Arzneimittel und Therapie

Neue Therapieoption mit Ecallantid

Ecallantid ist ein potenter und spezifischer Inhibitor von Plasma-Kallikrein. In den USA ist der Wirkstoff bereits zur Therapie des hereditären Angioödems zugelassen.

Das Angioödem ist eine Schwellung der Mukosa und/oder Submukosa der Haut, die mehrere Tage anhalten und in unregelmäßigen Abständen wieder auftreten kann. Man kennt einige Unterformen der Erkrankung mit unterschiedlichen Auslösern und verschiedenen Mediatoren. Eine Form ist das hereditäre Angioödem, das autosomal dominant vererbt wird und auf einem angeborenen Mangel an der Serinprotease C1-Esterase-Inhibitor (C1-INH) beruht. Dadurch kommt es zu einer Reihe von Veränderungen innerhalb des Komplementsystems. Eine wichtige physiologische Blockade für die Bildung von Bradykinin fällt aus. Die Pathophysiologie wird wie folgt beschrieben: C1-INH ist im Wesentlichen für die Inhibition von Plasma-Kallikrein und Faktor XIIa verantwortlich. Bei akuten Attacken eines hereditären Angioödems wird Kallikrein durch den Mangel an C1-INH nicht ausreichend inhibiert, es kommt zu einer Aktivierung des Kallikrein-Kinin-Systems und in der Folge zu einer vermehrten Bildung von Bradykinin. Bradykinin ist der wichtigste Mediator der vaskulären Permeabilitätserhöhung und damit für die Ödeme beim hereditären Angioödem verantwortlich.

Hereditäres Angioödem

Das hereditäre Angioödem ist eine Sonderform des Quincke-Ödems, das erstmals 1882 von dem Kieler Internisten Heinrich Irenäus Quincke beschrieben wurde.

  • Epidemiologie: Die geschätzte Prävalenz liegt bei 1:50.000. In Deutschland sind derzeit rund 1200 Patienten von der Erkrankung betroffen.
  • Symptomatik: Schwellungen der Haut (Extremitäten, Gesicht, Genitale), Magen-Darm-Attacken (schmerzhafte Krämpfe, Kreislaufsymptome, Erbrechen, Durchfall), Ödeme des Kehlkopfes und weiterer Organe. Todesfälle sind bei nicht erkannten Erkrankungen möglich.
  • Auslöser: Traumen, Druck, Stress, Infektionen; die Neigung zu Ödemattacken kann durch ACE-Hemmer (seltener durch AT-II-Rezeptor-Blocker, orale Kontrazeptiva oder Östrogene zur Hormonsersatztherapie) massiv verstärkt werden.
  • Therapie: Geringe Schwellungen an Händen und Füßen müssen in der Regel nicht behandelt werden. Angioödeme im Kopfbereich mit Ödem des Pharynx oder Larynx sind wegen der drohenden Erstickungsgefahr notfallmäßig zu behandeln. Eingesetzt werden humanes C1-Esterase-Inhibitor-Konzentrat (Berinert P®) oder der Bradykinin-B2-Rezeptor-Antagonist Icatibant (Firazyr®).

Hemmung der Kallikrein-Bildung

Eine Möglichkeit, in die Pathogenese der Erkrankung einzugreifen, ist die Unterbindung der Kallikrein-Bildung im Plasma durch einen Plasma-Kallikrein-Inhibitor. In Studien wird bereits der spezifische Plasma-Kallikrein-Inhibitor Ecallantid eingesetzt. Ecallantid ist ein rekombinant hergestelltes Protein, das eine potente und selektive Hemmung von Plasma-Kallikrein herbeiführt. Der Wirkstoff (Kalbitor [früher DX-88]; Dyax, Cambridge) ist in den USA seit 2009 zur subkutanen Gabe für die Behandlung eines hereditären Angioödems zugelassen. In einer Phase-III-Studie wurde die Wirksamkeit von Ecallantid bei akuten Attacken eines hereditären Angioödems mit einer Placebo-Behandlung verglichen.

Bei diesem Vergleich (EDEMA 3 = The Evaluation of DX-88s Effects in Mitigating Angioedema) handelte es sich um eine multizentrische, doppelblinde und Placebo-kontrollierte Studie, an der 72 Patienten mit einer akuten Attacke eines hereditären Ödems teilnahmen. Sie erhielten entweder 30 mg Ecallantid subkutan oder eine Placebo-Injektion. Die Therapie wurde mithilfe von zwei Messinstrumenten beurteilt: Dem Treatment Outcome Score (geht von + 100 Punkten, was als signifikante Verbesserung definiert ist, bis - 100 Punkten, was eine signifikante Verschlechterung bedeutet) und dem Mean Symptom Complex Severity Score, der sich von + 2 bis - 3 Punkten erstreckt (+ 2 bedeutet hier der Wechsel einer anfänglich milden Symptomatik zu schweren Symptomen hin; - 3 bedeutet ein Wechsel von anfänglich schweren Symptomen zur Beschwerdefreiheit). Der primäre Studienendpunkt war der Treatment Outcome Score (TOS) vier Stunden nach der therapeutischen Intervention. Sekundäre Studienendpunkte waren die Veränderung im Mean Symptom Complex Severity Score (MSCS) nach vier Stunden und die Zeit, bis eine deutliche Verbesserung des Zustandes eintrat.

71 Probanden beendeten die Studie. Der mediane TOS lag in der Ecallantid-Gruppe bei 50, in der Placebo-Gruppe bei 0 (p = 0,004). Die Veränderungen im MSCS-Score lagen in der Ecallantid-Gruppe bei - 1,00, in der Placebo-Gruppe bei - 0,50 (p = 0,01). Nach der Ecallantid-Injektion trat eine signifikante Verbesserung nach 165 Minuten ein, nach der Placebo-Gabe nach mehr als 240 Minuten (p = 0,14). Das heißt, alle gemessenen Parameter erreichten in der Ecallantid-Gruppe bessere Werte als in der Vergleichs-Gruppe. In der Studie wurden weder Todesfälle noch Therapie-assoziierte schwere Nebenwirkungen verzeichnet. Unerwünschte Wirkungen wie etwa Kopfschmerzen, Diarrhö und Fieber traten in der Ecallantid-Gruppe häufiger auf als in der Placebo-Gruppe.

Quelle Cicardi M., et al.: Ecallantide for the treatment of acute attacks in hereditary angioedema. N Engl Med 363, 523 – 531 (2010). Morgan P.: Hereditary angioedema. N Engl J Med 363, 581 – 583 (2010). Bork, K.: Rezidivierende Angioödeme mit potenzieller Erstickungsgefahr. Dtsch Arztebl Int 107 (23), 408 – 414 (2010). www.angiooedem.de

 

www.medizin-telegramm.com/page ID_9208864.html

 


 

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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