DAZ aktuell

Stammzellforschung scheidet die Geister

BERLIN (ks). Das Plenum des Deutschen Bundestags hat sich am 14. Februar fast vier Stunden lang mit der Zukunft der embryonalen Stammzellforschung in Deutschland befasst. Zur Debatte standen vier fraktionsübergreifende Gruppenanträge zur Änderung des Stammzellgesetzes: Gefordert wird sowohl die völlige Streichung der geltenden Stichtagsregelung als auch ihre Beibehaltung sowie die einmalige Verschiebung des Stichtags. Ein völliges Verbot der Forschung mit embryonalen Stammzellen findet ebenfalls seine Anhänger im Bundestag.

Bislang setzt das 2002 verabschiedete Stammzellgesetz den rechtlichen Rahmen für die umstrittene Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen: Es legt fest, dass sie ausschließlich hochrangigen Forschungszielen wie der Grundlagenforschung oder der Erweiterung medizinischer Kenntnisse zur Entwicklung diagnostischer, präventiver oder therapeutischer Verfahren dienen muss. Das Gesetz bestimmt außerdem, dass in Deutschland nur an Stammzellen geforscht werden darf, die vor dem 1. Januar 2002 gewonnen wurden und aus dem Ausland stammen. Nun soll das Gesetz geändert werden – doch wie dies geschehen soll, darüber gibt es innerhalb der Fraktionen keine Einigkeit.

Stichtag verschieben

Mit insgesamt 184 Abgeordneten der SPD und der Union findet ein Antrag von René Röspel (SPD), Ilse Aigner (CDU/CSU) und Carola Reimann (SPD) bislang die meisten Unterstützer im Parlament. Er schlägt eine einmalige Verschiebung des Stichtags für die Einfuhr embryonaler Stammzellen auf den 1. Mai 2007 vor. Eine solche Änderung ermögliche eine Anpassung an neue wissenschaftliche Erkenntnisse, ohne dass die Grundausrichtung des Gesetzes verändert werde, heißt es in dem Antrag. So bliebe der Schutzmechanismus des Stammzellgesetzes erhalten und gewährleistet, dass von Deutschland aus nicht die Gewinnung embryonaler Stammzellen oder eine Erzeugung von Embryonen zu diesem Zweck veranlasst werde. Im Plenum erklärte Röspel, nach Angaben der Deutschen Forschungsgesellschaft seien mittlerweile weltweit etwa 500 Stammzelllinien beschrieben und anders, besser, etablierter und stabiler in Kultur gehalten, als noch vor sechs Jahren. Dies "würde für viele Jahre guter Forschung reichen". Auch Forschungsministerin Annette Schavan (CDU) sprach sich für die Verschiebung aus. Dieser Weg ermögliche deutschen Forschern einen "eng definierten Korridor" für ihre Arbeit. Auch sei er ethisch verantwortbar und kein "Dammbruch" für eine grenzenlose Forschung. Ähnlich äußerten sich Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) und Verbraucherminister Horst Seehofer (CSU). Auch Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) steht hinter diesem Antrag.

Stichtag streichen

Die ersatzlose Streichung des Stichtages und damit eine weitgehende Liberalisierung der Stammzellforschung verlangen hingegen Ulrike Flach (FDP) und Katherina Reiche (CDU). Ihren Entwurf haben 91 Abgeordnete aller Fraktionen, mit Ausnahme von Bündnis 90/Die Grünen, unterschrieben. Zur Begründung des Antrages wird ausgeführt, dass die Streichung der Stichtagsregelung geboten sei, um den herausragenden Verfassungsgütern der Menschenwürde und dem menschlichen Leben Rechnung zu tragen. Die rechtlichen Grundlagen medizinischer Forschung seien so auszugestalten, dass sie die Chance einer Heilung schwerer und lebensbedrohlicher Krankheiten erhöhen. Zudem könne auf diese Weise die verfassungsrechtlich garantierte Forschungsfreiheit wieder ausreichend gewährleistet werden. Flach betonte in der Debatte, deutsche Forscher dürften wegen hoher gesetzlicher Hürden "nicht länger ins Ausland getrieben oder kriminalisiert" werden.

Stichtag belassen

Ein weiterer interfraktioneller Antrag wurde von den Abgeordneten Priska Hinz (Grüne), Julia Klöckner (CDU) und Herta Däubler-Gmelin (SPD) eingebracht. Die knapp 70 Abgeordneten wollen an der bestehenden Stichtagsregelung nichts ändern, aber dafür sorgen, dass Forscher, die an ausländischen Forschungsvorhaben teilnehmen, straffrei bleiben. Strafbar solle die Verwendung von Stammzellen nur sein, wenn sich diese im Inland befinden. Hinz betonte in der Debatte, Grundlagenforschung sei auch mit den vorhandenen Stammzelllinien möglich. Eine einmalige Verschiebung des Stichtags hingegen käme einer "Rutschbahn" hin zu einer weiteren Öffnung gleich. Däubler-Gmelin erklärte, sie sehe die Zukunft eher in der Forschung an adulten Stammzellen und nicht in der Nutzung menschlicher Embryonen.

Vollständiges Verbot

Weitere rund 50 Abgeordnete aller Fraktionen unterstützen den unter anderem von Hubert Hüppe (CDU) initiierten Antrag, der wegen schwerwiegender ethischer Bedenken ein vollständiges Verbot der Forschung mit embryonalen Stammzellen fordert. Dieses solle auch für Zelllinien, die vor dem Stichtag am 1. Januar 2002 gewonnen wurden, gelten. Die Antragsteller führen an, dass inzwischen alternativ auch auf ethisch unbedenkliche Art menschliche pluripotente Stammzellen erzeugt werden können. Hüppe betonte im Bundestag, dass die Forschung an menschlichen Embryonen und die Schaffung von embryonalen Stammzellen voraussetze, dass menschliche Embryonen getötet werden – es gebe jedoch keine Argumente dafür, menschliches Leben für Forschungszwecke zu töten.

Rund ein Drittel der Abgeordneten haben sich noch nicht festgelegt, welchen Antrag sie unterstützen wollen. Eine endgültige Entscheidung wird der Bundestag Mitte März treffen.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.