Arzneimittel und Therapie

Nutzen von Memantin bei Alzheimer-Demenz nicht belegt

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) kommt bei seiner Bewertung von medikamentösen und nicht-medikamentösen Therapiemöglichkeiten bei der Alzheimer-Demenz zu dem Schluss, dass es keine wissenschaftlichen Belege dafür gibt, dass Patienten mit einer mittelschweren oder schweren Alzheimer-Demenz von Memantin profitieren.

Das IQWiG beklagt, dass Daten aus bisher durchgeführten Studien noch immer nicht vollständig verfügbar sind. In die Bewertung einbeziehen konnte das IQWiG sieben Studien, in denen insgesamt 1913 an Alzheimer-Demenz Erkrankte über einen Zeitraum von 16 bis 28 Wochen mit dem NMDA-Antagonisten Memantin (Axura®, Ebixa®) behandelt wurden. Bei fünf dieser Studien hatten die Probanden ausschließlich Memantin bekommen, bei den anderen beiden war der Wirkstoff ergänzend zu einer bestehenden Therapie mit einem Cholinesterasehemmer verabreicht worden. Verglichen wurde jeweils mit einer Kontrollgruppe, die Placebo bekamen. Verwertbare Studien, die Memantin mit einem anderen Arzneimittel gegen Demenz oder einer nicht-medikamentösen Therapie verglichen, gibt es bislang keine.

Für die Zielgrößen Beeinträchtigung der Aktivitäten des täglichen Lebens und kognitive Leistungsfähigkeit wurden jeweils in der Metaanalyse statistisch signifikante Effekte zugunsten von Memantin gefunden. Da für die in den Studien verwendeten Skalen keine Angaben zur Einschätzung der Relevanz dieser Effekte bzw. der beobachteten Effektstärken identifiziert werden konnten, wurde eine standardisierte Effektgröße (Cohens d) von 0,2 als Grenzwert zur Bewertung herangezogen. In beiden Fällen lag die untere Grenze des Konfidenzintervalls unterhalb dieser Grenze. Die Relevanz des vorliegenden Effekts konnte daher nicht mit Sicherheit eingeschätzt werden. Damit liegt nach Auffassung des IQWiG in den Bereichen alltagspraktische Fähigkeiten und Kognition kein Beleg für einen Nutzen von Memantin vor. Die Daten zu unerwünschten Ereignissen unter Memantin ergaben keinen Beleg für ein im Vergleich zu Placebo erhöhtes Schadenpotenzial. Alle Aussagen beschränken sich auf einen Behandlungszeitraum von bis zu sechs Monaten. Langzeitstudien zu Memantin fehlen. Studien zum direkten Vergleich von Memantin mit anderen medikamentösen und nichtmedikamentösen Behandlungsoptionen liegen nicht vor.

Auch Angehörige scheinen nicht zu profitieren

Das IQWiG hat nicht nur die Patienten, sondern auch ihre Angehörigen in den Blick genommen. Allerdings lieferten die Studienergebnisse keine Belege, dass Memantin sie entlastet, etwa indem die medikamentöse Therapie den Pflegebedarf oder die emotionale Belastung verringert. Die Lebensqualität der betreuenden Angehörigen hat keine der eingeschlossenen Studien als Zielgröße definiert. Der Betreuungsaufwand wurde zwar in den meisten Studien erhoben, die Daten wurden jedoch größtenteils von den Herstellern nicht zur Verfügung gestellt. Nach Einschätzung des IQWiG sind die vorliegenden Ergebnisse deshalb nicht verlässlich interpretierbar.

Hersteller protestieren

Der Hersteller von Axura® Merz reagierte mit Unverständnis. "Obwohl das IQWiG in seinem Abschlussbericht statistisch signifikante Unterschiede zu Placebo in den Bereichen Alltagsaktivitäten, Kognition, klinischer Gesamteindruck sieht und damit die Wirksamkeit und Sicherheit von Memantin eindeutig bestätigt, kommt es zu dem Schluss, es gäbe keine Belege für einen Nutzen. Dies ist für uns unverständlich. Das IQWiG wendet international anerkannte Methoden zur Nutzenbewertung nicht an und benutzt stattdessen sein eigenes, rein statistisches Verfahren." Man dürfe, so Merz, den Betroffenen nicht die verfügbare Chance auf Linderung und Entlastung nehmen. "Auch wenn Alzheimer-Demenz auf absehbare Zeit nicht heilbar ist, kann Memantin ein weiteres Fortschreiten der Krankheit verzögern und die Symptome verbessern bzw. stabilisieren. Dies ist für alle ein großer Gewinn." Auch Lundbeck, der Hersteller von Ebixa® , kritisiert, dass das Institut den erwiesenen Nutzen von Memantin, der auch in allen relevanten Leitlinien bestätigt wird, nicht anerkennt. "Ohne die nachträgliche Veränderung der Interpretationskriterien hätte das IQWiG die klinische Relevanz der Effekte zugunsten Memantin und damit den Nutzen anerkennen müssen. Es ist für uns vollkommen unverständlich, dass das IQWiG die Dateninterpretation im Anschluss an die wissenschaftliche Erörterung geändert hat und damit den international anerkannten Nutzen von Memantin nicht bestätigt."

Das Problem für die Hersteller: Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen hat diese Nutzenbewertung der Behandlung mit Memantin bei AlzheimerDemenz im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) durchgeführt. Folgt der G-BA bei seiner abschließenden Entscheidung über die weitere Erstattungsfähigkeit von Memantin dem IQWiG, so kann der Wirkstoff aus der Erstattung durch die gesetzlichen Krankenkassen fallen – Umsatzeinbrüche bei den Herstellern wären die Folge. Diese hoffen darauf, dass das Gremium, dem neben Krankenkassenvertretern auch Ärzte, Krankenhausvertreter und Patienten angehören, "die Verantwortlichen der Gemeinsamen Selbstverwaltung die Versorgungsrealität bei Alzheimer-Demenz berücksichtigen und im Interesse der Patienten und ihrer Angehörigen handeln."

 

Quelle

Memantin bei Alzheimer-Demenz. Abschlussbericht des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), 8. Juli 2009. 

Statement der Lundbeck GmbH vom 11. September 2009. 

Statement der Merz GmbH & Co. KGaA vom 10. September 2009. 

 

ck

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