Betreuung

J. WerneckeAmputation – nein danke! Diabetisch

Selbständigkeit und Unabhängigkeit tragen entscheidend zur Lebensqualität bei. Sie beruhen nicht zuletzt auf der individuellen Mobilität und sind erheblich eingeschränkt, wenn ein Fuß amputiert worden ist. Bei Patienten mit Diabetes mellitus wird eine Fußamputation etwa 20- bis 50-mal häufiger vorgenommen als bei anderen Menschen [1]. Dieses Ereignis ist für die Patienten besonders gravierend, weil körperliche Bewegung neben der gesunden Ernährung zur Basistherapie bei Diabetes mellitus gehört. Wie können wir dieser menschlichen Katastrophe entgegentreten? Welche Besonderheiten speziell auch im Bereich der Fußpflege der Patienten sind für den Apotheker von Bedeutung?

Nach neueren Schätzungen der AOK werden in Deutschland pro Jahr etwa 45.000 Amputationen vorgenommen, davon schätzungsweise 37.000 bei Menschen mit Diabetes und etwa 34.000 wegen eines diabetischen Fußsyndroms (DFS). Die Hälfte der durch ein DFS verursachten Amputationen könnte verhindert werden [4].

Volkswirtschaftlicher Schaden

Neben dem individuellen Leid der Patienten ist das DFS auch von erheblicher volkswirtschaftlicher Bedeutung: Für eine Amputation trägt die Solidargemeinschaft einen Mehraufwand gegenüber einer erfolgreichen konservativen Versorgung von etwa 23.000 Euro [2]. Insgesamt entsteht so pro Jahr in Deutschland ein vermeidbarer finanzieller Mehraufwand von ca. 250 Mio. Euro. Wenn sich die Prophylaxe nicht deutlich verbessert, werden die Kosten aufgrund der steigenden Lebenserwartung und der geschätzten Verdopplung von Diabetes-Neuerkrankungen bis zum Jahre 2025 dramatisch zunehmen.

Der Apotheker im "Fuß-Netzwerk"

Fehlende Kenntnisse und fehlendes Problembewusstsein der Patienten begünstigen das DFS ebenso wie Fehler der behandelnden Personen. Ein Hauptproblem beim DFS ist die gut gemeinte, aber meistens zum Misserfolg führende Behandlung durch Einzelkämpfer. Aufgrund seiner Komplexität ist dieses Krankheitsbild nur im berufsgruppenübergreifenden Ansatz zu bewältigen, das heißt: Patient, Angehörige, Hausarzt, Diabetologe, Radiologe, Mikrobiologe, Angiologe, (Gefäß-)Chirurg, Podologe/Fußpfleger und letztlich auch der Apotheker, der den Patienten bei Fragen der Fußpflege und Auswahl geeigneter Produkte berät, müssen ein "Fuß-Netzwerk" aufbauen.

Ursachen des diabetischen Fußsyndroms

Polyneuropathie (PNP)

Nicht die Angiopathie, wie vielfach angenommen, sondern die diabetische Polyneuropathie (PNP), die Zerstörung von Nervengewebe durch jahrelang erhöhte Blutzuckerwerte, ist die Hauptursache des DFS [5]. Die diabetische PNP beginnt mit mangelndem Schmerz- und Temperaturempfinden. Kleinere Bagatellverletzungen können ohne die Alarmfunktion einer gesunden Schmerzempfindung erste Hautgeschwüre initiieren, die durch Sekundärinfektionen am Ende eine Amputation zur Folge haben.

Funktionseinschränkungen des autonomen Nervensystems führen über mangelnde Schweißbildung zu trockener, leicht traumatisierbarer Haut. Kleine Fissuren entwickeln sich schnell zu sekundär infizierten Ulzerationen. Bei alten Menschen, die schon ohne Diabetes mellitus eine verminderte Drüsensekretion mit trockener und rissiger Haut aufweisen, ist diese Komponente der PNP entsprechend stärker ausgeprägt.

Verkürzungen der kleinen Fußmuskulatur als Folge der diabetischen PNP führen zu Deformitäten mit Spreiz- und Hohlfuß, Krallenzehen und Hallux valgus, Sehnenverkürzung und Hallux rigidus. Die Abrollvorgänge beim Laufen werden verändert, die Fußsohle wird atypisch und punktuell abnorm hoch belastet. Typischer Ort für ein Druckgeschwür ist daher auch der Großzehballen (Tab. 1).

Angiopathie


Die zweithäufigste Ursache des DFS ist eine Makroangiopathie, die periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK); sie ist beim Diabetiker stärker ausgeprägt als beim Nichtdiabetiker. Die Prognose eines arteriosklerotisch bedingten DFS ist deutlich schlechter als die Prognose eines rein neuropathisch bedingten DFS [2], aber noch besser als bei einer Kombination von pAVK und PNP.

Die diabetische Mikroangiopathie mit vollständigem Verschluss der kleinsten Arteriolen tritt in den Nieren und Augen, aber nicht im Fuß auf [3]. Es wäre eine Fehldiagnose, die Mikroangiopathie für eine Druckschädigung am Fuß verantwortlich zu machen, und ebenso falsch wäre die Therapieempfehlung "laufen Sie viel!", denn sie bringt keinen Nutzen und erhöht das Risiko von Läsionen, die der Patient mit PNP nicht bemerkt.

Venenschwäche


Eine besonders im Alter häufig vorkommende Komponente des DFS ist die venöse Insuffizienz. Sie behindert die Wundheilung, und zwar nicht nur der typischen Ulcera cruris, sondern auch der anderen Fußläsionen. Liegt zugleich eine pAVK vor, ist die sonst effektive Therapie der Kompression durch elastische Wickel nicht anzuraten, weil diese die Restdurchblutung unterbinden würde.

Infektion


Die Auswirkung einer Infektion auf das DFS wird immer wieder unterschätzt. Bei einer reinen Polyneuropathie kann eine infizierte Bagatellverletzung über eine bakteriell bedingte Thrombosierung von Endstreckengefäßen zum Absterben ganzer Zehen führen, obwohl keine pAVK vorliegt. Wenn nicht schon das Vollbild einer Nekrose mit schwarzem, abgestorbenem Gewebe vorliegt, kann diese Entwicklung mit konsequenter Intervention unterbrochen werden, andernfalls ist eine Amputation erforderlich.

Handicaps

Ältere Patienten mit typischen Handicaps wie Sehbehinderung, Bewegungseinschränkung oder beginnender Demenz haben ein besonders großes Risiko, kleine Bagatellverletzungen zu ignorieren. In einer Untersuchung an älteren Patienten konnten 80% der Teilnehmer wegen motorischer, visueller und kognitiver Handicaps ihre Füße nicht selbst inspizieren [6].

Die sonst so hilfreiche Lebenserfahrung eines alten Menschen leitet ihn bei einer Fußverletzung mit Störung der Schmerzempfindung in die Irre. Er denkt: Was nicht schmerzt, kann auch nicht so schlimm sein.

Multimorbidität

Multimorbidität verursacht und beeinflusst die Entwicklung eines DFS: Bei Herzschwäche können plötzlich Fußödeme auftreten, worauf die zu engen Schuhe innerhalb weniger Stunden ausgeprägte Druckschäden verursachen können.

Mangelernährung, ein Hauptproblem hochbetagter Patienten, lässt eine Wunde trotz bester Wundversorgung und Druckentlastung nicht abheilen.

Diagnostik des DFS

Die Basisdiagnostik umfasst neben einer gründlichen Erhebung der Krankengeschichte und Untersuchung der Füße das Tasten der Fußpulse sowie die Prüfung der Sensibilität durch ein Semmes-Weinstein-Monofilament und des Vibrationsempfindens mittels einer 128-Hertz-Stimmgabel. Ergänzende Maßnahmen sind ein Wundabstrich zur Gewinnung eines Antibiogramms für den gezielten Antibiotikaeinsatz sowie eine Röntgenaufnahme zum Ausschluss von Knocheninfektionen. Bei fehlenden Fußpulsen sind weitergehende Untersuchungen von der Verschlussdruck-Doppler- und Farbduplexsonographie bis hin zur Gefäßdarstellung mit einem Röntgenkontrastmittel notwendig.

Therapie des DFS

Die Behandlung des DSF erfolgt interdisziplinär. Dabei steht die Druckentlastung der Füße im Vordergrund. Ein "Gehtraining", wie für Patienten mit pAVK mit Belastungsschmerzen, ist absolut kontraindiziert. Zur Druckentlastung können Bettruhe, Fahren im Rollstuhl oder in weniger schweren Fällen auch Vorfuß- oder Fersen-Entlastungsorthesen dienen. Für ältere Patienten mit Gang- und Standinstabilität sind Entlastungsschuhe (mit partiell herausnehmbarer Wabensohle zur Sohlenteilentlastung) besser geeignet; oft ist die Maßanfertigung durch einen orthopädischen Schuhmacher sinnvoll.

Die Wunden sind regelmäßig zu säubern. Das chirurgische Wunddebridement kann bei schmerzhaften oder sehr unübersichtlichen, tiefen Läsionen durch sterilisierte Fliegenmaden unterstützt werden.

Bei Infekten ist eine rasche, im Verlauf Antibiogramm-adaptierte, systemische Antibiotikatherapie anzuraten. Da Fußläsionen bei Patienten mit pAVK erst späte und atypische Symptome einer Infektion zeigen, sollten sie schon früh auf Verdacht antibiotisch behandelt werden.

Wunden heilen bei Blutzuckerwerten über 140 mg/dl schlechter ab. Auch deshalb ist eine möglichst normnahe Stoffwechseleinstellung der DSF-Patienten wichtig.

Wundversorgung

Lässt sich eine höhergradige pAVK ausschließen, ist nach Wundsäuberung und Infektstabilisierung immer eine feuchte Wundversorgung nach dem "Gewächshaus"-Prinzip – feucht, warm und ruhig – anzuwenden (Tab. 2). Diese bietet folgende

Vorteile:

  • Physiologische Wundtemperatur,
  • Schutz vor äußeren Infektionen,
  • Atraumatischer Verbandwechsel,
  • Stimulierung der Reparaturvorgänge,
  • Förderung des autolytischen Debridements.

Einfache Mittel wie angefeuchtete Kompressen sind regelmäßig mehrfach täglich zu wechseln. Moderne Wundtherapeutika erlauben eine mehrtägige Anwendung, ohne die Wundheilung zu beeinträchtigen.

Exsudationsphase

In der ersten Phase der Wundheilung mit noch bestehender Superinfektionsgefahr ist die Säuberung vordringlich. Statt aggressiver Spüllösungen sind (angewärmte) Ringer-Lösungen oder moderne Antiseptika wie Octenidin (Octenisept®) oder Polyhexanid (Lavasept®) anzuwenden.

Enzymhaltige Salben zur Wundsäuberung sind obsolet, da wenig wirksamer als einfache Feuchtgele. Auch lokale Antibiotika, z. B. in Salbenform, sind aufgrund der hohen Resistenzbildung, der Wundheilungshemmung und Auslösung von Allergien obsolet. Nekrosen werden durch chirurgisches Wunddebridement entfernt.

Um aggressives Wundsekret zu entfernen, sind resorbierende Feuchtverbände, evtl. aseptische (silberbeschichtete) Aktivkohleverbände, ideal. Sie können, wenn die Infektsituation der Wunde dies erlaubt, 2 bis 4 Tage auf der Wunde belassen werden, dabei wird nur eine aufliegende Kompresse zur Sekretaufnahme täglich gewechselt. Zur Anregung der Wundsäuberung bei stark sezernierenden Wunden und für eine rasche Granulation stellen spezielle Vakuumverbände eine moderne, aber teure Ergänzung der Behandlung dar.

Granulations- und Epithelisierungsphase

Die natürliche Wundheilung wird durch feuchte, physiologische Wärme gefördert. Je nach Bedarf sind dazu mehr oder weniger resorbierende und okklusive Feuchtverbände wie Schaum- oder Hydrokolloidverbände geeignet. Für die abschließende Epithelisierung der Wunde sind schützende und nicht klebende Verbandstoffe wie dünne Hydrokolloide oder Fettgaze sinnvoll. Die Intervalle des Verbandwechsels sind länger.

Verbandwechsel

Bei sehr ausgetrockneten Wundverbänden ist zur schonenden Entfernung eine Anfeuchtung z. B. mit physiologischer Ringer-Lösung empfehlenswert. Sollte das Wunddebridement sehr schmerzhaft sein, kann vorher eine anästhesierende Salbe wie die Emla-Creme angewandt werden.

Akuttherapie

Die Akuttherapie des DFS bei Patienten mit pAVK lässt sich nach dem IRA-Schema zusammenfassen: Infektbeherrschung, Revaskularisierung und, wenn nicht zu umgehen, (kleinere) Amputation. Das bedeutet: frühe Antibiotikatherapie, Wundsäuberung nur in den Randbereichen, um eitrige Abszedierungen zu vermeiden, ansonsten trockene Wundversorgung z. B. mit (silberbeschichteten) Kompressen. Lokale chirurgische Wundeingriffe oder kleine Amputationen sollten erst nach Durchblutungsverbesserung erfolgen. In Einzelfällen mit weit fortgeschrittener Weichteilinfektion ist eine Amputation nicht immer zu vermeiden. Voraussetzung dafür ist – auch nach neueren Leitlinien der chirurgischen Fachgesellschaften – die Zweitmeinung eines erfahrenen Diabetologen, Gefäßchirurgen oder Angiologen.

Schmerztherapie

Eine ausreichende Schmerzbehandlung der Patienten mit Wund- oder neuropathischen Schmerzen ergänzt die Therapie des DFS. Die Schmerzbehandlung sollte nach dem WHO-Stufenschema erfolgen.

Prophylaktische Maßnahmen

Ohne Rezidivprophylaxe ist die Akuttherapie des DFS sinnlos. Entscheidend für die langfristige Rezidivfreiheit sind passende Schuhe, eine Patientenschulung und die regelmäßige und korrekte Fußpflege.

  • Schuhversorgung: Patienten mit PNP kaufen ihre Schuhe meistens 1 bis 2 Nummern zu klein, um das alte "Passgefühl" zu spüren. Da die Füße im Tagesverlauf meist etwas anschwellen, ist der späte Nachmittag die beste Zeit, um Schuhe zu kaufen. Schuhe mit weichem Oberleder ohne harte Innennähte oder Ösen und mit Ledersohle sind zu bevorzugen. Nach der Wundheilung muss eine Schuhversorgung nach den Kriterien der Arbeitsgemeinschaft Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft erfolgen. Der verschreibende Arzt muss die neuen Schuhe auf Mängel kontrollieren und entsprechende Korrekturen veranlassen.
  • Patientenschulung: Die Patientenschulung nimmt, wie bei allen chronischen Erkrankungen, eine zentrale Position ein. Diabetikerschulungen bieten zum Thema DFS Standardlehrstunden an.
  • Fußkontrolle: Risikopatienten mit PNP und/oder pAVK müssen täglich abends ihre Füße kontrollieren und auf Hautverfärbungen, kleine Verletzungen, Wunden, rissige Haut, Blasen und Fußpilz zwischen den Zehen achten. Die Fähigkeit zur Fußkontrolle und -pflege sollte regelmäßig vom behandelnden Arzt geprüft werden. Wenn ältere Patienten aufgrund von Handicaps nicht in der Lage sind, ihre Füße sachkundig alleine zu kontrollieren und zu pflegen, sollten Angehörige oder besser noch ein professioneller Fußpfleger hinzugezogen werden.
  • Fußpflege: Risikopatienten müssen "scharfe Sachen" wie Hornhauthobel, Nagelknipser oder auch normale Nagelscheren meiden. Zur Nagelpflege sind Sand- oder Diamantfeilen ideal. Damit die Nägel nicht einwachsen, sollten die Nägel mit der Zehenkuppe gerade abschließen und an den Ecken nur leicht abgerundet werden. Hornhaut kann schonend mit einem Bimsstein entfernt werden. Übermäßige Hornhautbildung ist meist ein Zeichen für unzureichende Schuhversorgung. Seit 2004 erstatten die Krankenkassen die Kosten einer Fußpflege durch einen Podologen oder Medizinischen Fußpfleger, wenn der behandelnde Arzt sie verordnet hat. Die geschützte Berufsbezeichnung Podologe/Medizinischer Fußpfleger mit definierter Langzeitausbildung ist seit 2004 in Deutschland eingeführt.

Problem trockene Haut

Patienten mit DFS haben oft eine extrem trockene Haut, eine Folge der gestörten Schweißdrüsenfunktion bei diabetischer PNP. Daraus ergeben sich weitere Konsequenzen.

Ein Fußbad sollte maximal 3 bis 5 Minuten dauern, da die Haut sonst aufweicht und ihre wichtige Schutzfunktion gestört wird. Die Wassertemperatur darf 37 ľC nicht überschreiten (Patienten mit Polyneuropathie erleiden nicht selten unbemerkte Verbrühungen durch heißes Wasser, da ihr Temperaturempfinden empfindlich gestört sein kann). Milde Seifen, Kernseifen oder grüne Seifen lassen die Haut nicht so stark austrocknen wie pH-neutrale Seifen. Rückfettende Zusätze stellen einen zusätzlichen Schutz vor Austrocknung dar. Die Füße müssen anschließend gründlich, speziell auch zwischen den Zehen, abgetrocknet werden, um eine Hautpilzbildung zu vermeiden.

Trockene Haut reißt leicht ein, worauf die kleinen Wunden sich schnell infizieren können. Daher ist die tägliche Pflege mit einer Fußcreme sehr wichtig. Wie bei den Wundauflagen gibt es für die ideale Zusammensetzung von Hautcremes keine evidenzbasierte Empfehlung. Bewährt haben sich Präparate mit einem Harnstoffgehalt zwischen 5% und 10%. Harnstoff bindet die Feuchtigkeit in der Haut und erweicht Hornhaut. Je nach individueller Hautbeschaffenheit und Wunsch des Patienten sind mehr oder minder starke Lipid-Zusätze empfehlenswert – idealerweise aus hochwertigen pflanzlichen Ölen. Die Akzeptanz einer Creme ist deutlich höher, wenn sie schnell einzieht und der Patient die Strümpfe schnell wieder anziehen kann.

Harnstoffpräparate können bei trockener Haut – entgegen der früheren Lehrmeinung – auch als Dauerpflegemittel angewendet werden.

Zukunftskonzept für das DFS

Wie Beispiele aus den USA und Skandinavien zeigen, wird sich die Zahl der Amputationen beim DFS erst durch eine bessere Zusammenarbeit und Qualifikation aller Beteiligten senken lassen. Spezialisierte ambulante oder stationäre Zentren können sich schon jetzt als Schwerpunkteinrichtung zur Behandlung des diabetischen Fußsyndroms durch die Arbeitsgemeinschaft Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft zertifizieren lassen und damit die Qualität ihrer Arbeit öffentlich darstellen. Dies wird mittelfristig auch für die Kostenträger ein Ansatzpunkt sein, um die Ressourcen in diesem Bereich sinnvoll zu verteilen. Für die Zukunft ist eine engere Verzahnung aller an der Behandlung des DFS Beteiligten vor Ort wünschenswert. Auch die Apotheker sind aufgefordert, sich sinnvoll in diese Netzwerke zu integrieren.

Bei Patienten mit Diabetes mellitus wird eine Fußamputation etwa 20- bis 50-mal häufiger vorgenommen als bei anderen Menschen. Die Hälfte der Amputationen wäre jedoch bei einer adäquaten Pflege und Behandlung der Füße vermeidbar. Das diabetische Fußsyndrom (DFS) ist eine typische Komplikation älterer Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2. Nicht nur Multimorbidität und Handicaps der Patienten begünstigen eine fatale Entwicklung, sondern auch Fehler der behandelnden Personen. Aufgrund seiner Komplexität ist das DFS nur im berufsübergreifenden Ansatz zu bewältigen, in einem "Fuß-Netzwerk" mit Hausarzt, Fachärzten, medizinischem Fußpfleger und Apotheker. Ein Mediziner, der ein solches Netzwerk aufgebaut hat, gibt wichtige Tipps für Patienten sowie zur professionellen Wundversorgung.

Verletzungsrisiken

Ältere Menschen haben ein großes Risiko, Verletzungen am Fuß zu erleiden, die zum DFS führen können:

  • Stoßverletzungen beim Barfuß- oder Sockenlaufen,
  • Verbrühungen/Verbrennungen durch Wärmflaschen oder Heizkissen
  • Verletzungen durch "scharfe Instrumente" der Fußpflege, wie Hornhauthobel und Nagelschere
  • Unentdeckte Fremdkörper im Schuh, z. B. der Spielzeugstein eines Enkelkindes

Willkürliche Therapien

Anders als zur Druckentlastung der Füße, Antibiotikatherapie und Stoffwechseleinstellung gibt es für die ständig wachsende Zahl von lokalen Wundtherapeutika keine evidenzbasierten medizinischen Empfehlungen. Dieser Mangel fördert den willkürlichen Einsatz fragwürdiger bis unsinniger Präparate (oft Hausmittel) wie Zeitungspapier, Zahnpasta, Rohrzucker oder Honig.

Zur Versorgung chronischer Wunden nicht zugelassene Wirkstoffe*

Topisch: Alaun, Borsäure, Brillantgrün-Lsg., Castellani-Lsg., Chinolinol, Chloramin-T, Fuchsin, Harnstoff, Ichthyol, Iodoform, Iodtinktur, Kaliumpermanganat, Kristallviolett-Lsg., Lebertran, Lebertran-Zinkpaste, Melkfett, Metronidazol, Nystatin-Paste, Penicillin, Phenol, Pyoktanin-Lsg., Silbernitrat, Tannin, Trypaflavin, weiche Zinkpaste

Oral oder parenteral: b-Acetyldigoxin-Lsg., Aminosäuren-Lsg., Glucose-Lsg., Heparin, Insulin, Vitamin C

* nach Werner Sellmer, Hamburg

Literatur

Mehr als 4 Millionen Deutsche leiden an problematischen, schlecht heilenden Wunden. Deren Behandlung wirft häufig Fragen auf: trocken oder idealfeucht? Mit Kompressen oder Silberverband? Die letzten Jahre haben die Grundsätze der Wundversorgung revolutioniert. Die vielen Präparate mit ihren speziellen Indikationen sind kaum noch überschaubar. Profitieren Sie von der immensen Erfahrung der Autorinnen:

  • Anwendungsmöglichkeiten von Wundauflagen und Externa,
  • Wundbeobachtung und Verbandwechsel,
  • konkrete Maßnahmen bei den verschiedenen Wundarten.

Ein wahrer "Leitfaden" für Ärzte und Apotheker, denen ein einheitliches und rationales Vorgehen bei der Versorgung ihrer Patienten am Herzen liegt.

Wiltrud Probst und Anette Vasel-Biergans Wundmanagement Ein illustrierter Leitfaden für Ärzte und Apotheker 404 S., 138 farb. Abb., 104 s/w Tab., geb. 94 Euro. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2004 ISBN 3-8047-2036-6 Dieses Buch können Sie einfach und schnell bestellen unter der Postadresse: Deutscher Apotheker Verlag Postfach 101061 70009 Stuttgart oder im Internet unter: www.dav-buchhandlung.de oder per Telefon unter: (0711) 25823-41 oder -42

Internet

Adressen von Schwerpunkteinrichtungen zur Behandlung des DFS finden sich auf der Internetseite der Arbeitsgemeinschaft Fuß der Deutschen Diabetes Gesellschaft: www.ag-fuss-ddg.de

Tipps für Patienten

Information:

  • Lassen Sie sich vom Arzt und Apotheker über die Risiken von Sekundärschäden des Diabetes mellitus aufklären

Kontrolle:

  • Kontrollieren Sie regelmäßig abends Ihre Füße auf: Wunden, Hautverfärbungen, Blasen, Risse, Fußpilz
  • Untersuchen Sie den Schuh mit den Händen auf Fremdkörper oder faltiges Innenfutter, bevor Sie ihn anziehen. Einlegesohlen dürfen keine Falten bilden

Fußpflege:

  • Prüfen Sie vor dem Fußbad die Temperatur mit dem Thermometer, sie sollte unter 37 ľC liegen
  • Ein Fußbad sollte nicht länger als 3 bis 5 Minuten dauern
  • Waschen Sie ihre Füße gründlich, auch zwischen den Zehen
  • Benutzen Sie nur milde Seifen, Fußbadpräparate, Kernseife oder grüne Seife
  • Trocknen Sie Ihre Haut gründlich ab, insbesondere auch zwischen den Zehen
  • Cremen Sie Ihre trockene Haut täglich mit einem feuchtigkeitspendenden lipidhaltigen Pflegepräparat ein
  • Benutzen Sie zur Nagelpflege nur Sand- oder Diamantfeilen, keine scharfen Instrumente wie Scheren oder Hornhauthobel
  • Die Fußnägel sollten mit der Zehenkuppe abschließen, runden Sie die Ecken leicht ab
  • Entfernen Sie Hornhaut nur mit einem Bimsstein, benutzen Sie keine Rasierklingen, Hornhautraspeln oder -hobel

Schuhe:

  • Kaufen Sie Schuhe nachmittags. Dann sind die Füße etwas dicker als morgens, und die Schuhe werden dann nicht zu eng gekauft
  • Die Schuhe müssen Ihren Füßen in Höhe, Breite und Länge ausreichend Platz lassen, aber auch ausreichend Halt bieten; lassen Sie dies durch eine Fachverkäuferin kontrollieren
  • Schuhe sollten atmungsaktiv sein und aus weichem, innen glattem Leder ohne dicke Innennähte oder Metallösen und einer Ledersohle bestehen. Kunstoffmaterial begünstigt Fußpilz
  • Tragen Sie neue Schuhe am Anfang nur 30 Minuten lang, suchen Sie dann nach Druckstellen an den Füßen

Risikovermeidung:

  • Laufen Sie nie ohne Schuhe
  • Tragen Sie Baumwoll- oder Wollstrümpfe (zur Vermeidung von Fußpilzinfektionen) ohne dicke Nähte (zur Vermeidung von Druckstellen)
  • Bei kalten Füßen sind Wollstrümpfe ideal
  • Strümpfe mit Gummizug sind bei Durchblutungsstörungen verboten (Strangulationsgefahr)
  • Wärmen Sie die Füße nie mit heißem Wasser, mit Wärmflasche, Heizkissen, -decke oder am Kamin auf (Verbrühungs-/Verbrennungsgefahr)

Autor

Dr. med. Jürgen Wernecke (Jg. 1958) studierte Medizin an den Universitäten Münster und Hamburg. Nach der Approbation als Arzt Promotion mit dem Thema "Untersuchungen zur Struktur des menschlichen Insulinrezeptors" im Diabeteslabor Universitäts-Krankenhaus Eppendorf, Hamburg. Seit 2000 Chefarzt der Abteilung Geriatrie im Bethanien Krankenhaus Hamburg. Vorstand des Netzwerk Diabetischer Fuß Hamburg.

Anschrift: Dr. med. Jürgen Wernecke, Abteilung Geriatrie, Bethanien Krankenhaus, Martinistr. 41– 49, 20251 Hamburg

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