Aus Kammern und Verbänden

Hirndoping und Neuro-Enhancement

Provoziert wachsender gesellschaftlicher Druck den Einsatz von Hirndoping-Substanzen? Wie gefährlich ist es, langfristig eigene Grenzen zu verschieben oder zu überschreiten? Wie groß ist das Suchtpotenzial? Oder wird die Nachfrage erst durch Berichte in den Medien geweckt? Fachliche und ethische Fragestellungen zum Thema Hirndoping und Neuro-Enhancement beschäftigten Pharmazeutinnen und Pharmazeuten auf der 19. Jahrestagung der Fachgruppe Christen in der Pharmazie vom 18. bis 20. März 2011 in Brotterode/Thüringen.

Das Schlagwort "Hirndoping" bekommt verstärkte mediale Aufmerksamkeit. Man muss vermuten, dass Erfahrungsberichte von Selbstversuchen die Leser wiederum zum Ausprobieren motivieren. Dabei enthält der Begriff "Hirndoping" durch die semantische Verwandtschaft mit "Doping im Sport" eine negative Bewertung. Der Psychiater Prof. Dr. Klaus Lieb, Universität Mainz, versteht unter "Hirndoping", dass ein gesunder Mensch verschreibungspflichtige oder illegale Substanzen einnimmt, um die Leistungsfähigkeit seines Gehirns zu steigern. Autoren, die den Mitteln zur Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit und der psychischen Befindlichkeit positiver gegenüberstehen, verwenden dagegen die Begriffe "Neuro-Enhancement" oder "Cognitive Enhancement" (engl. to enhance = verbessern, steigern, erhöhen).


Foto: Kreisel
Dr. Dorothee Erbe

Besseres Lernvermögen?

Hirndoping muss vor dem Hintergrund der dynamischen Veränderungen des Gehirns – der Neuroplastizität – verstanden werden, legte Dr. Dorothee Erbe, Oberärztin der Klinik Hohe Mark in Oberursel, dar. Dies ist die Grundlage des Lernens und der Gedächtnisarbeit. Lerneffekte können morphologisch am Gehirn sichtbar werden.

Erbe wies darauf hin, dass eine selektive Verbesserung der Gedächtnisleistung nicht möglich ist. Das heißt, dass das "verbesserte" Gehirn sowohl wichtige als auch belastende traumatische Erfahrungen länger speichert, mit allen möglichen Konsequenzen des "Nicht-Vergessen-Könnens".

"Spitzenreiter" im Hirndoping sind derzeit Substanzen, die die Wachheit und Konzentration steigern, wie Modafinil (Vigil®) und Methylphenidat (z. B. Ritalin®). Diese bei Narkolepsie und ADHS zugelassenen Arzneistoffe finden zunehmende Verbreitung bei Gesunden, die solche Mittel – durchaus mit Erfolg – zur Leistungssteigerung einsetzen. In den USA ist dieser Missbrauch deutlich stärker zu beobachten als in Deutschland, jedoch nimmt er auch bei uns zu.

Optimierte Wachheit und verbesserte Konzentration sind bis heute vor allem militärisch interessant, sodass die Mittel nicht selten bei Kampffliegern eingesetzt werden. Das resultierende geringere Schlafbedürfnis führt aber auch zu einer geringeren Regeneration des Gehirns. Für die Optimierung von Gedächtnis und Stimmung bei psychisch Gesunden sind bislang noch keine Substanzen entwickelt worden, die für einen breiten Einsatz infrage kommen.

Suchtgefahr

Eine wirksame Aufhellung der Stimmung bieten euphorisierende Drogen wie Cocain oder Amphetamine, deren Suchtpotenzial allgemein bekannt ist. Bei der Optimierung der Gedächtnisleistung ist die Meinung der Experten nicht so eindeutig. Dr. Erbe warnte jedoch vor der naiven Anwendung von Neuro-Enhancern. Ihre Erfahrungen in der Suchttherapie zeigen, dass manche Nebenwirkungen und auch das Suchtpotenzial neuer Arzneistoffe oft erst nach einer längeren Anwendungszeit sichtbar werden.

Bei einigen Neuro-Enhancern ist das starke Abhängigkeitspotenzial bereits länger bekannt. Das von den Temmler-Werken in Deutschland entwickelte und 1937 patentierte Methamphetamin (Pervitin®) wurde während des 2. Weltkriegs im großen Stil den Piloten der Deutschen Wehrmacht gegeben. Heute ist es als nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel eingestuft und wird illegal unter der Drogenbezeichnung "Crystal" gehandelt.

Auch beim moderneren Modafinil ist das Risiko einer Suchtentstehung nicht auszuschließen, so Erbe. Insgesamt bewertete sie das Neuro-Enhancement kritisch – und distanzierte sich damit deutlich von manchen Medien. Es gebe zu wenig geeignete Wirkstoffe für das Neuro-Enhancement und vor allem zu wenig klinische Studien mit diesen Wirkstoffen. Zudem sei das Abhängigkeitsrisiko unklar.


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Prof. Dr. Peter Imming

Mehr, aber nicht besser

Gerade bei Substanzen, die auf so komplexe Aspekte unseres Menschseins wie Kognition, Gedächtnis und Konzentration einwirken, ist ein einfacher linearer Zusammenhang zwischen molekularem Angriffspunkt und klinischer Wirkung nicht zu erwarten, betonte Prof. Dr. Peter Imming, Universität Halle. Möglicherweise sei die scheinbare Leistungssteigerung des Gehirns nur eine Folge der verringerten Müdigkeit, denn diese Substanzen verstärken massiv die cholinerge, dopaminerge und adrenerge Neurotransmission. Sie machen zwar wacher, konzentrierter und aufmerksamer, führen aber nicht zu "besseren Ideen" und mehr Kreativität. Eine höhere Leistungsfähigkeit durch Hirndoping bezieht sich nur auf die Quantität, nicht aber auf die Qualität.

Nüchterne Bewertung

Imming plädierte insgesamt für eine differenzierte Bewertung der Neuro-Enhancer und der von ihnen ausgehenden Effekte. Wenn sie legal angewendet werden sollen, müssten sie – wie jedes Arzneimittel – auf ihre Wirksamkeit bei der beanspruchten Indikation und auf eventuelle Nebenwirkungen geprüft werden. Man solle diese Substanzen nüchtern einschätzen und ihre Grenzen austesten, anstatt sie euphorisch zu loben oder pauschal zu verteufeln.

Im Sonderfall kann die kurzzeitige Einnahme von Neuro-Enhancern wie Modafinil durchaus hilfreich sein, wenn bestimmte Personen zur besseren Bewältigung extremer Not- oder Katastrophensituationen länger wach und leistungsbereit sein müssen.

Bezugnehmend auf ein Zitat des französischen Schriftstellers Charles-Pierre Baudelaire – "Wer zu einem Gift seine Zuflucht nimmt, um zu denken, wird bald ohne Gift nicht mehr denken können" – erinnerte Imming daran, dass sich der Effekt auch stark wirksamer Substanzen schnell verlieren kann und dieser Zustand dann umso schmerzhafter empfunden wird.

Neuroethik: gegen Zwang und Grenzverschiebungen

Die unterschiedliche Bewertung von Neuro-Enhancement in der aktuellen Diskussion resultiert aus den verschiedenen Menschenbildern der jeweiligen Autoren. Die Teilnehmer der Tagung stimmten darin überein, dass jeder – auch der gesellschaftliche – Zwang, Neuro-Enhancer einzunehmen, ethisch bedenklich wäre. Angenommen, es verwenden einige Mitarbeiter regelmäßig leistungssteigernde Mittel und sind dadurch länger leistungsfähig, dann hat das womöglich für die übrigen Kollegen zur Folge, dass sie entweder die Stelle wechseln oder auch beim Hirndoping mitmachen müssen. Solchen Situationen müsste der Gesetzgeber rechtzeitig vorbeugen. Andernfalls würde Neuro-Enhancement Individualität zerstören und zu Gleichschaltung und Grenzverschiebungen führen.

Erbe betonte, dass Müdigkeit und Erschöpfung klare Signale des Körpers dafür sind, dass Grenzen erreicht werden. Wer notwendige Pausen meint einsparen zu können, riskiert die Gefahr von langfristigen Schäden am Körper. Ein ständiges "immer höher, schneller, weiter" stößt nicht nur im Sport an Limits.

Sie unterstützte damit die Argumentation des Theologen und Ethikers Prof. Dr. Ulrich Eibach, Bonn: "Wahre Freiheit bewährt sich gerade in der Anerkennung von Grenzen, viel mehr im Verzicht auf das Machen des Machbaren als in der stetig erweiterten Unterwerfung der Natur unter die menschliche Verfügungsgewalt."

Insgesamt ermutigte Erbe die Teilnehmer dazu, aus einem christlich geprägten Menschenbild heraus zu den Grenzen der eigenen Leistungsfähigkeit zu stehen statt ständig das Maximum herauszuholen. Aus dieser Haltung heraus sollte man dann heilbringende Perspektiven für das eigene Leben und Älterwerden entwickeln.


Internet


"Christen in der Pharmazie" ist eine Fachgruppe der Akademiker-SMD. Die bundesweiten Tagungen finden seit 1993 einmal jährlich statt. Nähere Informationen und Berichte vergangener Tagungen unter www.pharmazie.smd.org

Krimineller Aspekt

Neben der illegalen Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ohne ärztliche Verordnung gibt es beim Hirndoping noch andere strafrechtlich bedeutsame Aspekte für Pharmazeuten. So darf eine Apotheke auch legale Substanzen nicht verkaufen, wenn erkennbar ist, dass sie für kriminelle Zwecke, beispielsweise als Grundstoffe für die Herstellung von illegalen Substanzen genutzt werden sollen, wie folgendes Beispiel zeigt: Eine Apotheke hatte in den Jahren 2004 und 2005 insgesamt 358 kg Ephedrin abgegeben, das über mehrere Zwischenhändler letztlich im Ausland landeten und dort zu illegalen leistungssteigernden Hirndoping-Substanzen verarbeitet wurden. Der Apotheker wurde in einem Strafprozess verurteilt und verlor die Apothekenbetriebserlaubnis.

Inzwischen wurde in Deutschland die maximal zulässige Abgabemenge von Ephedrin gesetzlich festgelegt.


Jens Kreisel, Plauen



DAZ 2011, Nr. 16, S. 80

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