Praxis

Die Schattenseiten von UV-Filtern

Seit Jahren warnen die Züricher Wissenschaftler Prof. Dr. Walter Lichtensteiger und PD Dr. Margret Schlumpf vor hormonaktiven UV-Filtern. Enthalten Sonnenschutzmittel entsprechende Lichtschutzfilter, werden sie von Öko-Test regelmäßig abgewertet (s. Kasten "Sonnenschutzmittel im Öko-Test"). Frau Dr. Schlumpf erläutert im Folgenden die toxikologische Problematik von UV-Filtern. Insbesondere der Nachweis in Muttermilch lässt aufhorchen.

Eigentlich geht es gar nicht (nur) um den Sonnenschutz, vielmehr um die Wirkungen hormonaktiver Chemikalien, kurz EDCs (endocrine disrupting chemicals). Das sind Gruppen von Chemikalien mit ganz unterschiedlichen chemischen Strukturen, die fähig sind, Hormonsysteme zu beeinflussen. Chemisch sind dies Organochlorverbindungen (Pestizide wie DDT und Metaboliten), polychlorierte Biphenyle (PCBs), polybromierte Biphenylether (Flammschutzmittel) oder Chemikalien aus Kosmetika wie synthetische Parfümstoffe, Konservierungsmittel und UV-Filter. Von neun auf hormonelle Aktivität getesteten UV-Filtern konnten acht im In-vitro-Zellsystem als estrogenaktiv identifiziert werden. Sechs von ihnen bewirkten in vivo ein erhöhtes Uterusgewicht bei unreifen Ratten (uterotropher Test) (vgl. Kasten).

UV-Filter mit hormonaktiven Wirkungen in vitro und/oder in vivo.
Benzophenone-1
Bp-1
4-Methylbenzyliden camphor 
4-MBC ° * **
Homosalate
HMS ° *
Benzophenone-2
Bp-2 * **
3-Benzylidencamphor 3BC ° * **Octyldimethyl PABA
OD – PABA *
Benzophenone-3
Bp-3 ° * **
Butylmethoxydibenzoylmethan
BMDEM °
Ethylhexylmethoxycinnamat
EHMC * **

°Positivliste Vkos (zugelassen n. Schweizer Verordnung über kosmetische Mittel April 2008)

*Positiv im In-vitro-Test

**Positiv im In-vivo-Test: bewirkt ein erhöhtes Uterusgewicht bei unreifen Ratten

Zwei der UV-Filter (4-MBC und 3-BC) wurden nach positiver Identifikation estrogener Aktivität entwicklungstoxikologisch getestet [2], andere UV-Filter zeigten differente Wirkungen bei Säugetieren auch im adulten Alter und/oder waren aktiv bei anderen Tierarten [3; 4].

Vom Badeschaum bis zu Kosmetika

UV-Filter kommen nicht nur in Sonnenschutzprodukten vor. Sie sind als Produkteschutz Bestandteil vieler Kosmetika vom Badeschaum bis zum Make-up. Diesen Chemikalien ist der Mensch gleich über mehrere Wege ausgesetzt. So können Kosmetikinhaltsstoffe direkt über die Haut oder auch über den Magen-Darmtrakt (Lippenstift) aufgenommen werden. Sonnenschutzmittel werden beim Baden direkt in Fließgewässer und Seen eingetragen. Sie gelangen aber auch indirekt über Haushaltsabwasser, Abwasser-Reinigungsanlagen und schließlich über deren Ausflüsse in Fließgewässer. Hier konnten einzelne UV-Filter und synthetische Parfümstoffe in beachtlichen Mengen im Wasser und in Fischen, also in der Nahrungskette von Mensch und Tier, analysiert werden. Seen und Seefische weisen eher geringere Konzentrationen dieser Substanzen auf [5,6].

Auswirkungen auf empfindliche Lebensperioden

Nationale und Europäische Forschungsprogramme befassen sich mit der Rolle von EDCs als Verursacher von Störungen der Entwicklung und Fortpflanzung und als Ursache beeinträchtigter Funktionen des Nerven- und Immunsystems. Diskutiert wird, ob die Zunahme solcher Störungen mit der erhöhten Produktion und Verwendung von EDCs zusammenhängen könnte. Ein großes Problem sind dabei die heute überall vorhandenen Mischungen verschiedenster Chemikalien, denen Mensch und Tier ausgesetzt sind [7]. Zwischen der Einwirkung einer Chemikalie und dem Auftreten einer Gesundheitsstörung können Jahre verstreichen. Deshalb konnte beim Menschen nur vereinzelt ein Zusammenhang zwischen Gesundheitsschädigung und Wirkung bestimmter EDCs nachgewiesen werden. Ähnliches gilt für Wildtiere [7, 8]. Spezifische Wirkungen einzelner EDCs werden daher zumeist in Labor-Modellen abgeklärt. Auswirkungen und Risiken von Chemikalien-Mischungen werden in neuen Europäischen Forschungsprojekten thematisiert.

Hormone sind sehr potente Wirkstoffe, die im Körper zirkulieren und teils an ihrem Entstehungsort, vor allem aber Distanz-übergreifend an verschiedenen Körperorganen multiple Wirkungen entfalten können. Vor allem Entwicklungsmechanismen werden durch Hormone entscheidend beeinflusst und gesteuert. Frühe Lebensphasen sind daher ganz besonders empfindlich gegenüber Störungen von Hormonen. So können Konzentrationsänderungen natürlicher Hormone oder die Anwesenheit hormonähnlich wirksamer Fremdstoffe während empfindlicher Phasen der Entwicklung nachhaltige Störungen verursachen. Das Resultat veränderter Entwicklungsprozesse kann bereits in frühen Lebensphasen beispielsweise in Form von Lageanomalien der Hoden (Kryptorchismus) oder Harnröhrenfehlbildungen (Hypospadie) oder erst mit Verzögerung (Spermiendichte, Krebserkrankungen der Fortpflanzungsorgane) auftreten [7, 8]. Frühe und empfindliche Lebensphasen sollten daher gemäß dieser neu gewonnenen Daten besonders vor EDCs geschützt werden. Der zunehmende Eintrag solcher Stoffe in unsere Nahrungskette und damit auch in die Brustmilch müsste nicht nur überwacht, sondern auch mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln verhindert werden.

Belastung und Risiko

Daten über die Belastung der Frauenmilch mit verschiedenen Gruppen von EDCs sind rar und über das Vorkommen von Kosmetika in Frauenmilch ist besonders wenig bekannt. Mittels Biomonitoring (= Bestimmung von Fremdstoffen in Körperflüssigkeiten wie in der Frauenmilch) lassen sich Aussagen über die Fremdstoffaufnahme des Säuglings wie auch über die Fremdstofflast der Mutter machen. Erfahrungsgemäß ist die Schadstofflast des mütterlichen Organismus vor und nach der Geburt ähnlich.

In einer während drei Jahren an der Basler Universitätsfrauenklinik durchgeführten Studie zur Ermittlung der Fremdstoffbelastung von Frauenmilchen [9], wurden neben den althergebrachten Substanzgruppen (Organochlorverbindungen) auch Inhaltsstoffe aus Kosmetika (synthetische Parfümstoffe und Konservierungsmittel) sowie erstmals auch UV-Filter analysiert. Das Besondere dieser Studie liegt im ausführlichen Fragebogen an die Mütter. Dieser enthält neu neben den üblichen Informationen auch detaillierte Fragen zur Verwendung verschiedener Kosmetikprodukte. Zwischen Anwendung von UV-Filter-haltigen Kosmetika und dem Vorkommen dieser Substanzen in der Brustmilch zeigte sich eine signifikante positive Beziehung, was heißt, dass die von einer Frau total konsumierte Menge an UV-Filtern letztlich die Konzentration dieser Chemikalien in ihrer Milch bestimmt.

SONNENSCHUTZMITTEL IM ÖKO-TEST

Note 5 und 6 für bedenkliche Inhaltsstoffe

In der Juni- und der Juli-Ausgabe hat Öko-Test Ergebnisse zu Sonnensschutzmitteln veröffentlicht. Zwei der speziell für Kinder beworbenen Präparate erhielten die Note sehr gut (Elkos Sun Kids Sonnenspray LSF 30; Ladival Sonnenschutz Spray für Kinder LSF 30), zehn die Note gut, wobei in zwei Fällen (Dr. Hauschka Sonnencreme Kinder LSF 30 und Lavera Sun sensitiv Baby & Kinder LSF 30) eine nicht EU-konforme Zuordnung zur entsprechenden Schutzkategorie zur Abwertung geführt hat. Bei den weiteren acht mit gut bewerteten Kindersonnenschutzpräparaten wurde die Anwesenheit bedenklicher UV-Filter kritisiert. Sechs Produkte erhielten die Note mangelhaft oder ungenügend. Hier führten vor allem allergene Duftstoffe und bedenkliche UV-Filter zu dem vernichtenden Urteil. Zu den bedenklichen UV-Filtern zählt Öko-Test auch Octocrylene, der in Zellversuchen hormonelle Eigenschaften gezeigt haben soll. In sechs Präparaten waren PEG bzw. PEG-Derivate enthalten. Da sie die Haut durchlässiger machen und damit Fremdstoffe einschleusen können, gab es auch hierfür Minuspunkte.

Von den nicht speziell für Kinder vertriebenen Sonnenschutzpräparaten schnitten elf mit gut ab, acht dagegen mit mangelhaft und ungenügend. Auch hier waren die Inhaltsstoffe, allen voran bedenkliche UV-Filter, ausschlaggebend für die Bewertung. Ein sehr gut bezüglich der Inhaltsstoffe erhielten lediglich die Präparate von Herstellern zertifizierter Naturkosmetik, die nur mineralische UV-Filter verwenden (Dr. Hauschka Sonnenmilch LSF 15, Lavera Sun-Spray Hawaii Sensitiv LSF 20; Sante Sun Lotion Soleil Familiy LSF 20 und Weleda Edelweiß Sonnenmilch LSF 12). Die Gesamtnote sehr gut blieb ihnen versagt, weil die Kennzeichnung nicht den neuen EU-Empfehlungen entsprach.

Empfehlung

Ein besonderes Problem ist der Sonnenschutz. Gerade in sensiblen Lebensphasen wie Schwangerschaft und Stillzeit sollte die Haut durch geeignete Bekleidung und Aufenthalt im Schatten vor UV-Strahlen geschützt werden. Die Anwendung von Sonnenschutzmitteln kann so zwar nicht vermieden, jedoch verringert werden. Die Frauenmilch-Studie hat zudem gezeigt, dass die in der Milch analysierten UV-Filter nicht nur aus Sonnenschutzmitteln, sondern sogar noch zu einem höheren Prozentsatz aus anderen Kosmetikprodukten stammt. Trotzdem ist der Verzicht auf Mascara und Lippenstift heute nicht mehr nötig, da ein vielfältiges Angebot alternativer Produkte aus hochwertigen Naturstoffen besteht (Literatur auf Anfrage). Die Fremdstofflast von Mutter und Kind könnte demnach während hochempfindlicher Lebensphasen wie Schwangerschaft und Stillzeit verringert werden durch einen eingeschränkten Gebrauch von Kosmetik oder besser, durch die Verwendung kosmetischer Produkte ohne synthetische Chemikalien mit hormonähnlicher Wirkung.

 

Literatur

[1] Schlumpf M et al.: Endocrine activity and developmental toxicity of cosmetic UV filters- an update. Toxicology 2004; 205: 113 – 122

[2] Schlumpf M et al.: Developmental Toxicity of UV filters and environmental exposure. Int. J. Andrology 2008; 31: 144 – 145

[3] Seidlova-Wuttke et al.: Comparison of effects of estradiol (E2) with those of octylmethoxicinnamate (OMC) and 4-methylbenzylidene camphor(4-MBC)- 2 filters of UV light –on several uterine, vaginal and bone parameters. Toxicology and Applied Pharmacology 2006; 210: 246 – 254

[4] Schmutzler et al.: Endocrine active compounds affect thyrotropin and and thyroid levels in serum as well as endpoints of thyroid hormone action in liver, heart and kidney.Toxicology 2004; 205: 95 – 112

[5] Kupper T et al.: Fate and removal of polycyclic musks, UV filters and biocides during wastewater treatment. Water Res. 2006; 40: 2603 – 2612

[6] Buser HR et al.: Occurrence of UV filters 4-methylbenzylidene camphor and octocrylene in fish from various Swiss rivers with inputs from wastewater treatment plants. Environ. Sci. Technol. 2008; 40: 1427 – 1431

[7] Woodruff TJ et al: LC. Proceedings of the Summit of Environmental Challenges to Reproductive Health and Fertility: executive summary. Fertility and Sterility 2008; 89, Suppl. 1: e1 – e20.

[8] Barrett JR: Fertile Grounds for Inquiry. Environmental effects on Human Reproduction. Environmental Health Perspectives 2008; 114: A644 – A649.

[9] Schlumpf M et al.: Endocrine active UV filters: Developmental toxicity and exposure through breast milk. Chimia 2008; 62:345 – 351

 


Weiterführende Literatur auf Anfrage

 

 


PD Dr. sc. nat. Margret Schlumpf GREEN Tox / University of.Zürich Winterthurerstraße 190 CH-8057 Zürich Office: Langackerstraße 49 CH-8057 Zürich

 

Das könnte Sie auch interessieren

Nach UV-B und UV-A geraten auch die sichtbaren und infraroten Wellenlängen ins Zwielicht

Viel Licht, viel Schatten

Bedenkliche Wechselwirkungen zwischen mineralischen und chemischen UV-Filtern

Mehr Schaden als Schutz?

Lippenpflege mit UV-Schutz

Müller und dm schlagen Apothekenprodukte

Keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Sonnenschutzmittel

Entwarnung für UV-Filter

DAZ.online Spezial: Sonnenschutz

Ökotest: die beste Sonnencreme für Kinder

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.