DAZ aktuell

Medikamentenabhängigkeit

Bundesärztekammer: Mehr Bewusstsein für "stille Sucht"

BERLIN (ks). Die Bundesärztekammer (BÄK) hat vor einem leichtfertigen Umgang mit Medikamenten gewarnt. Während die legalen Drogen Tabak und Alkohol derzeit stark im Blickpunkt der Öffentlichkeit stehen, bleibt die Arzneimittelsucht meist im Verborgenen. Die BÄK will sowohl Patienten als auch Ärzte und andere Gesundheitsberufe anregen, vermehrt auf die Anzeichen dieser "stillen Sucht" zu achten. Dabei helfen soll ein neuer Leitfaden für Ärzte.

"Wir erliegen zu oft der Illusion, dass mit einer Tablette alle möglichen Befindlichkeitsstörungen beseitigt werden können", sagte Dr. Astrid Bühren, Vorsitzende des Ausschusses "Sucht und Drogen" der BÄK, anlässlich der Vorstellung des Leitfadens am 3. April in Berlin. Sie warnte, dass dieses unreflektierte Reparaturbedürfnis eine ursachengerechte Therapie verhindere und schnell zu einer Gewöhnung, schlimmstenfalls zu einer Abhängigkeit von Medikamenten führen könne. Der neue Leitfaden soll Ärzten nun Hilfestellung dabei geben, suchtgefährdete Patienten frühzeitig zu erkennen und eine bereits bestehende Medikamentenabhängigkeit richtig zu behandeln. Er wurde von der BÄK in Zusammenarbeit mit der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und Fachleuten des Suchthilfesystems sowie Vertretern von Patientenorganisationen erarbeitet.

Schon jetzt versucht jeder sechste erwachsene Bundesbürger mindestens einmal pro Woche mit einem Medikament sein Befinden zu verbessern – insbesondere mit Schlaf-, Beruhigungs- und Schmerzmitteln (die fachgerechte Versorgung mit Antidepressiva nimmt die BÄK aus – hier beklagt sie nach wie vor eine Unterversorgung). Experten schätzen, dass 1,5 bis 1,9 Millionen Menschen in Deutschland medikamentenabhängig sind – vor allem Frauen. Statistisch gesehen hat jeder Arzt in seiner Praxis täglich einen abhängigen und einen suchtgefährdeten Patienten vor sich. Der oft schleichende Prozess einer Abhängigkeit wird von der Außenwelt jedoch nur selten bemerkt. Die Symptomatik ist zumeist wenig dramatisch, erklärte Dr. Constanze Jacobowski, Co-Autorin des Leitfadens. Nicht nur den Ärzten, sondern auch den Patienten selbst falle es schwer, die Sucht zu erkennen. Und selbst wenn eine Abhängigkeit zweifelsfrei vorliegt, bedarf es einiger Geduld, den Patienten zu einem Entzug zu bewegen. Auch wenn die Mittel regelmäßig nur niedrigdosiert eingenommen werden – mit Entzugserscheinungen ist zu rechnen.

Hauptgefahr: Dauer-verordnung von Benzos

Spitzenreiter bei den süchtigmachenden Substanzen sind nach wie vor die Benzodiazepine, rund 80 Prozent der Erkrankten sind von diesen Mitteln abhängig. Sie werden vor allem bei unspezifischen Symptomen wie Niedergeschlagenheit, Unausgeglichenheit und Lustlosigkeit sowie Angst- und Stresssymptomen verschrieben. Obwohl bekannt ist, dass Benzodiazepine nur in bestimmten Fällen und nur über einen kurzen Zeitraum eingenommen werden dürfen, kommt es nicht selten zu einer Dauerverordnung. Abhängigkeit stellt sich auch rasch bei der nicht sachgerechten Einnahme von Mischanalgetika ein. Soweit es sich um Kombinationen von Schmerzmitteln mit Koffein handelt, sind diese Mittel in der Apotheke frei verkäuflich und die Sucht für Ärzte besonders schwer erkennbar. Grundsätzlich rät der Leitfaden, es gar nicht erst zur Arzneimittelsucht kommen zu lassen. Daher sollten sich Ärzte bei der Verordnung von Sedativa, Hypnotika, Tranquillanzien, Benzodiazepin-Analoga und Mischanalgetika stets die "vier K" als Merkhilfe vor Augen führen: Verordnung nur bei klarer Indikation, in der korrekten Dosierung, über kurze Zeit und kein abruptes Absetzen.

Der Leitfaden "Medikamente – schädlicher Gebrauch und Abhängigkeit" ist im Internet auf der Webseite www.bundesaerztekammer.de abrufbar.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.