Arzneimittel und Therapie

ASS schützt Frauen vor Schlaganfall

Niedrig dosierte Acetylsalicylsäure verringert bei Männern das Risiko eines ersten Herzinfarktes, ohne das Risiko eines ischämischen Schlaganfalls wesentlich zu beeinflussen. Anders ist die Wirkung bei Frauen: ASS senkt ihr Risiko eines ersten ischämischen Schlaganfalls, lässt aber ihr Herzinfarktrisiko unbeeinflusst. Das ergab die Women's Health Study, in der knapp 40.000 Frauen zehn Jahre lang an jedem zweiten Tag 100 mg Acetylsalicylsäure oder Plazebo einnahmen.

Niedrig dosierte Acetylsalicylsäure (ASS) hat sich in der Akutbehandlung des Herzinfarktes und der Sekundärprävention kardiovaskulärer Erkrankungen bei Männern und Frauen als wirksam erwiesen. Zur Primärprävention liegen fünf randomisierte Studien mit über 55.000 Teilnehmern vor. Die Studien ergaben insgesamt, dass ASS das Herzinfarktrisiko signifikant senkt. Der Einfluss auf das Schlaganfallrisiko und auf die Gefahr eines kardiovaskulär bedingten Todes blieb unklar.

Schützt ASS auch Frauen?

Nur zwei der fünf Studien erfassten auch Frauen, und weniger als 180 der 2402 Gefäßereignisse betrafen Frauen. Daher stehen derzeitige Empfehlungen, Acetylsalicylsäure zur kardiovaskulären Primärprävention bei Frauen einzusetzen, auf sehr wackligen Füßen.

Die Women's Health Study

Mit der Women's Health Study wurde eine große Primärpräventionsstudie ausschließlich an Frauen durchgeführt. Darin wurden der Nutzen und die Risiken der Einnahme von 100 mg ASS und/oder 600 I. E. Vitamin E an jedem zweiten Tag zur Primärprävention kardiovaskulärer und Krebserkrankungen untersucht. Eine kürzlich veröffentlichte Auswertung beschäftigt sich mit den kardiovaskulären Ergebnissen der ASS-Einnahme.

Teilnehmen konnten Frauen ab 45 Jahre ohne koronare oder zerebrovaskuläre Vorerkrankung, die höchstens einmal pro Woche nicht-steroidale Antiphlogistika (einschließlich Acetylsalicylsäure und selektiver COX-2-Hemmer) einnahmen. In einer dreimonatigen Run-in-Phase bekamen die Frauen ein Plazebo. 39.876 therapietreue Teilnehmerinnen erhielten anschließend randomisiert und doppelblind ASS (n = 19.934) oder Plazebo (n = 19.942).

Die Frauen wurden durchschnittlich 10,1 Jahre auf das erste Auftreten eines schwerwiegenden kardiovaskulären Ereignisses – Herzinfarkt, Schlaganfall oder kardiovaskulär verursachter Tod – beobachtet (= primärer Studien-Endpunkt). Alle zwölf Monate bekamen sie den Jahresbedarf an Studienmedikament und einen Fragebogen zu klinischen Endpunkten und Nebenwirkungen zugeschickt. Die Patientenakten der Teilnehmerinnen, die einen kardiovaskulären Endpunkt meldeten, wurden überprüft.

Weniger Schlaganfälle mit ASS

Die Teilnehmerinnen waren zu Beginn im Mittel 55 Jahre alt. 42% von ihnen wiesen keinen kardiovaskulären Risikofaktor auf, 34% einen, 18% zwei und 6% drei oder mehr Risikofaktoren. Während der Studie erlitten 477 Frauen der ASS-Gruppe und 522 der Plazebo-Gruppe ein erstes schwerwiegendes kardiovaskuläres Ereignis (Tab. 1). Das Risiko für ein schwerwiegendes kardiovaskuläres Ereignis war mit ASS nicht signifikant um 9% reduziert (relatives Risiko 0,91).

Allerdings bestanden bei individuellen Endpunkten signifikante Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen: Das Schlaganfallrisiko sank mit ASS um 17%, indem das Risiko für einen ischämischen Schlaganfall um 24% abnahm. Gleichzeitig stieg das Risiko für den weitaus selteneren hämorrhagischen Schlaganfall mit ASS nicht signifikant um 24%. Mit ASS gingen weder das Herzinfarktrisiko noch das Risiko für einen kardiovaskulären Tod zurück (relatives Risiko 1,02 und 0,95).

Guter kardiovaskulärer Schutz ab 65 Jahre

Frauen ab 65 Jahre (n = 4097) machten nur 10% der Studienpopulation aus, erlitten aber ein Drittel aller kardiovaskulären Ereignisse. Frauen dieser Altersgruppe profitierten am stärksten von der ASS-Einnahme. Bei ihnen sank das Risiko eines schwerwiegenden kardiovaskulären Ereignisses um 26% (p = 0,008) und das Risiko eines ischämischen Schlaganfalls um 30% (p = 0,05). Die Seniorinnen waren auch die einzige Untergruppe, in denen Acetylsalicylsäure das Herzinfarktrisiko signifikant senkte (um 34%, p = 0,04).

Blutungsgefahr steigt!

Mit Acetylsalicylsäure traten signifikant häufiger gastrointestinale Blutungen und peptische Ulzera auf als mit Plazebo. In der ASS-Gruppe gab es 127 gastrointestinale Blutungen, die eine Blut-Transfusion erforderten, in der Plazebo-Gruppe 91 (0,6% gegenüber 0,5%; relatives Risiko 1,40).

Fazit

Demnach sank in der Women's Health Study bei anfangs gesunden Frauen, die zehn Jahre lang jeden zweiten Tag 100 mg ASS einnahmen, das Risiko schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse nicht signifikant, aber das Schlaganfallrisiko signifikant. Das Risiko eines Herzinfarkts und das Risiko eines kardiovaskulären Todes blieben unbeeinflusst.

Zusammen genommen ergeben alle bisherigen Primärpräventionsstudien an Frauen einschließlich der Women's Health Study für Acetylsalicylsäure eine signifikante Reduktion des Schlaganfallrisikos um 19% und keine Reduktion des Herzinfarktrisikos. Umgekehrt ergeben die Primärpräventionsstudien an Männern für ASS eine signifikante Abnahme des Herzinfarktrisikos um 32% und einen nicht signifikanten Anstieg des Schlaganfallrisikos um 13%. Ob eine Frau zum Schutz vor Schlaganfall niedrig dosiert Acetylsalicylsäure einnehmen sollte, sollte zurzeit individuell anhand einer Nutzen-Risiko-Abwägung entschieden werden.

Frauen sind anders

Acetylsalicylsäure schützt Männer und Frauen über denselben Wirkungsmechanismus vor thrombotischen Gefäßereignissen: Indem sie beide Formen der Cyclooxygenase dauerhaft inaktiviert, blockiert sie die Biosynthese der Prostanoide. Frauen haben jedoch nach Einnahme derselben ASS-Dosis höhere Salicylsäure-Spiegel als Männer. Außerdem reagieren weibliche Thrombozyten nach ASS-Einnahme in vitro anders als männliche. Auch das Herz-Kreislauf-System von Männern und Frauen unterscheidet sich: Beispielsweise haben Frauen kleinere Koronararterien. Bei Männern, denen ein Frauenherz transplantiert wurde, wachsen die Koronararterien. Die Anatomie der Halsschlagader und die Verteilung atherosklerotischer Plaques sind ebenfalls geschlechtsabhängig.

Generell haben Frauen ein weit geringeres Herzinfarktrisiko als ihre männlichen Altersgenossen (bei weißen Frauen nur ein Drittel, bei schwarzen Frauen ein Viertel des Männer-Risikos), aber ein höheres Schlaganfallrisiko.

Susanne Wasielewski, Münster

 

Quelle
Ridker, P. M., et al.: A randomized trial of low-dose aspirin in the primary pre- vention of cardiovascular disease in women. N. Engl. J. Med. 352, 1293 – 1304 (2005).
Levin, R. I.: The puzzle of aspirin and sex. N. Engl. J. Med. 352, 1366  – 1368 (2005).

ASS bei koronarer Herzkrankheit 

In der Sekundärprävention erneuter kardiovaskulärer Ereignisse ist die Wirksamkeit von Acetylsalicylsäure vornehmlich bei Männern belegt. Wie das für die Primärprävention bei initial gesunden Frauen aussieht, sollte die vorliegende Studie mit insgesamt über 55.000 Teilnehmerinnen untersuchen: Eine Therapie mit Acetylsalicylsäure hatte bei gesunden Frauen unter 65 keinen Effekt auf die Herzinfarktrate. Ältere Frauen über 65 mit höherem Risiko profitierten jedoch von einer signifikanten Abnahme der Zahl von Schlaganfällen.

Zum Weiterlesen 

Acetylsalicylsäure und Vitamin C. Neue Erkenntnisse zu antioxidativen und gewebeprotektiven Wirkungen. Med Monatsschr Pharm 2005;28(7):239-42. www.medmopharm.de

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