Fortbildung

Psychostimulanzien für die Leistungsgesellschaft?

Die Diskussion um Neuro-Enhancement spiegelt einen gesellschaftlichen Trend zur stetigen Leistungssteigerung wider. Wie Dr. Thorsten Galert, Bad Neuenahr-Ahrweiler, darlegte, liegt das Problem weniger in einer eigenverantwortlichen Einnahme gewisser Stimulanzien als in dem vermeintlichen oder reellen Zwang, sich den wachsenden Forderungen einer Leistungsgesellschaft zu unterwerfen.

Inhaltsverzeichnis: "48. Internationale Fortbildungswoche der Bundesapothekerkammer in Meran"


Thorsten Galert

Foto: DAZ/diz

Das Thema Neuro-Enhancement wird in den Medien häufig emotional dargestellt, was sich bereits in der Wahl des Begriffes "Hirn-Doping" zeigt, der eine moralische Vorverurteilung impliziert. Neutral betrachtet, versteht man unter Neuro-Enhancement eine "Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit oder psychischen Befindlichkeit, mit denen keine therapeutischen oder präventiven Absichten verfolgt werden und die pharmazeutische oder neurotechnische Mittel nutzen". Mit dieser Definition werden der medizinisch indizierte Einsatz der entsprechenden Wirkstoffe, aber auch Methoden zur Stärkung der Leistungsfähigkeit wie etwa Meditation und im weitesten Sinn Erziehung ausgeklammert.

Klärungsbedürftig sind die Angaben über die Häufigkeit der Einnahme leistungsfördernder Mittel. Je nach Zustandekommen einer Umfrage finden sich Daten im ein- oder zweistelligen Prozentbereich. Eine Untersuchung unter amerikanischen College-Studenten führte zu Zahlen zwischen 3 und 11%, eine Online-Umfrage von Nature aus dem Jahr 2008 kommt auf 20%, der DAK-Gesundheitsreport von 2009 auf rund 5%. Bei der Befragung selektiv ausgewählter Gruppen werden noch höhere Werte erreicht, so dass die entsprechenden Zahlen nur bedingt die Realität widerspiegeln.

Was kann Neuro-Enhancement?

Zum Einsatz von Psychostimulanzien bei gesunden, erwachsenen Probanden liegen mehrere systematische Reviews vor. Die Einnahme von Methylphenidat wurde in 46 randomisierten, kontrollierten Studien beschrieben, für die statistische Auswertung konnten 19 herangezogen werden. Es zeigte sich eine signifikante Verbesserung der Gedächtnisfunktion, was das räumliche Arbeitsgedächtnis anbelangte. Weitere leistungsfördernde Eigenschaften konnten nicht nachgewiesen werden. Zum Einsatz von Modafinil wurden 45 randomisierte, kontrollierte Studien gefunden, von denen 31 ausgewertet werden konnten. Dabei zeigte sich bei ausgeruhten Probanden eine marginale Verbesserung der Aufmerksamkeit. Nach leichtem Schlafentzug wurden bessere Ergebnisse nachgewiesen. Bei einem längeren Schlafentzug verspürten die Probanden ein erhöhtes Gefühl der Wachheit, das aber mit einer verringerten Leistungsfähigkeit einherging. Dabei zeigte sich eine Tendenz zur Selbstüberschätzung.

Fragen zur Ethik

Sieht man von den noch unzureichenden Daten über den Einsatz von Mitteln des Neuro-Enhancements ab – Studien über soziologische und psychologische Folgen fehlen gänzlich und Fragen zur körperlichen und psychischen Abhängigkeit sind noch längst nicht geklärt –, so stellt sich unter ethischen Gesichtspunkten die Frage, was gegen den Einsatz von Psychostimulanzien spricht (sofern sie keine Nebenwirkungen aufweisen). Galert gab zu bedenken, dass der Mensch auf vielerlei Weise nach einer Optimierung seiner Leistungsfähigkeit strebt (Coaching, Ernährung, Sport, autonomes Training etc.), der, da wir in einem liberalen Rechtsstaat leben, wenig entgegenzustellen sei. Unter diesem Blickpunkt könnte der mündige Erwachsene selbst entscheiden, ob er auf Mittel des Neuro-Enhancements zurückgreift oder nicht. Damit verbunden sind allerdings gesellschaftliche Folgen wie etwa Wettbewerbsverzerrungen (nicht jeder kann sich Mittel zum Neuro-Enhancement leisten) und ein kollektiver Nötigungsdruck. Prinzipiell stellt sich bei der Diskussion um pro oder contra Neuro-Enhancement die Frage, ob wir uns den Forderungen einer Leistungsgesellschaft beugen oder auf anderen Wegen ein gelingendes Leben suchen.

pj

Diskutierte Neuro-Enhancement Präparate*


1. Kognitives Neuro-Enhancement ("smart pills")

  • Methylphenidat (z. B. Ritalin®)
  • Modafinil (Vigil®)
  • Antidementiva (z. B. Donepezil)

2. Emotionales Neuro-Enhancement (happy pills) Antidepressiva (z. B. selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer)

*sofern nicht therapeutisch verordnet

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