Standpunkte

Profitieren Patienten von Cholinesterasehemmern?

Im April hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) den Abschlussbericht seiner Nutzenbewertung von Cholinesterasehemmern bei Alzheimer-Demenz vorgelegt. Das Fazit: Die Cholinesterasehemmer Rivastigmin (Exelon®), Galantamin (Reminyl®) und Donepezil (Aricept®) können bei leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz den Abbau der kognitiven Fähigkeiten geringfügig verzögern. Patienten können von einer solchen Behandlung profitieren. Doch die Einschätzung des IQWiG wird nicht von allen Seiten geteilt.

Das IQWiG hat vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) den Auftrag erhalten, medikamentöse und nicht-medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten bei Demenz zu bewerten. Im Rahmen dieses umfassenden Auftrags ist der Abschlussbericht zum Nutzen von Cholinesterasehemmern bei Alzheimer-Demenz zu sehen. Weitere Teilberichte werden folgen. So wird im Sommer mit der Nutzenbewertung Ginkgo-haltiger Präparate gerechnet, ein weiterer Teilauftrag befasst sich mit dem Nutzen von Memantine bei Demenz.

Im Fall der Cholinesterasehemmer kommt das IQWiG zu dem Schluss, dass sie den kognitiven Abbau leicht hinauszögern können. Es stützt sich dabei in erster Linie auf 22 randomisierte, kontrollierte, doppelblinde Studien, in denen Rivastigmin, Galantamin oder Donepezil mit Placebo verglichen wurde. Die Studiendauer lag zwischen vier und sechs Monaten. Patienten mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz, die mindestens vier Monate einen der drei Cholinesterasehemmer eingenommen hatten, erreichten im Durchschnitt auf einer die Denk- und Merkfähigkeit abbildenden Skala von 1 bis 70 (ADAS-cog) im Vergleich zu Placebo einen um drei Punkte besseren Wert. Ein um mindestens vier Punkte höherer Wert konnte bei 15% der Patienten registriert werden. Zudem, so das IQWiG, gebe es Hinweise, dass durch die Sub-stanzen die Geschwindigkeit verlangsamt werde, mit der die Patienten ihre Fähigkeiten zur Alltagsbewältigung verlieren. Als nicht belegt sieht das IQWiG den Nutzen hinsichtlich der gesundheitsbezogenen Lebensqualität an. Ebenso wenig sei ersichtlich, dass durch die Behandlung Pflegeheimaufenthalte vermieden werden können.

Der Stellenwert der Cholinesterasehemmer in der Therapie von Patienten mit Alzheimer-Demenz wird international unterschiedlich beurteilt. In Großbritannien dürfen sie nach einer negativen Bewertung durch das National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) nur noch eingeschränkt bei mittelschweren Formen zu Lasten des nationalen Gesundheitsdienstes verordnet werden, nicht dagegen in frühen und weit fortgeschrittenen Stadien. Im Gegensatz zum IQWiG hat das NICE jedoch nicht nur den Nutzen bewertet, sondern auch den Nutzen gegen die Kosten abgewogen. Die Verordnungsfähigkeit wurde in Großbritannien vor allem deshalb eingeschränkt, weil die Wirksamkeit in den Augen von NICE in keinem Verhältnis zu den Kosten steht.

Welche Konsequenzen der Abschlussbericht des IQWiG für die Verordnungsfähigkeit in Deutschland haben wird, hängt nun von der Einstufung des G-BA ab. Es wird vermutet, dass der G-BA erst tätig werden wird, wenn die Abschlussberichte der noch ausstehenden Teilaufträge vorliegen.

Die verhalten positive Nutzenbewertung durch das IQWiG ist in Expertenkreisen nicht nur auf Zustimmung gestoßen. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) hätte Antworten auf einige zentrale Fragen erwartet. Sie kann keinen patientenrelevanten Nutzen in den vom IQWiG herangezogenen Studien erkennen. PD Dr. Martin Haupt, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie, lobt dagegen die sorgfältige und ausgewogene Beurteilung der ausgewählten Studien, kritisiert aber, dass Langzeitstudien unberücksichtigt geblieben sind. Wir haben sowohl die DEGAM als auch Dr. Haupt gebeten, ihre Standpunkte näher zu erläutern.du

"Das Fazit fällt zu positiv aus!"

Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) fällt das Fazit des IQWiG zu positiv aus. Nach wie vor fehlt eine Antwort auf die zentrale Frage, was der in den Studien gemessene Unterschied von drei Punkten auf der verwendeten Kognitionsskala (ADAS-cog) für den einzelnen Patienten bedeutet. Die Lebensqualität der Patienten – soweit sie in den Studien gemessen wird – verbessert sich zumindest nicht.

Weitere Einwände der DEGAM beziehen sich auf methodische Probleme der dem Urteil zugrunde liegenden Studien – und den Umgang des IQWiG mit ihnen:

  • Obwohl das IQWiG gravierende Mängel in 7 der 22 Studien sieht, zieht es daraus nur in einem Fall die (korrekte) Konsequenz, die in dieser Studie gewonnenen Daten nicht weiter zu verwenden.
  • Aus einer Stellungnahme der Firma Eisai ist zu entnehmen, dass in acht der zwölf Studien zu Donepezil eine formale Verblindung der ADAS-cog-Rater "nicht notwendig" gewesen sei. Das bedeutet, dass gerade der Endpunkt, auf dem der Nutzen des Donepezil hauptsächlich begründet wird, von Ratern erhoben wurde, die nicht sicher verblindet waren. Damit können diese Studien nicht als "doppel-blind" bezeichnet und müssten aus den Analysen ausgeschlossen werden. Diese Konsequenz zieht das IQWiG jedoch nicht.
  • Das IQWiG nimmt an, dass bis zu elf Prozent der ursprünglich in die Studie eingeschlossenen Teilnehmer in den Ergebnisanalysen fehlen dürfen und dass dadurch die Ergebnisse nicht verzerrt werden. Dies ist angesichts fehlender fundierter Erkenntnisse eine vielleicht pragmatische aber sicher willkürliche Festlegung.
  • In mehr als der Hälfte der Studien zu Cholinesterasehemmern beträgt die Rate der vorzeitigen Studienausscheider aus einem Behandlungsarm mindestens 20 Prozent. Dieser erhebliche Verlust von Patienten (und damit auch relevanten Daten) wird nicht weiter problematisiert. Auch ist das IQWiG der Auffassung, dass die in den Studien zumeist verwendete Ersetzungsstrategie für fehlende Werte (LOCF) die Ergebnisse nicht verzerrt habe. Bei dieser Einschätzung berücksichtigt das IQWiG nicht, dass die Verwendung der LOCF-Methode in den Studien schon aus rein formalen Gründen unangemessen ist.

Die methodischen Diskussionen um die Studien zu Cholinesterasehemmern werden weitergehen. Für Ärzte und Patienten bleibt in dieser Situation nur der Rat, bei etwaigen Therapieversuchen mit Cholinesterasehemmern Wirkungen und Nebenwirkungen genau zu erfassen, zu dokumentieren und gegeneinander abzuwägen. Die Datenlage zu nicht-medikamentösen Therapieoptionen, wie z. B. Ergotherapie oder multimodalen Therapiekonzepten in Tagespflegeeinrichtungen, ist sicherlich schlechter als die zu Cholinesterasehemmern. Dennoch sollten diese Verfahren schon rein aus humanitären Gründen eingesetzt werden.

In Übereinstimmung mit dem IQWiG erachtet es die DEGAM als notwendig, in weiteren Untersuchungen fundierte Erkenntnisse zu den Wirkungen der Cholinesterasehemmer zu sammeln. Neben einer exzellenten methodischen Qualität sollten diese Studien Laufzeiten von mindestens einem Jahr aufweisen und Instrumente einsetzen, die für die Patienten im täglichen Leben spürbare Veränderungen zuverlässig messen können.

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

Geschäftsstelle

Abt. Allgemeinmedizin

Georg-August-Universität

Humboldtallee 38

37073 Göttingen

"Eine sorgfältige Beurteilung mit Schwächen!"

Stellungnahme von PD Dr. Martin Haupt, Praxisschwerpunkt Hirnleistungsstörungen im Neuro-Centrum Düsseldorf

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat in seinem kürzlich vorgelegten Abschlussbericht die Cholinesterasehemmer bewertet und ist zu dem Schluss gekommen, dass die drei Substanzen dieser Wirkstoffgruppe, Donepezil, Galantamin und Rivastigmin, sowohl die kognitiven Leistungen der Alzheimerkranken als auch den klinischen Gesamteindruck konsistent verbessern. Relevante Unterschiede in der Wirksamkeit wurden nach den bewerteten Daten zwischen diesen Substanzen nicht gefunden.

Für den Einfluss auf die Aktivitäten im täglichen Leben ergaben sich laut IQWiG für alle drei Substanzen positive Belege. Demgegenüber leitete das IQWiG aus den bewerteten Daten keinen überzeugenden Beleg für die positive Beeinflussung von Verhaltensstörungen oder Stimmungsauffälligkeiten bei den Alzheimerkranken ab. Für weitere mögliche Wirksamkeitsgrößen wie krankheitsbezogene Lebensqualität, Reduktion des Betreuungsaufwandes durch die Angehörigen, Lebensqualität der Angehörigen oder Zeitpunkt der Pflegeheimeinweisung lagen nach Angaben des IQWiG keine ausreichend belastbaren Studiendaten vor.

Für den Bereich der unerwünschten Wirkungen zeigten alle drei Substanzen eine dosis-abhängige Zunahme der typischen Nebenwirkungen im Gastrointestinaltrakt mit Übelkeit, Nausea, Brechreiz, Erbrechen oder Diarrhö, was im Hochdosisbereich zu einer stärkeren Abbruchrate bei den Studienteilnehmern führte. Daten zur Beeinflussung der Mortalität der Alzheimerkranken durch die Substanzen lagen nicht vor.

Das IQWiG bewertete auch die vorhandenen randomisierten Studiendaten zu Vergleichen der Wirksamkeit zwischen einzelnen Substanzen ("head-to-head-Vergleich") und kam im Wesentlichen zu dem Ergebnis, dass relevante Wirksamkeitsunterschiede nicht bestünden.

Insgesamt hat das IQWiG für diesen Bewertungsbereich eine sorgfältige und ausgewogene Beurteilung vorgelegt.

Längerdauernde Studien unberücksichtigt

Das IQWiG legte der Bewertung der Cholinesterasehemmer jedoch ausschließlich randomisierte kontrollierte Studiendaten zugrunde, die sich auf Studien von mindestens viermonatiger Dauer bezogen. Kürzer dauernde Studien, etwa drei Monate oder länger dauernde Studien, wie etwa offene, nicht Placebokontrollierte Studiendaten über mehr als sechs Monate wurden nicht bewertet und blieben damit unberücksichtigt.

Hierin liegt eine bedeutsame Schwäche des Abschlussberichts. Verhaltensstörungen bei Alzheimerkranken dauern unter Umständen nicht mehr als mehrere Tage oder wenige Wochen an (beispielsweise depressive oder ängstliche Reaktionen, wahnhafte oder halluzinatorische Symptome). Cholinesterasehemmer zeigen in den publizierten klinischen Studien über drei Monate nachweisbare positive Effekte auf derartige Verhaltens- und Stimmungsveränderungen. Da aber Studien von weniger als vier Monaten Dauer aus der Beurteilung herausgenommen wurden, fanden die hierbei gewonnenen Ergebnisse keinen Eingang in die Gesamtbewertung. Das gleiche gilt für die sogenannten offenen Anschlussstudien ("open-label-extension"), in denen alle Teilnehmer, auch die Placebogruppenteilnehmer, nach Abschluss der Placebo-kontrollierten Phase das Verum kontinuierlich weiter einnehmen. Auch wenn die Effekte dann nicht mehr einer unbehandelten Gruppe gegenübergestellt werden können, so weisen doch die dann gewonnenen Daten zur Verlaufsstabilisierung auf positive Wirkungen der Substanz hin. Mitunter dauerten diese Anschlussstudien drei und mehr Jahre. Leider wurden aber auch diese Daten vom IQWiG aus seiner Beurteilung herausgenommen. Mögliche Langzeiteffekte bleiben damit unberücksichtigt.

Die Forderung des IQWiG nach länger dauernden (1-2 Jahre) Placebo-kontrollierten Studien bleibt wohl unerfüllbar, da bereits heute keinem Studienteilnehmer mit einer Alzheimer-Krankheit ein Cholinesterasehemmer aus ethischen Gründen länger als sechs Monate vorenthalten werden sollte. Ein möglicher Ausweg aus dem Dilemma der Durchführung langdauernder kontrollierter Studien wäre die Gegenüberstellung eines Cholinesterasehemmers gegen eine Referenzsubstanz. Dies könnte ein anderer Cholinesterasehemmer oder auch Gingko biloba-Extrakt sein.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sollte nach den nationalen und internationalen medizinischen Therapieempfehlungen und dem Abschlussbericht des IQWiG die pharmakologische Behandlung der leichtgradigen und der mittelgradigen Alzheimer-Demenz mit einem Cholinesterasehemmer vorgenommen werden. Für die mittelschwere und schwere Form der Alzheimer-Demenz ist zudem Memantine zugelassen. Dieses Vorgehen wird auch von der deutschen Vertretung der Interessen der Patienten und ihrer Angehörigen empfohlen, der Deutschen Alzheimer Gesellschaft.

PD Dr. Martin Haupt, Praxisschwerpunkt Hirnleistungsstörungen im Neuro-Centrum Düsseldorf Hohenzollernstr. 40211 Düsseldorf
Die Verordnungsfähigkeit der Cholinesterasehemmer wurde in Großbritannien eingeschränkt, weil die Kosten in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen sollen.
Foto: Imago

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