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Suchtprobleme im Alter: Apotheken helfen bei der Früherkennung

BERLIN (ks). Wenn es um Suchtmittelmissbrauch geht, denkt man zumeist an jüngere Menschen. Über sie werden Statistiken geführt und sie sind Zielgruppe der meisten Präventionsangebote. Über Süchte bei älteren Menschen ist hingegen wenig bekannt. Das heißt jedoch nicht, dass Süchte im Alter keine Rolle spielen. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtgefahren (DHS) hat daher das Jahr 2006 zum Schwerpunktjahr "Missbrauch und Abhängigkeit im Alter" erklärt. Die Barmer Ersatzkasse unterstützt das Projekt. Sie setzt darauf, dass Hausapotheker und Hausärzte einen wesentlichen Beitrag zur Frühintervention bei älteren Abhängigen leisten können.

Das Schwerpunktjahr soll auf die Problematik von Suchterkrankungen und Suchtmittelmissbrauch im höheren Lebensalter aufmerksam machen und dafür sorgen, dass Ältere häufiger Hilfe in Anspruch nehmen können, erläuterte Dr. Raphael Gaßmann, stellvertretender Geschäftsführer der DHS, bei einer Pressekonferenz am 24. Januar in Berlin. Er wies darauf hin, dass niemand genau wisse, wie viele Frauen und Männer ab 60 Jahren tatsächlich von Suchtmittelmissbrauch und -abhängigkeit betroffen sind. "Sicher ist aber, dass Alkohol, Tabak und psychoaktive Medikamente ein gravierendes Problem auch unter älteren und alten Menschen sind", so Gaßmann.

Die DHS geht davon aus, dass mehr als zwei Millionen der über 60-Jährigen rauchen, bis zu 400.000 von einem Alkoholproblem betroffen sind und ein bis zwei Millionen gewohnheitsmäßig Psychopharmaka zu sich nehmen. Gaßmann bedauert, dass häufig die Ansicht geäußert werde, bei älteren Menschen käme jede Hilfe zu spät: "Ein gesundes Leben lohnt sich auch für Senioren und oft zeigen Verhaltensänderungen sehr schnell positive Effekte."

Hausapotheken und -ärzte gefragt

Auch Dr. Rüdiger Meierjürgen von der Barmer Ersatzkasse ist überzeugt, dass Suchtprävention im Alter ein bislang sträflich vernachlässigtes Thema ist. Dabei verlange die Problematik auch gerade im Hinblick auf die demographische Entwicklung verstärkte Aufmerksamkeit. Bei der Frühintervention und Früherkennung spricht Meierjürgen Ärzten und Apothekern eine wichtige Rolle zu. Sie müssten im besonderen Maße dafür sensibilisiert werden, Suchtprobleme älterer Menschen ernst zu nehmen. Er verwies darauf, dass vor allem Apotheker, die am Barmer-Hausarzt-/-Apothekenvertrag teilnehmen, helfen können, Süchte bei Älteren zu erkennen. So könnten anhand der Arzneimitteldokumentation Auffälligkeiten bei Verordnungen aufgespürt werden. Bemerkt ein Apotheker, dass besonders viele psychoaktive Substanzen verordnet werden, so habe er nach dem Vertrag die Pflicht, den Hausarzt zu benachrichtigen. Gerade multimorbide Menschen suchen häufig mehrere Ärzte auf und bekommen eine Vielzahl von Arzneimitteln verordnet, die für den Hausarzt nicht mehr überschaubar sind.

Meierjürgen kündigte an, dass in den kommenden Tagen die im Rahmen der DHS-Initiative entwickelten Broschüren in den Geschäftstellen der Barmer sowie in den Hausarztpraxen und Hausapotheken erhältlich sein werden.

Ärztliches Verordnungsverhalten überprüfen

Fakt ist bislang jedoch, dass einige Ärzte allzu schnell Arzneimittel mit Abhängigkeitspotenzial verordnen. In vielen Fällen mag dies auch indiziert sein – allerdings nur über einen begrenzten Zeitraum hinweg. Doch vor allem ältere Frauen nehmen häufig über Monate die süchtig machenden Medikamente. Die DHS appellierte daher an die Ärzteschaft, ihre Verordnungspraxis zu überprüfen.

Christine Sowinski vom Kuratorium Deutsche Altershilfe – das die Initiative ebenfalls unterstützt – betonte, dass ältere Menschen in ihrer Medikamentenabhängigkeit oft allein gelassen würden. Viele Ärzte klärten nicht genügend über das Suchtpotenzial von Medikamenten auf und erläuterten nicht, welche Wirkung es haben kann, Arzneimittel zusammen mit Alkohol einzunehmen.

Vielfach würden ältere Patienten im Krankenhaus mit Psychopharmaka "beruhigt", kritisierte Sowinski. Doch ein anschließendes schleichendes Absetzen des Medikaments ist meist Fehlanzeige. Und so stehen eine Reihe älterer Menschen alleine mit ihren Entzugserscheinungen da, wenn sie die Klinik verlassen. Dass vor allem ältere Frauen so häufig über einen viel zu langen Zeitraum mit Benzodiazepanen behandelt werden, führt Sowinski auch auf eine "mystische Vorstellung" vom Schlaf im Alter zurück. Dieser sei natürlicherweise flacher als bei jüngeren Menschen und so sei es nicht ungewöhnlich, dass Ältere öfter in der Nacht aufwachen und wieder einschlafen.

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