Selbstmedikation

Sägepalmenfrüchte-Extrakte nicht wirksamer als Placebo?

Extrakte aus Sägepalmenfrüchten (Sabal serrulata) sollen bei benigner Prostatahyperplasie (BPH) die Symptomatik wie Mik tions beschwerden und nächtliches Wasserlassen lindern. Doch schon eine 2006 veröffentlichte Studie mit zweimal täglich 160 mg Extrakt hatte keinen signifikanten Einfluss auf Nykt urie, maximalen Harnfluss und weitere Symptome nachweisen können [1]. Nun hat eine weitere im JAMA veröffentlichte randomisierte Studie gezeigt, dass auch bei steigender Dosierung bis zu Tagesdosierungen von 960 mg kein über Placebo hinausgehender Effekt zu erwarten ist [2].
Foto: Dr. Willmar Schwabe Arzneimittel
Eine Frage des Extraktes und der Kombination? Sägepalmenfrüchte-Extrakte sollen zur Linderung von BPH-Beschwerden nicht wirksamer sein als Placebo, doch in einem Kombinationspräparat mit Brennnesselwurzel-Extrakt konnte eine Nichtunterlegenheit gegenüber Finasterid gezeigt werden.

Es handelte sich dabei um eine Multicenterstudie, an der 369 über 45-jährige Männer teilgenommen haben. Eingeschlossen wurden Patienten mit einem maximalen Harnfluss nicht unter 4 ml/ Sekunde und einem AUASI-Score (American Urological Association Symptom Index) zwischen 8 und 24. Die Patienten der Verum-Gruppe erhielten zunächst einmal täglich 320 mg des Sägepalmenfrüchte-Extraktes, nach 24 Wochen wurde die Dosierung auf zweimal täglich und nach 48 Wochen auf dreimal täglich gesteigert. Nach 72 Wochen war der AUASI-Score in der Verumgruppe von 24,42 auf 12,22 Punkte gesunken, in der Placebo-Gruppe von 14,69 auf 11,7 Punkte. In den AUASI-Score fanden unter anderem Miktionsbeschwerden, der maximale Harnfluss, nächtliches Wasserlassen, das Restharnvolumen sowie der PSA-Wert Eingang.

Vor dem Hintergrund der Ergebnisse wurden Forderungen nach dem Verzicht auf den Einsatz von Phytopharmaka mit Sägepalmenfrüchte-Extrakten bei BPH laut. Wir haben mit Prof. Dr. Theodor Dingermann und Dr. Ilse Zündorf vom Institut für Pharmazeutische Biologie der Universität Frankfurt über die Studienergebnisse und den Stellenwert von Präparaten mit diesen Extrakten gesprochen. Sie halten den Einsatz solcher Phytopharmaka nach wie vor für gerechtfertigt, allerdings nur unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen.


DAZ: Frau Doktor Zündorf, Herr Professor Dingermann, wie wurde die Wirksamkeit von Sägepalmfrüchte-Extrakten zur Linderung von Miktionsbeschwerden bei BPH bislang eingestuft, so zum Beispiel von der Kommission E?

Dr. Ilse Zündorf

Zündorf: Die Kommission E hat die Droge "Sägepalmfrüchte" positiv monographiert. Dies ist aber im konkreten Fall von untergeordneter Relevanz, da in der klinischen Studie nicht die Droge sondern ein bestimmter Extrakt auf Wirksamkeit hin untersucht wurde.

Generell kann man sagen, dass Phytopharmaka zur Behandlung von Miktionsbeschwerden bei benigner Prostatahyperplasie der Stadien I bis II zu den pflanzlichen Arzneimitteln gehören, die in Fachkreisen nach wie vor sehr gut akzeptiert sind. Deutsche Urologen empfehlen diese Präparate überdurchschnittlich häufig, obwohl eine Erstattung bekanntlich nicht möglich ist. Die Akzeptanz bei den Urologen spiegelt sich auch in der Tatsache wider, dass in der geltenden Leitlinie "Therapie des Benignen Prostatasyndroms (BPS)" (www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien043-035l_S2e_Benignes_Prostatasyndrom_Therapie_Leitlinientext.pdf) auch Phytopharmaka erwähnt werden. Allerdings positioniert sich die aktuelle Leitlinie den Phytopharmaka gegenüber deutlich kritischer als dies noch in der Vorgängerversion der Fall war, wo die gängigen Präparate sogar extraktspezifisch bewertet wurden.

Ferner haben sich mehrere Cochrane-Studien mit dieser Gruppe von Phytopharmaka beschäftigt, wobei allerdings auch hier die Urteile zunehmend kritischer ausfallen.


DAZ: Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund jetzt die Ergebnisse der JAMA-Studie? Welche Schlussfolgerungen lassen sie zu?

Prof. Dr. Theodor Dingermann

Dingermann: Das Ergebnis der JAMA-Studie ist natürlich eine mittlere Katastrophe. Hier wird ein Trend gefestigt, der sich durch eine vorangegangene Studie bereits angedeutet hatte. Man muss allerdings auch sagen, dass hier nur ein einzelner Extrakt bewertet wurde, der in dem Präparat Prosta-Urogenin® Uno enthalten ist. Für diesen Extrakt war die Datenlage nie besonders robust.

Erstaunlicherweise beruht die Akzeptanz von Mono-Präparaten mit einem Sägepalmenfrüchte-Extrakt hauptsächlich auf Studien zu einem Präparat, das in Deutschland gar nicht verfügbar ist. Bei diesem Extrakt wird Hexan als Extraktionsmittel verwendet, wohingegen die Testmedikation in der JAMA-Studie einen ethanolischen Extrakt enthielt. Auch die alte Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie bemängelte diesen Tatbestand und kam damals zu dem Schluss, dass " es für die in Deutschland verfügbaren Sabalpräparate keine publizierten Studien (gibt), die den oben beschriebenen Kriterien entsprechen." Offensichtlich war die "Beliebtheit" dieser Extrakte nie wirklich rational nachvollziehbar. Anders sieht es da für ein Kombinationspräparat aus einem Sägepalmenfrüchte-Extrakt und einem Brennnesselwurzel-Extrakt aus – vielleicht auch deshalb, weil hier ein intelligenterer Studienansatz zum Beleg der Wirksamkeit gewählt wurde. Hier konnten in einer randomisierten 12-Monats-Studie mit 489 Patienten, die an Miktionsbeschwerden bei benigner Prostatahyperplasie der Stadien I bis II litten, keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich Symptomenlinderung oder Qmax-Verbesserung zu einer mit Finasterid behandelten Vergleichsgruppe festgestellt werden. Es wurde hier also auf "non inferiority" im Vergleich zu einem Standardwirkstoff (Finasterid) getestet.

Dies zeigt, dass man riesige Fehler beim Studiendesign machen kann, wenn man Phytopharmaka in ihrem realistischen Potenzial falsch einschätzt.

Dass ein solches Studiendesign nicht als "Trickserei" gewertet werden sollte, zeigt auch die amerikanische Studie. Denn schließlich besserte sich bei allen Patienten (bei denen aus der Placebo-Gruppe ebenso wie bei denen aus der Verum-Gruppe) der AUASI-Score, weshalb eine "Nichtbehandlung" eigentlich keine Alternative ist.


DAZ: Welche Empfehlung leiten Sie daraus für Sägepalmenfrüchte-Extrakte ab?

Zündorf: Wir meinen, man kann Präparate mit Sägepalmfrüchte-Extrakt durchaus noch empfehlen, wobei wir nach der Datenlage das Kombinationspräparat empfehlen würden. Allerdings hat auch dieses Präparat seine Limitationen, so dass ein Einsatz nur bei angemessenem Behandlungsanlass empfohlen werden kann.


DAZ: Welche Gefahren birgt eine Selbstmedikation von Beschwerden bei BPH? Worüber müssen Patienten unbedingt aufgeklärt werden?

Dingermann: Die Gefahr einer Selbstmedikation besteht darin, dass man zu lange zuwartet. Denn wenn signifikante Mengen an Restharn zurückbleiben oder wenn es zu relevanten Obstruktionen kommt, kann auch eine BPH sehr gefährlich werden. Daher würden wir empfehlen, von Beginn an einen Urologen zu konsultieren. Wenn es die Progression der Erkrankung zulässt, kann man mit großer Wahrscheinlichkeit damit rechnen, dass der Urologe ein pflanzliches Arzneimittel empfiehlt. Wie bereits erwähnt, gibt es kaum eine andere Gruppe von Fachärzten, die Phytopharmaka so häufig empfehlen, wenn der Behandlungsanlass dies erlaubt. Denn einen gewaltigen Vorteil haben diese Präparate: Sie sind extrem gut verträglich, was man von den chemisch-synthetischen Alternativen nicht so behaupten kann.


DAZ: Frau Doktor Zündorf, Herr Professor Dingermann, wir danken Ihnen für das Gespräch!


Prof. Dr. Theodor Dingermann, Dr. Ilse Zündorf, Institut für Pharmazeutische Biologie, Goethe Universität Frankfurt a. M., Max-von-Laue-Str. 9, 60438 Frankfurt


Quelle

[1] Benet S et al: Saw palmetto for benign prostatic hyperplasiea N Engl Med 2006; 354: 557 – 566

[2] Barry MJ et al: Effect of Increasing Doses of Saw Palmetto Extract on Lower Urinary Tract Symptoms. JAMA 2011; 306: 1344 – 1351


Interview Dr. Doris Uhl



DAZ 2011, Nr. 46, S. 64

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