Feuilleton

In der Spur des Menschen

"In der Spur des Menschen – Biologische Invasionen in aller Welt" heißt eine aktuelle Sonderausstellung in Potsdam. Das dortige Naturkundemuseum präsentiert bis zum 31. August 70 eingewanderte Tierarten (Neozoen), und der Botanische Garten stellt bis zum 25. September viele Pflanzen "mit Migrationshintergrund" (Neophyten) vor.

"Jeden Morgen lagen unzählige Leichen auf den Straßen. Sie wurden auf Bahren oder – wenn es an diesen fehlte – auf ein bloßes Brett gelegt. Zuweilen wurden sogar zwei oder drei Tote auf einer Bahre davongetragen. Nicht nur einmal, sondern viele Male konnte man zählen, wo dieselbe Bahre die Leichen des Mannes und der Frau oder zweier und dreier Brüder und des Vaters und seines Kindes trug", berichtete Giovanni Boccaccio im "Decamerone" über den Ausbruch der Pest in Florenz. Dem "Schwarzen Tod", wie die von 1347 bis 1352 wütende Pestpandemie hieß, erlag etwa ein Drittel der Bevölkerung Europas. Die Ärzte waren ratlos. Erst 1894 gelang es Alexandre Yersin, den Erreger zu identifizieren und dessen Übertragungsweg nachzuvollziehen. Der Schweizer Arzt hatte entdeckt, dass der Bazillus Yersinia pestis über den Pestfloh Xenopsylla cheopsis auf den Menschen übertragen wird. Das Wirtstier des Pestflohs wiederum, die Hausratte Rattus rattus, war "in der Spur des Menschen" aus Südasien nach Europa gelangt.

Die verhängnisvolle Einschleppung der Hausratte und des Pestbazillus ist nur eines von vielen Beispielen, welche Konsequenzen die Ansiedlung von Tier- und Pflanzenarten, die oft mit der Verbreitung von pathogenen Pilzen, Bakterien und Viren einhergeht, haben kann. Insbesondere als Folge interkontinentaler Handelsbeziehungen sind weltweit Neobiota anzutreffen. Das Auftreten der die Malaria übertragenden Stechmücke Anopheles in Europa ist ein anderes Beispiel dafür, dass eine biologische Invasion weitreichende Folgen haben kann.

Ausrottung durch ­Hybridisierung

Unter Wissenschaftlern wird nun deswegen diskutiert, ob die Ausbreitung fremden Erbguts auf heimische Populationen die Artenvielfalt der Erde gefährdet oder aber eine "genetische Assimilation" die evolutionären Möglichkeiten einer Spezies bereichern kann.

Ein Beispiel: Ende des 19. Jahrhunderts wurde aus dem östlichen Nordamerika die schnellwüchsige Kanadische Schwarzpappel Populus deltoides in Europa eingeführt, um sie mit der Europäischen Schwarzpappel P. nigra zu kreuzen. Die Hybride wurde in Feuchtgebieten Deutschlands und Österreichs kultiviert. Durch natürliche Bestäubung verbreitete sich das Erbgut von P. deltoides auf Wildbestände der Europäischen Schwarzpappel. Zwar sind die Konsequenzen noch nicht absehbar. Zumindest bewirkt die genetische Beeinflussung aber langfristig eine Veränderung der heimischen Vorkommen von Populus nigra.

Eine ähnliche Entwicklung hat die Einführung der amerikanischen Schwarzkopf-Ruderente Oxyura jamaicensis in Großbritannien bewirkt, die sich von dort ab 1960 in ganz Kontinentaleuropa verbreitet hat. In Spanien hat sie sich mit der bedrohten europäischen Weißkopf-Ruderente (O. leucocephala) gepaart, und mittlerweile sind bereits Hybriden der zweiten und dritten Generation herangewachsen. Um die Verdrängung der letzten Weißkopf-Ruderenten zu verhindern, werden deren nordamerikanische Verwandte in Spanien nun stärker bejagt. In Großbritannien sollen sie innerhalb der nächsten fünf Jahre sogar vollständig ausgerottet werden.


Fasanewurden wegen ihres farbenträchtigen Gefieders für die Haltung in Parks und Gärten eingeführt.

Pfauen, Papageien, Palmen

Die Verbreitung nichtheimischer Tiere und Pflanzen durch Menschen reicht bis in die Jungsteinzeit zurück, als der Mensch den Ackerbau erfand. Seit der Antike sind viele Beispiele der absichtlichen Verbreitung bestimmter Kulturpflanzen und Haustiere bekannt. Doch nicht immer wurden neue Spezies für die wirtschaftliche Nutzung eingeführt. So wurden viele exotische Tiere – z. B. Pfauen, Fasane, Damwild, Mufflons – zum Vergnügen der Herrscher als Kuriositäten oder Jagdwild gehegt und ausgewildert. Immer mehr Arten bevölkerten die Menagerien und Orangerien, die zoologischen und botanischen Gärten; gelangten sie in die Freiheit, konnten sie bei zusagenden Umweltbedingungen verwildern. Seit jeher folgten auch viele Spezies ungefragt dem Menschen. So brachten die Wikinger schon vor tausend Jahren die Sandklaffmuschel aus der Neuen Welt nach Europa. Als sich im Gefolge der ersten europäischen Siedler der Wegerich Plantago major in Nordamerika verbreitete, nannten ihn die Indianer "White man’s footstep".

Neuerdings begünstigt die Klimaveränderung die Ausbreitung von Neobiota: In manchem Gewässer tummeln sich Schildkröten, deren Stammeltern noch in Florida lebten. Halsbandsittiche gehören längst zur Kölner Stadtfauna, Gelbkopfamazonen desgleichen in Stuttgart. Wegen ihres farbenprächtigen Gefieders werden diese Papageien meist als Bereicherung der Vogelwelt angesehen. Zusehends werden auch subtropische Gehölze wie die Hanfpalme Trachycarpus fortunei in deutschen Gärten ausgepflanzt und erfolgreich überwintert.


Das Damwildstammt aus dem Mittelmeerraum und wird schon seit Jahrhunderten in Deutschland gehegt.
Fotos: Reinhard Wylegalla

Lauernde Gefahren

Ein Beispiel für eine unerwünschte Invasion, die einen enormen wirtschaftlichen Schaden verursachte, ist die Reblaus Viteus vitifoliae, die um 1860 als "blinder Passagier" mit einer Ladung Wildreben über den Großen Teich nach Frankreich kam. Während amerikanische Weinstöcke gegen diese Insektenart widerstandsfähig sind, vernichtete sie bis Anfang des 20. Jahrhunderts 75 Prozent aller Weinstöcke in den europäischen Weinbaugebieten. Der Weinbau ließ sich nur dadurch retten, dass man die alten Weinstöcke rodete und Kulturreben auf Unterlagen der amerikanischen Wildreben Vitis riparia und V. berlandieri pfropfte.

Heute ist die Vermeidung weiterer biologischer Invasionen das wichtigste Ziel. In Deutschland sind 1400 Neozoen und 700 Neophyten registriert. Die Quote eingeschleppter oder absichtlich verbreiteter Tier- und Pflanzenarten ist in einigen Ländern noch deutlich höher, insbesondere in Gebieten, die relativ lange isoliert gewesen sind.

Die Frage, ob eine zugewanderte Art geduldet, gefördert oder aber vernichtet werden soll, ist nicht selten umstritten oder wird oft erst nach längerer öffentlicher Diskussion entschieden.


Ausstellungen

Naturkundemuseum Potsdam Breite Straße 13, 14467 Potsdam Tel. (03 31) 2 89 67 01 www.naturkundemuseum-potsdam.de
Geöffnet dienstags bis sonntags 9 bis 17 Uhr
Botanischer Garten d. Universität Maulbeerallee 2, 14469 Potsdam
Tel. (03 31) 9 77 19 52, Fax -19 51
Geöffnet täglich 9.30 bis 17 Uhr

Reinhard Wylegalla

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