Biochemie

H. J. Roth Vitamine – kalter Kaffee?

Opa, du sitzt schon wieder an deinem Laptop. Soll es ein neues Glossay werden? Nein, ich will etwas zum Thema Vitamine schreiben.

Darüber ist doch schon alles gesagt und vieles, ja sogar zu vieles geschrieben worden! Das ist doch kalter Kaffee. Oder meinst du: "Es ist zwar schon alles gesagt, nur noch nicht von mir!"

Den leicht provokanten Ton will ich überhören, wenn ich davon ausgehen kann, dass du Argumenten zugänglich bist. Gerade, wenn so viel darüber publiziert wurde und wird, ist es sinnvoll und für mich reizvoll, zu resümieren, Schwerpunkte zu setzen, zementierte Irrtümer zu berichtigen und die Spreu vom Weizen zu trennen. Außerdem haben sich die Themen der Diskussion verschoben. Heute sind es die Fragen nach der Optimierung und dem Sinn der Supplementierung durch Vitamine, worüber in Deutschland oder den USA aktuell berichtet wird.

Dann will ich dir mal ein paar kritische Fragen stellen, auf die ich kurze und klare Antworten erwarte: Warum spricht man überhaupt von Vitaminen, wo doch einige dieser "für das Leben essenziellen Amine" gar keinen Stickstoff enthalten und deshalb keine Amine sein können?

Das hat – wie so oft bei der Namensgebung von sekundären Naturstoffen – historische Gründe. 1896 stellte der niederländische Mediziner Chris–tian Eijkman fest, dass ein wässriger Extrakt aus Reiskleie die Mangelkrankheit Beri-Beri heilen konnte, die in Japan und auf Java aufgetreten war, nachdem man dort die Reisschälmaschine eingeführt hatte.

1911 isolierte der polnische Chemiker Casimir Funk aus dem Extrakt die wirksame Verbindung, die Stickstoff enthielt, also im weitesten Sinne ein Amin war, und nannte sie "Beri-Beri-Vitamin" – von vita (das Leben) und Amin (organische N-haltige Verbindung).

In den Folgejahren wurde die Bezeichnung "Vitamin" für weitere Naturstoffe, die Mangelerkrankungen verhüten oder heilen, übernommen, auch wenn sie keine Amine waren. Übrigens sind die zur B-Gruppe gehörenden acht Vitamine alle stickstoffhaltig, während die übrigen fünf Vitamine keinen Stickstoff enthalten.

Welches Vitamin war denn das erste und wie hat man Ordnung in den gemischten Salat der Vitamin-Namen gebracht?

Das erste war das von Funk entdeckte Beri-Beri-Vitamin, das 1926 in reiner Form – nämlich als Thiamin – isoliert werden konnte und den Kurznamen Vitamin B erhielt, nachdem bereits 1920 die Ascorbinsäure als Vitamin C bezeichnet worden war.

Bei der Untersuchung Vitamin-B1-haltiger Nahrungsmittel erkannte man, dass es –daneben noch weitere stickstoffhaltige Faktoren mit Vitamin–charakter gab. Man nannte sie dann Vitamin B2, B3, B4 etc. Wenn heute nur noch die B-Vitamine mit den Indizes 1, 2, 6 und 12 ver–wendet werden, so hängt das damit zusammen, dass sich die Bezeichnungen

  • B3 für Niacin,
  • B5 für Pantothensäure,
  • B7 für Biotin und
  • B9 für Folsäure

nicht durchgesetzt haben und die B-Faktoren mit den Indizes 4, 8, 10, 11, 13, 14, 15 und 17 sich später als Pseudovitamine erwiesen haben.

Bis 1941 wurden viele weitere Vitamine und –Pseudovitamine mit anderen Großbuchstaben des Alphabets belegt; davon sind A, C, D, E und K als echte Vitamine übrig geblieben.

Irgendwo hab' ich mal gelesen, dass das Vitamin C als erstes Vitamin bekannt wurde; stimmt das denn?

Im Prinzip ja, nur waren die Zusammenhänge noch nicht klar und der Wirkstoff noch nicht isoliert. Etwa 150 Jahre vor der Isolierung von Vit–amin B1 berichtete der englische Marinearzt James Lind über – heute würde man sagen – kontrollierte Untersuchungen mit Seeleuten, die ergaben, dass der regelmäßige Genuss von Zitrusfrüchte-Säften das Auftreten des Skorbuts verhinderte, was – wie sich später herausstellte – auf dem Vitamin-C-–Gehalt der Säfte beruhte. Die Reinisolierung gelang erst 1926 dem ungarischen Chemiker Albert Szent-Györgyi.

Aha, so war das also. Es soll ja eine Menge Stoffe geben, die als Vitamine bezeichnet wurden, aber keine sind – und wie viele Vitamine gibt es heute definitiv?

Bei zahlreichen Stoffen hat man zuerst angenommen, sie hätten Vitamincharakter, was sich später als Irrtum herausstellte, da sie nicht der eindeutigen Definition für Vitamine entsprachen:

Vitamine sind niedermolekulare Verbindungen mit katalytischer oder regulatorischer Funktion für den Stoffwechsel des menschlichen Körpers, die von ihm selbst nicht oder nicht in ausreichender Menge produziert werden können und ihm deshalb von außen, in der Regel mit der Nahrung zugeführt werden müssen.

Dieser Definition entsprechen die 13 echten Vitamine, die ich schon genannt habe. Zu den Pseudovitaminen zählen (Synonyme in Klammern):

Vitamin B4 (Adenin), Vitamin B8 (AMP), Vit–amin B10 (4-Aminobenzoesäure), Vitamin B11 (Carnitin), Vitamin B13 (Orotsäure), Vitamin B14 (Xanthopterin), Vitamin B15 (Pangamsäure), Vit–amin B17 (Amygdalin), Vitamin F (mehrfach un–gesättigte, essenzielle Fettsäuren), Vitamin I (myo-Inositol), Vitamin J (Cholin), Vitamin N (Liponsäure), Vitamin P (Gemisch von Flavonoiden), –Vitamin Q (Coenzym Q), Vitamin T (Carnitin) und Vit–amin U (Methionin).

"Pseudo" heißt doch so viel wie falsch, unecht, vorgetäuscht . . . Richtig. Pseudovitamine werden auch als falsche Vitamine oder Vitaminoide bezeichnet, wobei das Letztere mit "Vitamin-ähnlich" zu übersetzen wäre. Das Falsche daran ist, dass sie nicht der Definition für Vitamine entsprechen: "essenzielle Mikronährstoffe, die der Köper selbst nicht oder nicht in ausreichendem Maße produzieren kann."

Die für den Stoffwechsel unverzichtbaren Pseudovitamine, beispielsweise Adenin, Carnitin, Cholin oder Coenzym Q, kann der menschliche Organismus in der Regel selbst synthetisieren, sofern nicht eine bestimmte Stoffwechselerkrankung vorliegt. Müssen alle Vitamine organische Verbindungen sein und sollte man die essenziellen Spurenelemente nicht auch zu den Vitaminen zählen?

Ich habe wohl bei der Definition der Vitamine das Wort "organische" vergessen! Die nicht unbedingt notwendige Abgrenzung beruht auf Konventionen. Schließlich erfüllen auch die Spurenelemente katalytische und regulatorische Funktionen und müssen dem Körper von außen zugeführt werden.

Das lässt mich an eine interessante Parallele denken. Man hat Jahre lang nach der Struktur des EDRF (Endothelium Derived Relaxing Factor) als gefäßerweiterndes Gewebshormon gesucht und sie nicht gefunden, weil man in der Vorstellung be–fangen war, es müsste ein Peptid oder wenigstens –eine organische Verbindung sein. Erst sehr spät wurde erkannt, dass dieser Faktor identisch ist mit dem winzigen anorganischen Stickstoffmonoxid (NO).

Und wie steht es mit dem Makulären Pigment, das aus zwei nicht zu den Vitaminen gerechneten Carotinoiden, dem Lutein und dem Zeaxanthin, besteht?

Beide wären in der Tat definitionsgemäß zu den Vitaminen zu zählen. Sie verleihen der Makula den für den Sehvorgang unersetzbaren gelben Fleck, können von Mensch und Säugetier nicht synthetisiert werden, stellen wie die Vitamine essenzielle Mikronährstoffe dar und führen bei Mangel, besonders bei älteren Menschen, zu einer degenerativen Augenerkrankung. Allerdings wurde vor einigen Jahrzehnten beschlossen, die Bezeichnung "Vitamin" auf die bis 1941 entdeckten klassischen 13 Vitamine zu beschränken.

Sind Vitamine Arzneimittel oder Lebensmittel; gehören sie in die Apotheke oder in den Supermarkt?

Nach der Definition des Arzneimittelgesetzes sind Arzneimittel "Stoffe, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen Körper Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen" (§ 2 AMG). Dazu gehört auch die Substitution von Faktoren, deren Defizit eine Mangelerkrankung auslösen kann. –Also sind Vitaminpräparate, wenn sie für solche medizinischen Indikationen bestimmt sind, zu den Arzneimitteln zu zählen. Allerdings sind reine Vor–beugungsmittel, obwohl sie Arzneimittel sind, von der Apothekenpflicht befreit (§ 44 AMG); das gilt auch für einige Vitaminpräparate. Zudem ist es erlaubt, Vitaminpräparate nicht als Arzneimittel, sondern als Nahrungsergänzungsmittel (entsprechend der Nahrungsergänzungsmittel-Verordnung) in den Verkehr zu bringen; sie dürfen dann bezüglich ihres Wirkstoffgehalts die Richtwerte der zuständigen Institutionen nicht überschreiten, die sich von Land zu Land unterscheiden, was sowohl auf die Vitamindosierungen als auch auf die Institutionen zutrifft!

Wie ist es möglich, dass die Vitamine an total verschiedenen Stellen in den Stoffwechsel eingreifen?

Das entspricht ganz ihrer molekularen Struktur. Der erste und auffälligste pharmazeutisch-chemische Aspekt ist die strukturelle Verschiedenheit und Vielseitigkeit der Vitamine.

  • Vitamin A ist ein Diterpen;
  • die Vitamine der B-Gruppe sind eine "Gemeinschaft" stickstoffhaltiger, aber ansonsten sehr heterogener Verbindungen. Scherzhafterweise könnte man sagen: Was die Vitamine der B-Gruppe verbindet, ist ihre strukturelle Verschiedenheit;
  • Vitamin C ist ein oxidierter Zucker;
  • die Vitamine D sind aufgeschnittene Steroide –(Seco-Steroide);
  • die Vitamine E sind Hydrochinon-Derivate mit terpenoider Seitenkette, und
  • die Vitamine K stellen alkylsubstituierte Naphthochinone dar.

Warum sprichst du in dieser Synopse einmal von Vitamin und dann von Vitaminen?

Es gibt beispielsweise nur ein einziges Vitamin C, aber zwei Vitamine D, das D3 (Colecalciferol) und das D2 (Ergocalciferol), die sich bei gleicher Wirkung lediglich in der Seitenkette unterscheiden. Analoges gilt für die Vitamine K.

Vitamin E ist ein Sammelbegriff für mehrere Tocol-Derivate, die sich auch stereochemisch und in ihrer biologischen Aktivität unterscheiden.

Apropos Stereochemie: Man hat uns erzählt, dass die Funktionsträger des Körpers wie Hormone, Enzyme, Transmitter, Phospholipide, Prostaglandine, Regulatorische Peptide, die DNA, Modulatoren, Zytokine usw. aus homochiralen Bausteinen konstruiert sind und deshalb unterschiedlich mit Enantiomeren reagieren. Müssten dann nicht alle Vitamine definierte Enantiomere chiraler Wirkstoffe sein?

Biochemische Prozesse, die im asymmetrischen Milieu ablaufen, weil die Kompartimente aus homochiralen Bausteinen konstruiert sind, können auch nur durch asymmetrische, stereochemisch eindeutig definierte Moleküle gesteuert werden. So besitzen auch acht Vitamine ein Chiralitäts–zentrum oder sogar mehrere, nämlich B2, B12, Biotin, Pantothensäure, C, D, E und K1. Allerdings sind sechs Vitamine achiral.

Sechs plus acht sind nach Adam Riese vierzehn! Es gibt aber doch nur 13 Vitamine . . . Die Diskrepanz kommt dadurch zustande, dass im Vitamin K1 die Seitenkette chiral ist, in den Vitaminen K2 und K3 jedoch nicht. Also muss Vitamin K in beiden Gruppen genannt werden.

Was ist dann los mit den achiralen Vitaminen – wirst du fragen wollen, ihnen fehlt doch jeder stereochemische Informationsgehalt!?

Dem ist natürlich nicht so, denn – wie wir wissen – stellen die meisten Vitamine Coenzyme dar, die dann, wenn sie ihre funktionelle Rolle entfalten, bereits in chirale Moleküle eingebaut sind.

Kommen wir von den highly sophisticated Diskussionen wieder zurück auf den Boden verständlicher und praxisrelevanter Fragen. Wie steht es mit dem täglichen Vitaminbedarf?

Man ist auch heute noch nicht in der Lage, ganz exakte Angaben zum täglichen Vitaminbedarf zu machen, denn wenn der Bedarf nicht gedeckt ist, führt dies nicht gleich zu klinischen Mangel–erscheinungen. Die Empfehlungen bezüglich der Vitaminzufuhr, die von staatlichen Institutionen oder wissenschaftlichen Gesellschaften ausgesprochen werden – in der Bundesrepublik ist es die DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) – beruhen (Zitat) "auf der Messung oder Schätzung zugänglicher Parameter" und gelten für gesunde Menschen mit durchschnittlicher Lebensweise für ein durchschnittliches mitteleuropäisches Klima.

Die Empfehlungen verschiedener Länder unterscheiden sich z. T. beträchtlich, was nicht nur auf die genetischen oder biologischen Unterschiede oder die unterschiedlichen Lebensweisen der –einzelnen Populationen zurückzuführen ist. Es herrscht hier eine deutliche Unsicherheit.

In der Zeitung kritisieren Fachleute immer wieder den angeblich zu hohen Vitaminverbrauch; sie scheinen gar nicht unsicher zu sein . . .

Wenn selbsternannte "Arzneimittelfachleute" und Artikelschreiber, die ihr Geld nach dem Motto "only bad news are good news" verdienen, sich –diese Unsicherheiten zunutze machen und sich über einen "Vitaminschwindel" äußern, dann sind sie schlecht informiert, haben schlampig oder überhaupt nicht recherchiert und ignorieren, dass der Vitaminbedarf bei Schwangeren, Stillenden, Sportlern, Rauchern, Senioren, Kranken oder Umweltbelasteten erheblich höher liegt. In allen solchen Fällen ist die Dosierung der Vitamine wesentlich, manchmal sogar drastisch zu erhöhen.

Es ist auch oft die Rede von der Überlegenheit der natürlichen über die synthetischen Vitamine; was sagst du dazu?

Was in Publikationen für Laien und in Werbe–prospekten immer wieder diskutiert wird, sind Wirkungsunterschiede zwischen "natürlichen" und "synthetischen" Vitaminen, wobei es fast immer um die Vitamine C und E geht. Die Diskussionen werden emotional geführt, und die Behauptung, dass natürliche Vitamine besser oder wirksamer seien als synthetische, ist wissenschaftlich nicht haltbar, wenn es sich dabei um identische Wirkstoffe handelt.

L-Ascorbinsäure ist L-Ascorbinsäure, gleichgültig, ob sie teuer aus der Acerolakirsche isoliert oder preiswert im großtechnischen Maßstab synthetisiert wird.

Warum fragt nicht mal ein origineller Journalist danach, ob es vielleicht auch ein synthetisches Vitamin gibt, das besser wirkt als sein natürlicher Verwandter. Mir würde dazu die Folsäure einfallen. Um die unterschiedliche Bioverfügbarkeit der Folsäure-Derivate in Nahrungsmitteln zu berücksichtigen und eine verlässliche Bezugsgröße zu erhalten, wurde der Begriff "Folat-Äquivalent" eingeführt: 1 µg Nahrungs-Folat entspricht 1 µg Folat-Äquivalent. Es ist erwiesen, dass nur 0,5 µg synthetischer Folsäure 1 µg Folat-Äquivalent entsprechen. Dass das synthetische Vitamin doppelt so wirksam ist wie das natürliche, hängt damit zusammen, dass in der Nahrung die Folsäure in Form von Oligo- bis Poly-Glutamaten vorliegt.

Können bestimmte Vitamine den schädlichen Oxidativen Stress verhindern? Fällt dir hierzu auch etwas Schlaues ein?

Unter Oxidativem Stress versteht man die Schädigung durch reaktive Sauerstoffspezies, in erster Linie durch Sauerstoffradikale, die bestimmte Biomoleküle oder ganze Zellen betreffen kann. Das Gleichgewicht zwischen Bildung und Inaktivierung der reaktiven Sauerstoffspezies ist gestört.

Zur Abwehr unterhält der menschliche Organismus verschiedene antioxidative Enzymsysteme und ein Reservoir an Antioxidanzien, die endogen oder exogen zur Verfügung stehen. Die drei wichtigsten exogenen Antioxidanzien sind zwei Vitami–ne und ein Provitamin: Vitamin C, Vitamin E und Beta-Carotin.

  • Vitamin C (L-Ascorbinsäure) ist der ideale Radikalfänger. Bei Interaktionen mit Radikalen wird die Ascorbinsäure leicht und rasch zum Mono-Dehydroascorbinsäure-Radikal oxidiert. Das Besondere dabei ist, dass sich dieses Radikal zu Ascorbinsäure und Dehydroascorbinsäure disproportioniert, sich also selbst entschärft und dabei zur Hälfte regeneriert.
  • Reines Vitamin E ist identisch mit R,R,R-α–Tocopherol, das auch stereoselektiv synthetisiert werden kann. Natürliche Vitamin-E-Chargen enthalten daneben β-, γ- und δ-Tocopherole mit geringerer biologischer Wirkung. Die Tocopherole sind wie die Ascorbinsäure sehr wichtige Antioxidanzien, die im Organismus einen unspezifischen Oxidationsschutz für Lipide, Hormone und Vitamine ausüben. Von besonderer Bedeutung ist die antioxidative Protektion von Membranlipiden. Das in die Membranen eingelagerteα-Tocopherol kann am Ort des –Geschehens Radikale abfangen und dabei selbst in das mesomeriestabilisierte α-Tocopheroxyl-Radikal übergehen. Dieses Radikal ist langlebig genug, um im Wechselspiel mit Ascorbinsäure oder Ubichinonen regeneriert zu werden.
  • Beta-Carotin wird enzymatisch in zwei Moleküle Vitamin A gespalten und heißt deshalb Provitamin A. Es ist aber mehr als ein Prodrug, denn es schützt die Zellen vor der Einwirkung reaktiver Sauerstoffspezies und des angeregten Singulett-Sauerstoffs. Das beruht zum Teil auf der Bildung resonanzstabilisierter Carotinoid-Radikale und zum anderen auf der Fähigkeit, den energetisch angeregten und potenziell schädlichen Singulett-Sauerstoff zu quenchen oder "auszulöschen", das heißt: wieder in seinen Grundzustand zu überführen. Bei diesem physikochemischen Prozess nimmt das Carotinoid Energie auf, die es dann in Form von Wärme an seine Umgebung abstrahlt. Dadurch regeneriert es sich, ohne verbraucht zu werden.

Demnach ist Beta-Carotin etwas durch und durch Nützliches und Gesundes!?

Ausnahmen bestätigen die Regel! Nach derzeiti–gen Erkenntnissen erhöht Beta-Carotin, wenn es hochdosiert verabreicht wird, bei Rauchern wahrscheinlich das Lungenkrebs-Risiko. Also müsste man alle Raucher vor Beta-Carotin warnen!

Besser noch, man warnt sie vor dem Rauchen. Spaß beiseite; grundsätzlich sollte vermieden werden, Studien, die nur einen Teilaspekt einer Vitaminfunktion fokussieren, als Basis für die Gesamtbeurteilung der Einnahme von Vitaminpräparaten zu werten.

In zwei groß angelegten Interventionsstudien [1, 2] konnten die Folgen des Tabakrauchens auf die Lungenfunktion durch die Einnahme von antioxidativen Nährstoffen wie Beta-Carotin ebenso wenig verhindert werden wie die Entstehung von Lungenkrebs sowie in einigen Fällen die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Allerdings wurde der Lungenkrebs nicht, wie die Darstellung der Ergebnisse dieser Studien manchmal vermuten lässt, durch die Einnahme der Vitamine hervorgerufen, sondern durch den langjährigen Tabakkonsum bzw. die langjährige Belastung mit Asbeststaub in den untersuchten Patientenkollektiven.

Können alle Vitamine unbedenklich genommen werden oder treten auch Hypervitaminosen auf? Gibt es toxische Vitamine?

Auch hier gilt prinzipiell der Lehrsatz von Paracelsus: "Alle ding sind gift und nichts ist on gift; alein die dosis macht das ein ding kein gift ist." Mit Ausnahme des Vitamin B6, bei dem Interaktio–nen mit bestimmten Arzneistoffen erfolgen können, gelten die wasserlöslichen Vitamine als untoxisch. Bei extrem hohen Dosierungen von Vitamin B6 (50 mg pro Tag) kann eine sensorische Polyneuropathie auftreten [3]. Die empfohlene Tagesdosis für einen Erwachsenen liegt bei 1,2 mg.

Bei den fettlöslichen Vitaminen ist generell Vorsicht geboten. Die Vitamine A und D sind bei Überdosierung sehr wohl giftig. Unter anderem wurde über zwei Forscher berichtet, die sich in der Antarktis einige Male an köstlicher Eisbärenleber labten und darauf durch Hypervitaminosen A und D unter qualvollen Umständen zu Tode kamen.

Besteht dann nicht auch die Gefahr, dass man sich mit den Fischölen vergiften kann, die heute zur Prophylaxe und Therapie von Atherosklerose und Bluthochdruck empfohlen werden?

Nein, denn es handelt sich dabei nicht um den Vitamin-A- und Vitamin D-reichen Lebertran, sondern um Öle aus dem Muskelfleisch, die zwar reich an mehrfach ungesättigten Fettsäuren sind, aber keine lipophilen Vitamine enthalten.

Welches Vitamin ist das wichtigste und welches wird am meisten konsumiert? Da im Stoffwechsel alle Vitamine essenzielle Funktionen zu erfüllen haben, ist die Frage nach dem wichtigsten unsinnig oder falsch gestellt. Dagegen macht die Frage nach der Häufigkeit oder dem Umfang des Konsums durchaus einen Sinn. Es ist wohl die Ascorbinsäure (Vitamin C), die hierbei den Vogel abschießt.

Doch wenn wir fragen, wer besonders viel Vitamin C verarbeitet, dann ist es nicht die Pharma-Industrie, sondern die Lebensmittel-Industrie. Vitamin C wird eingesetzt zur Stabilisierung von Getränken, zum Qualitätserhalt von Obst-, Gemüse- und Pilzkonserven, in der Weinbereitung, in der Bierbrauerei, bei der Bitte "Unser täglich Brot gib uns heute" und vor allem bei der Pökelung von Fleisch und Fleischwaren. Dabei wird die Umrötung beschleunigt und die Nitrosaminbildung verhindert. Jedenfalls ist die Fleischwaren-Industrie der größte Verbraucher von Vitamin C in der Lebensmittelindustrie.

Mal was anderes. Stimmt es eigentlich, dass Hunde kein Vitamin C brauchen? So formuliert, nicht. Hunde (und einige andere Tierspezies) brauchen sehr wohl Vitamin C, können es jedoch auf enzymatischem Wege selbst synthetisieren. Dem Menschen fehlt das betref–fende Enzym, die L-Gulonlacton-Oxidase.

Also könnte man den Menschen als degenerierten Hund betrachten! Sagen wir lieber: als Mangelmutanten eines Primaten! Es wird manchmal behauptet, Vitamin D und z.T. auch Vitamin A seien gar keine Vitamine, sondern Hormone; kannst du mir das erklären? Natürlich!

Nehmen wir das Colecalciferol (Vitamin D3) als Prototyp. Die Wirkform ist das Calcitriol, das daraus durch zweifache Hydroxylierung entsteht und zu Recht als D-Hormon bezeichnet wird. Es bindet nämlich, um seine Wirkungen zu entfalten, an einen nukleären Rezeptor und beeinflusst gezielt die Genexpression und Proteinsynthese der Zelle. Vitamin A und sein Aldehyd Retinal zeigen keine Hormonwirkung. Vitamin-A-Säure (Retinsäure) dagegen entfaltet ihre Wirkung als Regulator der Zellproliferation und Zelldifferenzierung wie das D-Hormon über die Aktivierung nukleärer Rezeptoren.

Einige Hersteller von Vitaminpräparaten bieten Vitamin C und die B-Vitamine in retardierter Form an. Macht das Sinn, wie man heute zu sagen pflegt, oder würde man mit einer moderaten Dosis–erhöhung nicht den gleichen Effekt erzielen?

Da mit steigender Dosis die Resorptionsquote der wasserlöslichen Vitamine sinkt, ist die mehrmalige Gabe kleiner Vitamindosen wesentlich günstiger als eine hohe Einzeldosis, sie ist jedoch auch umständlicher, was die Compliance verschlechtert. Dagegen gewährleisten Retardpräparate, die den Wirkstoff bei einmaliger Gabe einen Tag lang kontinuierlich freisetzen, einen konstanten Blutspiegel.

Warum retardiert man dann nicht auch die fett–löslichen Vitamine, zumal einige davon, wie du gesagt hast, bei zu hoher Dosierung toxisch sind?

Weil wasser- und fettlösliche Vitamine nach einer ganz unterschiedlichen Kinetik verstoffwechselt werden. Fettlösliche Vitamine können im Körper gespeichert werden, was eine Retardierung überflüssig macht. Wasserlösliche Vitamine hingegen sind nicht speicherbar, weshalb ihre Retardierung sinnvoll ist.

Im November 2004 warnte Spiegel-online vor der Einnahme von Vitamin-E-Kapseln auf Grund einer Meta-Analyse, die von E. Miller auf einer Tagung der American Heart Association in New Orleans vorgestellt wurde. Was ist dran?

Antworten gaben der Council for Responsible Nutrition [4] und die Gesellschaft für angewandte Vitaminforschung e.V. [5]. Sie zeigten, dass der behauptete Anstieg der Mortalität von Patienten, die täglich 400 mg Vitamin E einnehmen, nicht haltbar ist. Auch wenn die um E. Miller gescharten Autoren der Johns-Hopkins-Universität angehören, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sie in erster Linie Aufmerksamkeit erregen und Vitamin-E-Konsumenten verunsichern wollten. Die durchgeführte Meta-Analyse beruht auf einer Kombination von 19 bereits publizierten Einzelstudien, von denen 18 keinen statistisch signifikanten Anstieg der Mortalität zeigten. Das verwendete "quadratic-linear spline model" ist ein Analysenverfahren, von dem bekannt ist, dass es das Risiko höher als den Nutzen bewertet. Andere statistische Modelle hätten mit ziemlicher Sicherheit zu anderen Ergebnissen geführt. Sämtliche Studien wurden an Personen durchgeführt, die bereits einer Hochrisikogruppe angehörten. Schließlich gestehen auch die Autoren ein, dass sich die Ergebnisse ihrer Meta-Analyse nicht auf gesunde Erwachsene übertragen lassen.

Ich glaube, für heute reichen mir die speziellen Informationen. Wo finde ich zusammenfassende Darstellungen zum Thema Vitaminsupplementierung, denn darum geht es doch heute in erster Linie, wenn die Sprache auf das Thema Vitamine kommt?

Ich werde dir ein kleines Literaturverzeichnis zusammenstellen. Danke Opa, war gar nicht so schlecht, und ich habe gelernt, dass man die Dinge entgegen dem Trend der Zeit nicht immer nur negativ sehen muss. Doch nun will ich dich nicht weiter stören, damit du deinen Aufsatz über die Vitamine schreiben kannst.

Vor 95 Jahren wurde der Begriff "Vitamin" geprägt. Über diese essenziellen Nährstoffe ist schon viel geforscht und geschrieben worden, aber nicht nur von unabhängigen Wissenschaftlern, sondern auch von selbsternannten Experten. Da Vitaminpräparate innerhalb der Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel eine wichtige Sparte darstellen, beeinflussen auch wirtschaftliche Interessen den öffentlichen Disput. Einige Klarstellungen zum Thema finden Sie in dem Beitrag aus der Feder von Professor Roth. Er führte ein Zwiegespräch mit seiner Enkeltochter zum Thema Vitamine. Aus dem Gespräch erfahren wir viel Wissenswertes über diese essenziellen Stoffe.

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