sichtbarwerden seiner Erkrankung einhergeht. Nicht jedes Zytostatikum führt indes zum Haarausfall, und eine chemotherapieinduzierte Alopezie ist immer reversibel. Der Haarausfall beginnt in der Regel ein bis zwei Wochen nach der Therapieeinleitung; die Regeneration setzt ein bis zwei Monate nach Beendigung der Behandlung ein.

Zur Prävention der Alopezie werden verschiedene Maßnahmen wie z.B. der Einsatz einer Kältehaube propagiert, um eine temporäre Vasokonstriktion der Kopfhaut zu erzielen. Durch die künstlich induzierte Hypoämie wird die Zytostatikakonzentration im Kopfhautbereich vermindert; bei Leukämien und Erkrankungen, die mit Knochenhautmetastasierung einhergehen können, ist ein solches Vorgehen kontraindiziert. Obwohl der Haarverlust für den Einzelnen belastend ist, sollten bei kurativen Therapieansätzen reversible Nebenwirkungen wie die Alopezie die Therapieentscheidung nicht beeinflussen.

Kastentext: Psychische Bedeutung des Haarverlustes

  • Stigmatisierung
  • Erkennbares Zeichen der Vanitas
  • Verlust der Identität
  • Beeinträchtigung des Körpergefühls
  • Offene Interaktion mit der Umwelt

Mukositis – Essen wird zur Qual

Wie alle wachstumsaktiven Gewebe mit hoher Proliferationsrate werden auch die Schleimhautzellen im Kopf-Hals-Bereich durch antineoplastische Substanzen geschädigt. Das Ausmaß der Schädigung hängt von der Art und Dosis des eingesetzten Zytostatikums ab. Die Mukositis gehört zu den gravierenden Nebenwirkungen einer Chemotherapie und geht mit Geschmacksstörungen, Inappetenz, signifikantem Gewichtsverlust, Dysphagie und teilweise opiatpflichtigem Schmerz und Sekundärinfektionen einher.

Eine kausale Therapie der Mukositis ist bis heute noch nicht möglich; zur Symptomlinderung werden – häufig aufgrund empirischer Basis – eine Reihe von Substanzen eingesetzt. Dazu gehören unter anderem Pilocarpinlösungen (fördern den Speichelfluss), Betacarotin, Allopurinollösungen, Zytokine und Wachstumsfaktoren, Sucralfat oder Pentoxifyllin sowie antimikrobiell wirksame Substanzen wie Chlorhexidin, Nystatin, Benzydamin, Silbernitrat oder Amphotericin.

Große Bedeutung hat die Prävention einer Mukositis. Dazu gehört eine Zahnsanierung vor der Chemotherapie, regelmäßiges und häufiges Spülen sowie die Kryotherapie (z.B. das Lutschen von Eiswürfeln vor einer 5-Fluorouracil-Gabe).

Kastentext: Diätetische Maßnahmen bei einer Mukositis

  • Gut gekochte, weiche, klein geschnittene Nahrungsmittel verwenden
  • Nahrung mit Flüssigkeit benetzen
  • Füssigkeiten mit Strohhalm trinken
  • Evtl. Einsatz enteraler Zusatznahrungen
  • Pürierte Speisen, Pudding, Eis etc. bevorzugen
  • Nur weiche Früchte mit niederem Säuregehalt (z.B. Bananen, Melonen), keine Zitrusfrüchte essen
  • Keine groben und trockenen Nahrungsmittel z.B. Rohkost, Biskuit) verwenden
  • Heiße, stark gewürzte Speisen, Alkohol und Zigaretten meiden

Chemotherapie-induzierte Diarrhöen – Sonderfall Irinotecan

Diarrhöen treten in der Onkologie meist als Folge einer Chemotherapie oder bei abdomineller Bestrahlung auf. Durch die Schädigung der physiologischen Darmschleimhautfunktion ist die Rückresorption von Flüssigkeit und Elektrolyten beeinträchtigt, was zu Durchfällen führt. Die Therapie richtet sich nach der Symptomatik, gegebenenfalls ist auch eine differenzialdiagnostische Abklärung erforderlich. Zur Anwendung kommt in erster Linie Loperamid, eventuell auch Opiumtinktur. Bei Nichtansprechen bzw. opioidrefraktärer Diarrhö wird das Somatostatinanalogon Octreotid (Sandostatin®) eingesetzt.

Unter einer Behandlung mit Irinotecan (Campto®) können unterschiedliche Arten von Diarrhö auftreten: Am ersten Behandlungstag, teilweise bereits während der Infusion, kommt es zu akuten, krampfartigen Durchfällen, begleitet von Schweißausbrüchen. Diese akute Diarrhö spricht gut auf Atropin an und ist spontan reversibel.

Nach einer Latenzzeit von mehreren Tagen kann eine sekretorische Diarrhö auftreten, die mit Loperamid behandelt wird. Tritt Fieber auf, ist an eine Antibiose zu denken; schwere Dehydratationen erfordern eine Hospitalisierung des Patienten.

Myelosuppression – Einsatz von Wachstumsfaktoren

Fast alle Zytostatika schädigen das Knochenmark. In vielen Fällen führt eine wiederholte Chemotherapie zu einer kumulativen Knochenmarkschädigung, d.h. einer Schädigung hämatopoetischer Stammzellen. Die Myelosuppression äußert sich unter anderem in Neutropenie und erhöhter Infektanfälligkeit.

Eine akute Myelosuppression kann durch die Gabe hämatopoetischer Wachstumsfaktoren verkürzt und gemildert werden; d.h., mit Hilfe dieser Wachstumsfaktoren kann die Produktion von Erythrozyten, Neutrophilen, Eosinophilen, Monozyten und Thrombozyten beeinflusst bzw. beschleunigt werden. Daraus ergeben sich für hämatopoetische Wachstumsfaktoren interessante Anwendungsgebiete: Zum einen kann eine chemotherapieinduzierte Neutropenie behoben und zum zweiten die Möglichkeit einer intensivierten Chemotherapie geschaffen werden.

Bei der Intensivierung einer Chemotherapie spielen die Wachstumsfaktoren G-CSF und GM-CSF eine Rolle. Beide sind eigentlich zur Behandlung der chemotherapieinduzierten Neutropenie zugelassen, werden aber auch im Rahmen einer peripheren Stammzelltherapie und bei weiteren intensivierten Therapien eingesetzt.

Indikationen für Hämatopoetine

Zur Zeit stehen folgende Hämatopoetine (hämatopoetische Wachstumsfaktoren) zur Verfügung:

  • Granulozyten-Kolonie-stimulierender Faktor (G-CSF): Filgrastim (Neupogen®) und Lenograstim (Granocyten®).
  • Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor (GM-CSF): Molgramostim (Leucomax®).
  • Interleukin 11: Oprelvekin (Neumega®) wird bereits zur Therapie einer Thrombozytopenie eingesetzt; sein Stellenwert wird unterschiedlich beurteilt.
  • Erythropoietin: Epoetin (EPO).

G-CSF und GM-CSF wirken über Zytokinrezeptoren auf blutbildende Vorläuferzellen sowie auf ausgereifte neutrophile Granulozyten, Monozyten und Makrophagen. Sie stimulieren die Proliferation und Differenzierung der Vorläuferzellen im Knochenmark und verkürzen deren Reifungszeit.

Für G-CSF und CM-CSF ergeben sich folgende Anwendungsgebiete:

  • bestehende Neutropenie
  • extensive chemotherapeutische Vorbehandlung
  • Bestrahlung, insbesondere Becken und Röhrenknochen
  • neutropenisches Fieber während der Vorbehandlung
  • schlechter Allgemeinzustand mit reduzierter Immunabwehr
  • bestehende Infektionen oder offene Wunden
  • geplante Chemotherapie mit hohem Neutropenierisiko
  • periphere Blutstammzellseparation
  • Hochdosistherapie.

Anämie – Einsatz von Epoetin

Die Anämie und das häufig damit verbundene Fatigue-Syndrom sind für die Patienten sehr belastend. Sie leiden unter Appetitlosigkeit, Schwäche, Ermüdung, Lethargie, Konzentrationsschwächen, Schwindel, Antriebslosigkeit und depressiven Zuständen. Die Ursache für eine Tumoranämie ist nicht immer genau feststellbar; sie kann therapie- und/oder tumorbedingt sein.

Kommen für die Anämie keine anderen Ursachen wie z.B. Blutungen, Eisenmangel, Malnutrition etc. in Frage, kann die Gabe von Epoetin erwogen werden. Es ist ebenfalls ein hämatopoetischer Wachstumsfaktor, der in der Niere gebildet wird und auf humoralem Weg die Erythropoese anregt.

Kastentext: Blutbildung und Wachstumsfaktoren

Die Blutzellen stammen von den pluripotenten hämatopoetischen Stammzellen im Knochenmark ab. Über verschiedene Differenzierungsstufen entstehen vielfältige Zellarten wie Erythrozyten, Thrombozyten, Granulozyten, Monozyten, natürliche Killerzellen, T- und B-Lymphozyten und Plasmazellen. Die Bildung sämtlicher Blutzellen wird über verschiedene hämatopoetische Wachstumsfaktoren reguliert.

Die unterschiedlichen Wachstumsfaktoren steigern die Proliferation der Hämatopoese und in vielen Fällen auch die Funktion der reifen Endzellen. Viele dieser Faktoren sind biologisch untersucht und können gentechnologisch hergestellt werden. Derzeit sind G-CST, GM-CSF und Epoetin verfügbar und für die Behandlung zugelassen. Weitere Wachstumsfaktoren wie der Stammzellfaktor (SCF) und bestimmte Interleukine werden klinisch geprüft (nach [3]).

Organtoxizität – Gefährdung von Lunge, Herz und Leber

Chemotherapeutika können praktisch alle Organe schädigen. In welchem Ausmaß dies geschieht, hängt von der Art des Zytostatikums, seiner Dosierung, seiner Applikationshäufigkeit, der Krankengeschichte des Patienten und individuellen Faktoren ab. Einige Zytostatika schädigen relativ selektiv bestimmte Organe:

  • Bleomycin verfügt über eine hohe pulmonale Toxizität und kann eine Pneumonitis mit nachfolgendem Übergang zur Fibrose verursachen.
  • Anthracycline und verwandte Substanzen können den Herzmuskel schädigen und dürfen aus diesem Grund nur bis zu einer bestimmten kumulativen Maximaldosis gegeben werden. Da sie in vielen Therapieschemata auftauchen und häufig eingesetzt werden, sind eine sorgfältige Überwachung der Patienten und im Bedarfsfall ein Ausweichen auf eine andere Substanz erforderlich.
  • Der erst seit kurzer Zeit eingesetzte monoklonale Antikörper Trastuzumab (Herceptin®) kann möglicherweise auch kardiotoxische Nebenwirkungen entfalten, Ausmaß und Häufigkeit können noch nicht definitiv beurteilt werden.
  • Ferner gilt 5-Fluorouracil als potenziell kardiotoxische Substanz, deren Einsatz zumindest eine umsichtige Anamnese erfordert.

Leberschäden durch Zytostatika sind eher gering. Einige antineoplastische Substanzen führen zu einer passageren Erhöhung der Transaminasen, und unter einer langfristigen Methotrexattherapie kann sich eine Leberzirrhose entwickeln. Gefürchtet ist eine venöse Verschlusskrankheit der Leber (VOD; veno-occlusive disease), die durch hochdosierte Alkylanzien hervorgerufen werden kann.

Neurotoxizität – besonders häufig bei Vinca-Alkaloiden

Zytostatika können akute oder chronische neurologische Symptome auslösen. Wird eine Chemotherapie in kurativer Absicht durchgeführt, ist stets die potenzielle Neurotoxizität zu berücksichtigen, da diesbezügliche Nebenwirkungen die künftige Lebensqualität bestimmen.

Besonders häufig treten nach einer Therapie mit Vinca-Alkaloiden periphere Polyneuropathien auf. Neurotoxisch ist vor allem Vincristin, gefolgt von Vindesin und Vinblastin. Die Neurotoxizität kann sich in peripheren Neuropathien, Parästhesien, Hyperästhesien, autonomen Neuropathien, Enzephalopathien und weiteren Symptomen äußern. Auch Cisplatin, Methotrexat, 5-Fluorouracil und weitere antineoplastische Substanzen besitzen neurotoxische Eigenschaften.

Nierentoxizität – teilweise Prophylaxe möglich

Nierenschäden unter einer Chemotherapie können substanzbedingt sein oder aufgrund einer Uratnephropathie (Harnsäurenephropathie) entstehen. Darunter versteht man ein akutes Nierenversagen durch vermehrten Anfall von Harnsäure auf Grund eines therapiebedingten Tumorzerfalls (rapid-tumor-lysis-syndrome). Wird ein Tumor mit hohen Zellzahlen therapiert, wird deshalb Allopurinol gegeben und auf eine ausreichende Hydratisierung geachtet.

Ein neues Medikament zur Therapie des Tumorlyse-Syndroms ist Rasburicase (Fasturtec®), das den Abbau der Harnsäure zum gut löslichen und damit leicht ausscheidbaren Allantoin bewirkt.

Substanzbedingte Nierenschäden treten vor allem bei Cisplatin und Methotrexat auf. Cisplatin beeinträchtigt die glomeruläre Filtration und kann zu akutem Nierenversagen führen. Wichtige Surrogatmarker sind daher das Plasmakreatinin und die endogene Kreatininclearance. Nach hochdosierter Methotrexatgabe können Methotrexatkristalle ausfallen und die Tubuli verstopfen. Daher muss vor der Therapie der Harn alkalisiert und für ausreichende Hydratation gesorgt werden.

Kastentext: Blasentoxizität – Prävention mit Mesna

Die Oxazaphosphorine Cyclophosphamid und Ifosfamid können eine hämorrhagische Zystitis induzieren, die ihrerseits zu sekundären Blasenkarzinomen führen kann. Verantwortlich hierfür ist der Metabolit Acrolein. Dieser kann mit Mesna (Natrium-2-Mercaptoethylsulfonat; Uromitexan®) abgefangen werden. Nach einer renalen Reduktion des Dimesna zu Mesna entstehen freie SH-Gruppen.

Die Sulfhydrylgruppen des Mesna binden Acrolein zu einem nichttoxischen Thioether. In einem zweiten Reaktionsschritt bildet sich ein temporär stabiles, nicht blasentoxisches Kondensationsprodukt aus dem 4-Hydroxymetaboliten des jeweiligen Oxazaphosphorins und Mesna. Durch diese Stabilisierung verhindert Mesna den Zerfall des 4-Hydroxymetaboliten und damit die weitere Bildung von Acrolein. Mesna kann oral oder i.v. gegeben werden; seine Applikation folgt nach unterschiedlichen Therapieschemata.

Wie wird ein Zytostatikum dosiert?

Die Dosierung eines Zytostatikums richtet sich nach dem Krankheitsbild, dem Therapieziel, dem Behandlungsschema und dem aktuellen Zustand des Patienten, wobei folgende Parameter zu berücksichtigen sind:

  • hämatologischer Zustand,
  • Leberfunktion,
  • Nierenfunktion,
  • Allgemeinzustand,
  • zu erwartende Toxizität (z.B. Neurotoxizität, Kardiotoxizität).

Die Wirkstoffmenge eines parenteralen Zytostatikums wird für jeden einzelnen Patienten individuell errechnet. Die Totaldosis wird standardmäßig aus einer im Chemotherapieprotokoll festgelegten Basisdosierung in Milligramm bzw. Gramm pro Quadratmeter Körperoberfläche (KOF) berechnet. Die KOF wird nach der empirischen Formel von Du Bois & Du Bois ermittelt oder aus Normogrammen entnommen.

Bei wenigen Ausnahmen wird die Zytostatikadosis nicht nach KOF ermittelt: Trastuzumab wird nach mg/kg Körpergewicht und Carboplatin nach AUC berechnet (AUC = area under the curve; Fläche unter der Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve, ein pharmakologischer Parameter, der ein Maß für die gesamte Wirkstoffkonzentration im Plasma über einen Zeitraum darstellt).

Die Dosierung nach AUC resultiert daraus, dass bei Carboplatin ein Zusammenhang zwischen Nierenfunktion und Toxizität (Thrombozytopenie) besteht. Eine von Calvert entwickelte Formel erlaubt anhand der glomerulären Filtrationsrate die Berechnung der Dosis, die für das Erreichen der angestrebten AUC erforderlich ist.

Kastentext: Formeln zur Dosierung

Formel nach Du Bois & Du Bois KOF [m²] = Gewicht 0,425 [kg] x Größe 0,725 [cm] x 0,007184 [m²/kg x cm]

Formel nach Calvert Dosis (mg) = Ziel-AUC (mg/ml x min) x [GFR(ml/min) + 25] AUC = Fläche unter Plasmakonzentrations-Zeit-Kurve GFR = glomeruläre Filtrationsrate GRF + 25 = Näherungswert der Carboplatin-Clearance

Wie wird der Therapieerfolg beurteilt?

Nach Beendigung der Therapie erfolgt eine Kontrolle der Tumorausdehnung mit jenen Untersuchungsmethoden, mit denen vor der Behandlung der Tumor nachgewiesen wurde. Bei messbaren Tumoren ergeben sich dann folgende Kriterien:

  • Komplette Remission (CR): Verschwinden aller nachweisbaren Tumorparameter, dokumentiert durch zwei Kontrolluntersuchungen, die mindestens vier Wochen auseinanderliegen.
  • No evidence of disease (NED): Tumorfreiheit durch zusätzliche Chirurgie nach der Chemotherapie.
  • Partielle Remission (PR): Rückgang der Tumorausdehnung um mindesten 50% über eine Dauer von mindestens vier Wochen.
  • No change (NC): Keine signifikante Änderung der Tumorausdehnung über mindestens vier Wochen, d.h. keine messbare Größenänderung, Abnahme um weniger als 50% oder Zunahme um weniger als 25%.
  • Progress (progressive disease; PD): Erscheinen neuer Tumormanifestationen oder Zunahme bestehender Läsionen um mehr als 25%.

Die Remission bei nicht messbaren Tumoren und Skelettmetastasen wird ebenfalls unter Zuhilfenahme spezieller Kriterien nach diesen Stadien beurteilt.

Kastentext: Parameter zur Bewertung eines Therapieerfolges

  • Tumorregression im Vergleich zur Ausgangsgröße (Remissionsgrad)
  • Remissionsdauer
  • Überlebenszeit
  • Toxizität der Therapie
  • Rückgang tumorbedingter subjektiver Symptome
  • Veränderung des Allgemeinbefindens (Lebensqualität)

Dauer des Therapieerfolgs

Entscheidend für einen Therapieerfolg ist seine Dauer. Auch hier bedient man sich bestimmter Definitionen:

  • Remissionsdauer. Die Dauer einer Remission wird vom Tag des Nachweises der CR bis zum Nachweis eines Rezidivs angegeben. Die mittlere Remissionsdauer einer Patientenpopulation wird als rezidivfreies Überleben bezeichnet.
  • Krankheitsfreies Überleben. Ist meist ähnlich definiert wie das rezidivfreie Überleben, mit dem Unterschied, dass das krankheitsfreie Überleben auf alle Patienten bezogen wird (also auch auf die, die keine Remission erreichen).
  • Progressfreies Überleben (progression-free interval; time to progression). Bezeichnet das Zeitintervall vom Therapiebeginn bis zum Nachweis einer Progression.
  • Gesamtüberleben (aller Patienten). Therapiebeginn bis zum Tod (unabhängig von dessen Ursache).

Psychosoziale Aspekte der Kinderonkologie

Da eine Tumorerkrankung und deren Therapie nicht nur medizinische, sondern auch seelische, psychosoziale, familiäre und finanzielle Folgen haben kann, sollten bei der Betreuung alle Aspekte der Krankheit berücksichtigt werden. Dies zeigt sich besonders deutlich in der Kinderonkologie, in der eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Eltern, Patient, Pharmazeut, Pädagoge, Familienangehörigen, Pflegern, Reha-Einrichtungen, Seelsorge etc. erforderlich ist.

Koordiniert wird das gemeinsame Vorgehen durch den psychosozialen Dienst, der als Vermittler und Koordinator der verschiedenen Ansprechpartner arbeitet. Schwerpunkte der psychosozialen Arbeit sind die Integration der Familie in die Therapie (Geschwisterbetreuung), Zusammenarbeit mit dem pflegenden und medizinischen Personal und das Aufrechterhalten sozialer Kontakte (Lehrer, Mitschüler).

Offener Umgang

Ein weiterer Schwerpunkt der psychosozialen Arbeit ist der Aufbau und die Pflege einer kontinuierlichen Beziehung zu Patient und Angehörigen, die während der ganzen Therapie und Nachsorge bestehen bleibt. Diese Beziehung beginnt bereits beim Erstgespräch und entwickelt sich im Lauf der Behandlung. Bei den Mitarbeitern des psychosozialen Dienstes finden Angehörige und Patienten Gesprächspartner, die über eine genügend große Distanz verfügen und nicht direkt in dem Krankheitsgeschehnis involviert sind, also auch objektive Ratschläge erteilen können.

Voraussetzung hierfür ist der offene Umgang miteinander und ein gleicher Wissensstand von Arzt, Eltern, Patient und Betreuer. Auch der kindliche bzw. jugendliche Patient will alters- und situationsentsprechend über seine Krankheit aufgeklärt sein. Durch diese Offenheit wird die Grundlage für das notwendige Vertrauen und für die Krankheitsbewältigung geschaffen. Kastentext: Aufklärung aus der Sicht des Kindes

  • Ich kann euch nur vertrauen, wenn ich sicher bin, dass ihr mir nicht nur die guten, sondern auch die schlechten Nachrichten bringt – auch wenn es euch schwer fällt.
  • Ich will alles über meine Krankheit und auch über die Therapieerfolge wissen, aber ich will nicht ständig darüber reden.
  • Nicht nur die Infusionsflaschen mit der Chemo brauchen Zeit. Ich brauche auch eure Zeit, um verstehen zu können, was mit mir passiert.
  • Ihr sagt, keiner ist schuld an meiner Krankheit. Aber ich frage mich trotzdem, ob ich etwas falsch gemacht habe.

zusammengestellt vom psychosozialen Dienst der Universität Tübingen; pädiatrische Onkologie

Kastentext: Therapie- und Krankheitsbewältigung aus Sicht des Kindes

  • Warum können so viele Menschen nicht verstehen, dass es einem auch gut gehen kann, obwohl man Krebs hat?
  • Genauso wie ihr brauche auch ich ein Stück normales Leben zwischen den Therapieblöcken.
  • Auch Eltern mit einem krebskranken Kind dürfen ausgehen und lachen.
  • Ich brauche meine Geschwister in der Klinik.
  • Ihr denkt, ihr könnt mir nicht helfen, und das ist schlimm für euch. Aber ihr helft mir dadurch, dass ihr da seid.

zusammengestellt vom psychosozialen Dienst der Universität Tübingen; pädiatrische Onkologie

Kastentext: Seminar 3, Teil 2 "Onkologisch-pharmazeutische Praxis"

Dieser Beitrag fasst den Stoff zusammen, der im Seminar 3, Teil 2 der zertifizierten Fortbildung "Onkologische Pharmazie" gelehrt wird. Zu Teil 1 siehe DAZ 7, S. 55 – 64.

Quellen und Literatur

[1] Vorträge von Jürgen Barth (Apotheke des Universitätsklinikums Essen), Dr. Hans-Peter Lipp und Beate Bredel (beide Apotheke des Universitätsklinikums Tübingen), Sigrid Kochendörfer und Sabine Eulerich-Gyamerah (beide psychosozialer Dienst der pädiatrischen Onkologie, Universitätsklinik Tübingen) bei der Zertifikatsfortbildung Onkologische Pharmazie am 28. 9. und 30. 11. 2001 in Stuttgart. [2] Berger, D.P., Engelhardt R., Mertelsmann R. (Hrsg.): Das rote Buch. Hämatologische und internistische Onkologie. Verlag ecomed, Landsberg 1998. [3] Schmoll, H.-J., Höffken, K., Possinger, K. (Hrsg.): Kompendium Internistische Onkologie. 3 Bde., 3. Aufl., Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg/New York 1999. [4] Barth, J.: Zytostatikaherstellung in der Apotheke. Deutscher Apotheker Verlag, Stuttgart 2000.

Chemotherapeutika zur Behandlung von Krebserkrankungen haben häufig gravierende unerwünschte Wirkungen, insbesondere Emesis, Alopezie, Mukositis, Diarrhöen, Veränderungen der Haut und Knochenmarkschädigungen. Durch entsprechende Supportivmaßnahmen wie die Gabe geeigneter Medikamente können diese Nebenwirkungen teilweise vermieden oder zumindest abgeschwächt werden.

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