Die Seite 3

Aus der schönen neuen Welt

Im Versand von Arzneimitteln sehen nach wie vor einige Politiker die "schöne neue Welt". Man darf den Bürger nicht bevormunden, woher er seine Arzneimittel bekommt, wir haben Marktwirtschaft und Wettbewerb, wir sind für Liberalität und außerdem, es wird viel Geld gespart, und ein paar Arzneimittelpackungen zu bestellen und zu verschicken, kann doch nicht so schwer sein. Wer so denkt, denkt zu kurz. Die Folgen dieses Denkens zeichnen sich langsam ab: Mit dem Arzneiversandhandel allgemein, seiner Zulassung in Deutschland und seinen Auswirkungen ist nichts, aber auch gar nichts besser geworden in der deutschen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung.

Im Gegenteil. Erst vor kurzem warnte der UN-Suchtstoffkontrollrat in seinem Bericht vor den Gefahren des Arzneimittelversandhandels. Auslöser war die wachsende Zahl illegaler Internet-Apotheken, die quasi unkontrolliert "mehrere Milliarden Dosen" pro Jahr übers Web vertreiben. Viagra gehört beispielsweise zu den Arzneimitteln, die am meisten gefälscht und per Internethandel vertrieben werden. Gefährlich: Viele Bürger differenzieren nicht – die Zulassung des Arzneiversandhandels in Deutschland ist für sie gleichbedeutend mit der Rechtmäßigkeit eines jeden Versandhandels in Europa oder sogar weltweit.

Doch endlich gibt es auch kritische Stimmen in den Medien zu Versandapotheken. Weggucken geht nicht mehr. So stellte das Kammergericht Berlin in einem Urteil fest, dass "die niederländischen Versandhandelsregelungen auch nicht hinreichend den deutschen … entsprechen". Bei vielen deutschen Versandapotheken zeigen sich in Tests deutliche Schwächen in der Beratung, aber auch in der Logistik. Stiftung Warentest hat erst im Februar vielen europäischen und deutschen Versandapotheken eine mangelhafte Qualität bescheinigt, vor allem in der Beratung.

Im März veröffentlichte das Institut für Handelsforschung in Köln eine weitere Untersuchung, wonach keine der geprüften Apotheken ein zufrieden stellendes Ergebnis erzielte. Im Preis waren sie zwar zwischen 10 und 17 Prozent günstiger, die Kunden mussten allerdings deutliche Defizite hinnehmen bei der Lieferzeit (im Schnitt drei Werktage) und bei der Einhaltung weiterer gesetzlicher Bestimmungen. Seltsam, hatten wir dies nicht alles schon vorhergesagt?

Ob die anstehende Versandhandelsverordnung für Arzneimittel hier Abhilfe schaffen kann? Kaum, denn auch die Einhaltung dieser Bestimmungen muss überprüft werden. Und da hapert's gewaltig. Ein positiver Ansatz wäre es, wenn der Versand verschreibungspflichtiger Arzneimittel in und nach Deutschland verboten würde. Aus Sicht des Europäischen Gerichtshofs wäre ein solches Verbot durchaus gerechtfertigt.

Auch eine Auswirkung der "schönen" neuen Arzneimittelwelt: Lieferengpässe bei Arzneimitteln. Was vor Jahren undenkbar war, tritt heute immer wieder auf. Während Hersteller die Auskunft erteilen, dass ein Präparat in ausreichender Menge produziert werde und die internen Lager voll seien, meldet der Großhandel Defekte. Nach Auskunft von Insidern verschiebt der Großhandel lukrative Ware in andere Märkte, die aufgrund der dortigen Preisstruktur zu einem besseren Gewinn führen.

Kontingentiert ein Hersteller sein Präparat für den Großhandel, springen Apotheken in großem Stil ein, beziehen die Ware direkt vom Hersteller und verkaufen sie an den Großhandel weiter. Auslöser solcher Geschäfte sind gute Gewinne bei den (Parallel-)Im- und Exporten, nicht zuletzt provoziert durch gesetzliche Eingriffe in die Arzneimittelpreisbildungssysteme. Ein Ende solcher Geschäfte ist nicht in Sicht. Die Leidtragenden sind die Patienten.

Auf der einen Seite immer mehr Liberalisierungen, auf der anderen immer stärkere Restriktionen. So soll mit der geplanten 14. AMG-Novelle ein Werbeverbot für erstattungsfähige rezeptfreie Arzneimittel eingeführt werden. Geht es nach dem vorliegenden Referentenentwurf, würde dies das Aus der Publikumswerbung für rezeptfreie Arzneimittel generell bedeuten. Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), der die Selbstmedikationsindustrie vertritt, protestierte dagegen beim Bundesgesundheitsministerium.

Daraufhin stellte ein Vertreter des Ministeriums klar: Mit der geplanten Vorschrift solle nur die Publikumswerbung für rezeptfreie Arzneimittel untersagt werden, soweit sie nach der OTC-Ausnahmeliste in bestimmten Indikationen, für bestimmte Patientengruppen etc. ausnahmsweise verordnet und erstattet würden. Ein Totalverbot der Publikumswerbung sei politisch nicht gewollt. Man werde den Gesetzentwurf nachbessern. Fragt sich, ob überhaupt ein – auch partielles – Werbeverbot gesundheits- und verbraucherpolitisch erforderlich ist. In den Fällen, in denen OTCs zum Therapiestandard gehören, auf der Liste stehen und verordnet werden können, dürfte die Publikumswerbung keine Auswirkungen auf die Verordnungen haben.

Auch das gehört zur "schönen" neuen Welt: der Aufbau des Milliardenprojekts elektronische Gesundheitskarte. Was kommt da genau auf uns zu, was ist für die Apotheken im Einzelnen geplant, wie werden sich die Abläufe in der Apotheke gestalten, wie steht es um den Datenschutz – solche und viele andere Fragen stellen sich uns. Schade, dass dazu von der ABDA und ihrer Telematik-Abteilung nur spärliche Informationen angeboten werden. Wir können uns derweil schon mal bei den Ärzten umsehen: Die kassenärztliche Bundesvereinigung versorgt ihre Berufsangehörigen mit ausführlichen Hintergrundinformationen im Netz unter www.kbv.de/telematik.htm

Schöne neue Welt.

Peter Ditzel

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